Dienstag, 19. Mai 2009

Friede sei mit Euch: Netanjahu bei Obama zu Besuch


“Mr. Miller characterized the session as “President ‘Yes We Can’ sitting down with Prime Minister ‘No You Won’t.’ ” beschreibt die New York Times das Treffen zweier neuer Präsidenten im Amt. All zu weit liegen die Vorstellungen über einen Nahostfrieden auseinander. Aber die Zeit drängt, zu einem vernünftigen Deal zu kommen: „Israel wird nicht von heute auf morgen kollabieren, könnte aber mit der Zeit erodieren: durch Auswanderung, Demoralisierung und wirtschaftlichen Niedergang. Wer möchte schon in einem Land leben oder in ein Land investieren, über dem eines Tages der Atompilz aufgehen könnte?“ mutmaßt Henryk M. Broder im Spiegel heute. Die Aussichten sind nicht rosig, wie er meint: „Es wäre schön, wenn Obama mit seiner Strategie Erfolg hätte, Iran einzubinden. Es wäre schrecklich, wenn es ihm nicht gelingen würde. Nüchtern betrachtet, hat er kaum eine Chance.

Zuletzt existierte der antike Vorgängerstaat Israels unter römischer Herrschaft, der letzte jüdische Aufstand in Israel gegen die Römer, der Bar-Kochba-Aufstand wurde 135 n. Chr. niedergeschlagen. Darauf hin verteilte sich die jüdische Gemeinschaft über den ganzen Globus. Mit dem Sieg der Briten im ersten Weltkrieg zerfiel 1917 das Osmanische Reich, wodurch das ehemalige antike Palästina unter die Kontrolle der westlichen Führungsmächte geriet. In dieses britische Protektorat verstärkte sich ab 1922 rapide die jüdische Rückwanderung, die bereits um 1880 in kleinerem Umfang begann. Insbesondere der deutsche Faschismus bewirkte in den Jahren 1933-1939 eine massive Zuwanderung. Und zwar nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa und der restlichen Welt. Verheerend war dabei der Umstand, dass sich der gesamte damals vorhandene westliche Antisemitismus entfaltete und das Staatenproblem Israels einfach in ihre nahöstlichen Kolonialgebiete Asiens exportierte. Das Argument der ehemaligen antiken Staatlichkeit in diesem Gebiet ist dagegen recht haltlos, mit selbigem Anspruch könnte man die komplette Welt neu sortieren. Angemessener wäre dagegen eine europäische Staatenlösung gewesen.

Den nach dem Zerfall des osmanischen Reiches in neue Kolonialgrenzen gezwängten, und notorisch zerstrittenen, arabisch/islamischen Stämmen war zunächst nicht klar, was auf sie zu kam. Schließlich wurde der Staat Israel am 14. Mai 1948 durch einseitige Unabhängigkeitserklärung gegründet, und durch die westlichen Mächte, insbesondere der USA, aber auch der SU sehr schnell anerkannt. Noch in der Gründungsnacht erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien Israel den Krieg. Es sollte nicht der erste Krieg bleiben, wenn auch das Ergebnis bis heute immer das Gleiche geblieben ist: Israel ist für die technisch und ausbildungsmäßig schwachen Armeen der Araber, trotz klarer personeller Überlegenheit, nicht zu schlagen. Heute verfügt Israel nicht nur über die bestausgerüstete und bestausgebildete Armee im nahen Osten, sondern besitzt auch eine ungewöhnlich hohen Mobilisierungsgrad: Praktisch jeder Israeli, ob Frau oder Mann, der waffentauglich ist kann im Ernstfall gezogen werden und die Berufsarmee von 180.000 auf über 600.000 Soldaten, rund 10% der Bevölkerung, ausdehnen.


