Freitag, 5. Juni 2009

panem et circenses IV: Quo vadis Europa?


Den Ausdruck panem et circenses prägte der römische Dichter Juvenal (60 -127 n.Chr.). Er kritisiert damit das römische Volk, das zur Zeit der funktionierenden Republik die Macht an Feldherren und gewählte Beamte verlieh, und sich nur noch diese beiden Dinge wünschte: Brot und Spiele. Der Ausdruck bezeichnete den Versuch, das Volk von Problemen abzulenken, indem man mit Steuersenkungen, Wahlgeschenken oder eindrucksvoll inszenierten Großereignissen die allgemeine Stimmung hob.

Brot und Spiele, das ist ein uraltes Patentrezept für den Machterhalt, egal welcher Herrschaftsform. Solange „Brot“, d.h. die Grundbedürfnisse, und „Spiele“, d.h. ein wenig Luxus und Ablenkung für die Masse der Bevölkerung gewährleistet werden kann, solange hält eine Regierungsform gut durch. Wenn Brot und Spiele jedoch nicht mehr in der Breite geboten werden kann, dann ist die Herrschaft nur noch künstlich, durch Unfreiheit, Tyrannei und Terror, zu halten. Ein aktuelles Beispiel etwa ist Nordkorea. Das Fehlen von Brot und Spielen in der Masse ist jedenfalls mit einer funktionierenden Demokratie nicht vereinbar.

Nun, die Wahlen dieses Jahr stehen ganz im Zeichen von panem et circenses, nämlich dem Erhalt dieser Fähigkeit. Unsere Demokratie ist eine repräsentative Demokratie, d.h. das Volk nimmt an der Herrschaft ausschließlich mit der Abgabe seiner Stimme bei geheimen und gleichen Wahlen teil. Volksabstimmungen und der gleichen, also unmittelbare Demokratie, ist in Deutschland nicht vorgesehen. Ganz im Sinne von Juvenal also hängt das politische Schicksal an den gewählten Volksvertretern, die wiederum in Parteien organisiert sein müssen um über die magische 5% Hürde in die Parlamente zu gelangen. Die demokratische Macht liegt somit faktisch bei den Parteien, und wir sind somit in der Pflicht, uns mit deren Vorstellungen zur Krisenbewältigung auseinander zu setzen. Die erste Wahl steht am Wochenende an, die Niederlande haben bereits vorgelegt: zweitstärkste Kraft wurden dort die Rechtsradikalen: Ein Menetekel, das nicht von ungefähr kommt. Man darf gespannt sein, wie und ob sich das bei der Europawahl am Sonntag fortsetzt.

Denn der naive Glaube, man könne die Krise aussitzen, indem man sich nur reichlich weiter verschuldet oder nur genug Geld druckt und in die Banken pumpt, ist bei den demokratischen Parteien noch ungebrochen. Die Prognosen werden zwar immer schlechter, die Bundesbank geht nun von einem Rückgang des BIP um 6,2 Prozent in 2009 aus, trotzdem begrüßt man schon wieder einmal die Talsohle: „Bereits in diesem Sommer könnte nach Einschätzung der Bundesbank der Tiefpunkt schon überschritten werden.“ und selbstverständlich liegt die Lösung der Verschuldungskrise in weiterer Verschuldung: „Irsch zufolge müsse Deutschland auch eine höhere Verschuldung hinnehmen. Die Bemühungen der Bundesregierung, die Konjunktur anzukurbeln, bewerteten die Experten als zu zögerlich. Die im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossenen Infrastrukturmaßnahmen würden erst Ende 2009, größtenteils sogar erst 2010 wirken - zu diesem Zeitpunkt werde die Konjunktur aber schon wieder Tritt gefasst haben, sagte Schmidt.“.

Das ist wie der Witz mit dem Hinterwäldner, der zur Bank zitiert wird, weil sein Konto überzogen sei. Auf die Frage, wie er denn sein Konto ausgleichen wolle, antwortet der allen Ernstes: „Kein Problem, ich schreib Ihnen einen Scheck!“. Aber dafür haben wir jetzt ja das Grundgesetz geändert, und eine „Schuldenbremse“ eingeführt: „Für Peer Steinbrück geht es um seinen Eintrag in die Geschichtsbücher: Steht er als Bundesfinanzminister für das größte Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik oder für die Lösung des "Schraubstocks", in dem er den Staatshaushalt sieht? Der SPD-Politiker beschwor am Freitag die "historische Chance", eine verbindliche Schuldenbremse einzuführen, um den jetzt angehäuften Schuldenberg in Zukunft wieder abzubauen.“ zitiert das Manager-Magazin.

Nun, an letzterem glaubt keiner wirklich, und so sieht man das, sowieso in der Praxis löchrige, Gesetz mehr als ein Zeichen: „Als "Signal an die Finanzmärkte" will Steinbrück die Schuldenbremse verstanden wissen. Man müsse zeigen, dass in Deutschland solide mit dem Haushalt umgegangen wird. …. In einer solchen Situation sei es besonders wichtig, dass Deutschland seine Bonität nicht verliere. Würde die sich verschlechtern, stiege sofort die Zinslast deutlich, sagte Steinbrück.“


Um den Eintrag in die Geschichtsbücher jedenfalls müssen die „Gewinner“ der Wahlen 2009 kaum fürchten: Denn alle bislang vorgelegten Programme ändern nichts am Kerndilemma der Finanzwirtschaft, das Stocken der Renditen aufgrund des explodierten BIP/Aktiva-Verhältnisses. Denn an Geld mangelt es nicht, ganz im Gegenteil, die Finanzjongleure wissen nur nicht mehr wohin damit, nämlich dahin, wo noch risikoarme Renditen zu erzielen sind: „Ein weiterer Faktor spricht für steigende Notierungen des schwarzen Goldes: die überbordende Liquidität. Banken, Fonds und Investmentgesellschaften wissen nicht mehr, wohin mit ihren Bargeldbeständen. Da Staatsanleihen kaum noch etwas abwerfen und für Tagesgeld Mickerzinsen gezahlt werden, suchen Anleger andere Investitionsmöglichkeiten – da drängt sich Öl auf.“ schreibt dazu der Focus.

Die Tatsache, dass man die wahre Ursache nicht sehen kann oder will, macht aus der Finanzkrise nun eine Systemkrise der Demokratie, und wird das nächste Dreamteam nach Merkel/Steinbrück tatsächlich in die Geschichtsbücher als Abwracker katapultieren: „Die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg habe gelehrt, „dass eine nicht unter Kontrolle gebrachte Wirtschafts- und Sozialkrise fruchtbarer Boden für radikale Bewegungen sein kann“, warnte unlängst der ungarische Regierungschef Gordon Bajnai.“ schreibt die Welt. Während Europa wählt, bricht es an allen Ecken und Kanten bereits auseinander, Island und Lettland sind pleite, die ganzen Ostländer pfeifen aus dem letzten Loch, die so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) stehen auch nicht weit vom Kollaps entfernt.

Großbritannien ist ruiniert und seine selbstgerechten Spitzenkräfte laufen davon: „Insgesamt hatten sich binnen weniger Tage mehr als ein halbes Dutzend Minister aus der Regierung Brown zurückgezogen….Die Labour-Partei hat unter den - alle Parteien betreffenden - Enthüllungen über unverfrorene Spesenabrechnungen der Parlamentsabgeordneten stärker zu leiden als die Opposition. Brown wird zunehmend dafür verantwortlich gemacht, nicht entschlossen genug dem Wildwuchs über die Anforderung öffentlicher Mittel für die Anschaffung von Großbild-Fernsehern, Maulwurfsfallen und Schwimmbadreparaturen entgegengetreten zu sein.“. Die Vorbildfunktion der Britischen Finanzwirtschaft hat auch bei der dortigen Politikerkaste ungebremsten Einzug gehalten, das BIP wird als Selbstbedienungsladen missverstanden.

Gleichwohl ist Brown natürlich ein mustergültiger Demokrat und denkt nicht ans Aufgeben: „Er übernehme zwar Verantwortung für die derzeitige Krise, aber er werde sich vor seiner Pflicht für das Land nicht drücken. "Wenn ich nicht wüsste, dass ich der richtige Mann für den Job bin, würde ich nicht hier stehen. Ich werde nicht wanken, ich werde nicht weichen, ich werde weitermachen, bis die Arbeit getan ist."“ zitiert ihn der Spiegel. Arbeit? Welche Arbeit? Welche Pflicht drückt ihn für sein Land; Panem et Circenses, wie lange noch?

So gehen wir am Sonntag also wählen, vielleicht zum letzten mal für das Europa, wie wir es bis heute noch kannten. Quo vadis Europa?

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