Der letzte israelisch-arabische Krieg, der Jom-Kippur-Krieg, fand 1973 statt. Leider ist, trotz der militärischen Erfolge, der Frieden bis heute ausgeblieben. Der wesentliche Erfolg der blutigen Schlachten und der weltweiten Versuche seitdem Frieden unter den Parteien zu stiften war, dass man einerseits ersatzweise zu einem permanenten Kleinkriegszustand überging, und dass man andererseits es
schaffte, praktisch alle gegnerischen arabischen Länder von 1948 wirtschaftlich, militärisch und politisch an den Westen zu binden. So insbesondere die so wichtigen Staaten Ägypten und Saudi Arabien.

Andererseits ist es in allen diesen Kriegen klar geworden, dass der heute 7-Millionen-Einwohnerstaat Israel nur durch massive politische und wirtschaftliche Unterstützung des Westens überlebensfähig ist. Einen erneuten konventionellen Krieg gegen vereinigte Arabische Staaten hält Israel, ganz auf sich gestellt, nur wenige Tage bis Wochen durch. Dann sind die Resourcen soweit aufgebraucht, dass kein Halten mehr wäre. Ein Grund für die Israelische Atomwaffe, die schon sehr früh mit Alliierter Hilfe geschaffen wurde. Seit langem ist Israel somit einzige Atommacht des nahen Ostens mit zur Zeit geschätzten 200 einsatzfähigen Nuklearsprengköpfen. Die atomare Vergeltung ist die letzte Trumpfkarte, und bereits im Jom-Kippur-Krieg heißt es, wurden 13 atomare Gefechtsköpfe scharf gemacht, um im Falle einer bevorstehenden Niederlage dieses letzte Mittel zu nutzen. Eine einsatzfähige arabisch/islamische Nuklearstreitmacht ist ergo eine absolute Horrorvorstellung für die Israelische Regierung, denn das eigene ultimative Abschreckungspotential wäre nicht mehr gegeben.

Hat man es auf der einen Seite in den letzten Jahrzehnten geschafft, die Gegner Israels wirtschaftlich und politisch einzufangen, oder wie den Irak militärisch zu unterwerfen, so hat man einen anderen wichtigen islamischen Regionalstaat verloren: Den Iran in der Revolution von 1979. Dessen atomaren Ambitionen sind inzwischen unverkennbar, aber während man den benachbarten Konkurrenten Irak in zwei Bush-Kriegen eliminierte, konnte sich der Iran vergleichsweise frei entwickeln.

Zum 30.ten Jahrestag der Revolution schoss nun Iran sogar einen eigenen Satelliten ins All. Zwar dürften die technischen Eigenschaften des Satelliten kaum über die des russischen Sputniks der Nachkriegszeit hinausgehen, aber die zentrale Botschaft ist klar: Wer eine solche technische Meisterleistung hinkriegt, der kann auch eine vergleichsweise simple Nuklearwaffe bauen. Vorausgesetzt, er verfügt über genügend spaltbares Material, dessen Beschaffungskreislauf immer noch das mit Abstand größte technische Problem darstellt.

Man kann sagen, die Vormachtstellung Israels steht auf einigen mächtigen, aber wackeligen, Füßen:

(1) einer überproportional großen, bestausgestatteten und ausgebildeten Volksarmee
(2) auf massive Unterstützung der westlichen Staaten zur Finanzierung von Militär und Volkswirtschaft. Dazu gehören neben hohen Geldzahlungen und militärischen und zivilen Produktlieferungen auch Handelsvorteile.
(3) Uneingeschränkte politische Unterstützung der westlichen Schutzmächte, insbesondere der USA und EU.
(4) Der wirtschaftlichen und politischen Anbindung wesentlicher nahöstlicher Regionalmächte an den Westen. So besonders die reichen Ölstaaten wie Saudi-Arabien. Und wo das nicht erreicht werden kann, die notorische Zerstrittenheit der arabischen Staaten untereinander.
(5) Einer wirksamen Abschreckung auch für den bislang unwahrscheinlichen Fall einer drohenden totalen Niederlage: Die alleinige regionale atomare Fähigkeit Israels.

Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Wenn mehrere dieser Füße einknicken, dann ist die Existenz Israels massiv in Gefahr. Denn durch die völlig misslungene Friedenspolitik der letzten Jahrzehnte, mit radikalen Wort- und Politikführern auf beiden Seiten und direkten und indirekten Kriegsopfern ohne Ende, hat sich ein riesiger Stau von Hass gebildet. Israel, dass jederzeit am längeren militärischen Arm saß, hat es nie verstanden, für eine nachhaltige Verbesserung der Situation für ein friedliches Nebeneinander zu sorgen. Stattdessen sorgen ständiges Ignorieren von UN-Beschlüssen, gezielte Tötungen, Bombardements, und vor allen Dingen eine außer Rand und Band ausufernden Siedlungspolitik, gekrönt von einer abstrusen Palästina-Mauer nach Vorbild der Berliner Mauer, nicht nur für weltweites Unverständnis. Allerdings fällt es uns hier, in unseren weichen Wohnzimmersesseln versunken, leicht, über diese Politik zu urteilen. Das permanente Leben auf einem brodelnden Vulkan schafft nun mal andere Weltsichten.

Die israelischen Finanzen sind durch ein Leistungsbilanzdefizit gekennzeichnet, das durch große Transferzahlungen aus dem Ausland sowie durch Anleihen ausgeglichen wird. Die israelischen Defizite werden vor allen durch die USA aufgefangen. Die USA ist der Hauptgarant der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung Israels. Die israelischen Auslandschulden werden meist durch so genannte Israel-Bonds von Privatinvestoren gehalten. Da die USA für diese Bonds mit einer Sicherungsgarantie bürgen, sind diese gut bewertet und sorgen damit für billige Kredite für Israel unterhalb des marktüblichen Zinses. Trotzdem, und obwohl Israel ein Land westlichen Zuschnitts ist, leben viele Bürger in armen Verhältnissen: Im Jahr 2007 lebten in Kern-Israel 24,7 % der Gesamtbevölkerung und 35,9 % der Kinder unter der Armutsgrenze. Die hohe Kinderarmut stellt damit für die entwickelten Ländern einen Rekord auf. Ein weiteres Problem sind die „working poor“ wegen der in vielen Branchen extrem niedrigen Löhne.

Während Israel, rein wirtschaftlich gesehen, für die USA einen nicht unerheblicher Kostenfaktor darstellt, sind die reichen arabischen Ölstaaten in der umgekehrten und weit besseren Position: Die stützen mit Ihren riesigen Dollarreserven und Ankauf von US-Staatsanleihen den gefährdeten US-Dollar.


In diesem Umfeld wurde kürzlich eine neue, und leider radikalere, Regierung in Israel unter Führung des Likud-Blocks gewählt. Es sind die Wortführer einer Strategie der Gewalt, um einen für Israel annehmbaren Frieden zu erzwingen. Das dies in all den Jahren noch nie von Erfolg gekrönt war, ficht die radikalen Kräfte nicht weiter an, im Gegenteil, man scheint der Meinung zu sein, man müsse nur ein paar Brikett zusätzlich auflegen. So kann man Israel zur Zeit nur mit Mühe von einem Angriff auf Iranische Atomanlagen abhalten. Wie lange noch, ist fraglich. Präsident Obama versucht zur Zeit alles, um die Likud-Regierung wenigstens, halbherzig unfreiwillig, auf Friedenskurs zu bringen. Erfolg ungewiss.

In ihrer Borniertheit merkt die Regierung Netanjahu nicht, wie sehr sie bald ins Schwimmen kommen könnte. Denn längst ist ein unheimlicher Feind aufgetaucht, mit dem er so noch nie gerechnet hat: Die weltweite Finanzkrise könnte schon bald wesentliche Standbeine des westlichen Nahoststaates untergraben. Wenn nämlich der Dollar ins taumeln kommt, dann gelten die Israel-Bonds bald auch nicht mehr so viel, das Land muss zu höheren Zinsen anleihen, oder bekommt gar keinen Kredit mehr. Was, wenn sich die Israelfreundliche Stimmung in den USA dreht, wenn man nicht mehr bereit ist jährlich mehrere Milliarden Dollar ins heilige Land zu pumpen, und man nicht andererseits den Dollar durch einen Streit mit den Ölstaaten riskieren will? Was, wenn man dann im Ernstfall nicht mehr in der Lage ist, militärisch zu unterstützen? Was, wenn aufgrund des möglichen Wertverfalls des Dollars so elementar wichtige Länder wie Saudi-Arabien vom westlichen Ruder gehen, und eventuell revolutionär umgebildet werden?

Die Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise könnten die aktuellen Machtverhältnisse, schneller als einem lieb ist, ins Gegenteil verkehren. Nur eine kluge und zügige Politik, hin zu einer beidseitig akzeptablen Zweistaatenlösung, kann die tickende Zeitbombe anhalten. Durch die völlige Überschätzung seiner in Zukunft erodierenden Machtposition könnte sonst Netanjahu, in unglückseliger Verbindung mit der Schuldenkrise der westlichen Welt, zum Totengräber Israels werden. "Angesichts der Schwäche der arabischen Welt und in Anbetracht der Tatsache, dass die USA die Welt kontrollieren, geht die PLO schrittweise vor, ohne dabei ihre Strategie zu ändern. Mit Allahs Hilfe werden wir sie aus ganz Palästina vertreiben" zitiert Broder den PLO-Botschafter in Beirut. Man bedenke, auch die Berliner Mauer fiel nicht mit Waffengewalt oder aufgrund von Verhandlungen, sie fiel, weil die DDR einfach nur restlos pleite war. Gegen eine Bankrott der USA wäre die Iranische Bombe daher wohl das kleinere Übel für Israel, fürchte ich.

Vorerst steht aber nur die Frage im Raum, was macht man mit Iran? Das der Iran eine Bombe wirklich einsetzen würde, ist angesichts des israelischen Nukleararsenals und das seines engsten Verbündeten, der USA, nicht zu erwarten. Es wäre reiner Selbstmord, das muss auch in Teheran, aber genauso in Tel Aviv, ganz klar sein. Trotzdem erscheint Israel eine arabisch/islamische Bombe als eine absolut unerträgliche Vorstellung. Ein Angriff auf Iran wäre dagegen kaum weniger verheerend in ihren faktischen Auswirkungen. Nach zwei Bush-Kriegen, der Hinrichtung eines nahöstlichen Führers und der Folter- und Gefängnisskandale der USA ist das Ansehen der westlichen Führungsmacht, und damit auch der Demokratie per se, schon kaum reparierbar geschädigt. Ein weiterer Angriff Israels unter offener oder versteckter Unterstützung der Schutzmacht wäre politisch desaströs, und die erwiesene Doppelzüngigkeit des großen Häuptlings aus Washington würde zu einer neuerlichen Solidarisierung gegen Israel führen.


Solange Iran genüsslich mit der Bombe, oder auch nur der Fiktion einer Bombe spielt, ein unlösbares Dilemma. Denn letztlich spielt die Zeit in die Hände der Feinde Israels. Wir wissen zwar nicht, wie es nach der in Iran anstehenden Wahl dieses Jahr aussieht. Aber eine Kehrtwende der iranischen Politik ist kaum zu erwarten. Vermutlich wird man Israel und den Westen bis zur Weißglut kitzeln, um dann zu geeigneter Zeit einen Rückzug zu machen und die Wogen zu glätten, und dann geht’s wieder von vorne los. Das braucht man danach nur so oft zu wiederholen, bis dem Westen wirtschaftlich, militärisch und politisch die Puste ausgeht. Sei es nun in 5, 10, oder 20 Jahren. Es kann gut sein, dass uns dann die allzu bequeme Nachkriegsordnung erneut um die Ohren fliegt.

Salam aleikum, Schalom aleichem: Friede sei mit Euch... wie auch immer ihr das hinkriegt.

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