Sonntag, 2. Oktober 2011

Die Donnerstags-Resistance


Die Erweiterung des Rettungsschirmes wurde am vergangenen Donnerstag wie erwartet durch gewinkt. Die einzige Angst der Koalition bestand dabei nicht in dem Desaster das man vermutlich anrichtet, als in der puren Machtfrage und dem Erhalt der Kanzlermehrheit.

Besonders deutlich wurde das nochmal am Vorabend der Entscheidung, als bei Anne Will getalkt wurde: „...Der interessanteste Gast des Abends war der Präsident des slowakischen Nationalrats, Richard Sulik. ...Seiner Meinung nach ist sie nichts anderes als „gekaufte Zeit“. Vor allem aber sieht er einen Verstoß gegen die Grundsätze, die die Slowakei bei ihrem Eintritt in die Eurozone vor zwei Jahren selber erfüllen musste, nur jetzt offenkundig keine Rolle mehr spielen. Etwa dass man nicht für die Schulden anderen Eurostaaten aufzukommen hat. Die Slowakei muss als Eurostaat den Beschlüssen zum EFSF noch zustimmen. Sulik lehnt diese Politik ab. Sie kann tatsächlich noch im Oktober in Bratislava scheitern. Es gäbe also gute Gründe, sich mit der Slowakei zu beschäftigen....“

Sichtlich bemüht, auch weit unter der Gürtellinie, war man, den Slowaken verbal fertig zu machen. Wie kann es denn sein, dass sich jemand auf geltende Verträge beruft? „...Es interessiert niemanden, wie in anderen europäischen Staaten ein Thema diskutiert wird, das angeblich eines der „europäischen Solidarität“ ist. Ansonsten wäre man etwa auf Suliks Argument eingegangen, warum etwa ein vergleichsweise armer Staat wie die Slowakei für einen Staat wie Griechenland Risiken übernehmen soll. Sulik verwies auf die Durchschnittsrente in der Slowakei von 360 €, im Gegensatz zu den 1.600 € in Griechenland. Zwar sind Suliks Zahlen durchaus demagogisch zu nennen: die griechische Durchschnittsrente betrug laut OECD im Jahr 2007 617 €. Aber hindert uns das daran, sich deshalb für die Verhältnisse in der Slowakei zu interessieren? Anne Will schon. Sie brachte diverse Einspieler, etwa über die Sichtweise Mindener Bürger auf ihren Gast Steffen Kampeter, seines Zeichens parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er wolle Bundeskanzler werden, teilte man uns dort mit. Aber etwas Substantielles über die slowakische Diskussion wurde in der Sendung nicht vermittelt. Sulik wurde lediglich zur Bereicherung der deutschen Debatte eingeladen....“

Kampeter als Bundeskanzler? Will fragte ihn dann auch gleich, ob er das wirklich wolle. Antwort Kampeter: „..na da müssen Sie meine Familie fragen, also die will das nicht...“. In klaren Worten also: Ja. Oh Herr im Himmel, ich weiß dass Deine Rache an uns gnadenlos sein wird, aber schütze uns wenigstens vor solchen Führern. „...Sulik wurde von ihm [Kampeter] ideologisch bekämpft. Wobei wohl niemanden mehr aufgefallen ist, dass etwa das Steuermodell der slowakischen „Flat Tax“ vor wenigen Jahren noch im Wahlprogramm der CDU zu finden gewesen ist. Sulik war in der Slowakei einer der Initiatoren gewesen; in Deutschland galt es als Vorbild für eine moderne Steuerpolitik, das Platz fand auf einem Bierdeckel. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man als Staatssekretär seine Erkenntnisse von gestern vergessen kann. Allerdings ist die Selbstgefälligkeit geblieben, vor allem im Umgang mit sogenannten europäischen Partnern....“.

Schwarze Machtversessenheit wurde dann von rosaroter Europaseeligkeit fließend unterstützt: „...In der Hinsicht wusste auch Klaus von Dohnanyi Interessantes zu berichten. Er riet dem slowakischen Gast nicht nur zum Austritt aus der Eurozone, wenn die Slowakei die erweiterte EFSF nicht ratifizieren sollte. Er fand auch eine passende Formulierung: „Sie werden sich fügen müssen, wenn sie nicht austreten wollen.“ Das hat man in der Deutlichkeit schon Ewigkeiten nicht mehr gehört. Warum sich aber die Slowaken um deutsche Lebensversicherungen sorgen müssen, wusste der ehemalige Hamburger Bürgermeister auch nicht zu erklären. ...“.

Und zum Schluss drehte es sich noch einmal um das Perpetuum Mobile der Geldschöpfung: „...Am Ende präsentierte uns nämlich Anne Will eine Anlageberatung. Dort wurde unverdrossen über die Vorzüge der privaten Geldanlage räsoniert. ...So erfuhren wir von des Staatssekretärs Lebensversicherungen und seinen Kindern als Zukunftsinvestition. Dem breiten Portefeuille des Unternehmers aus Nürnberg. Unglücklicherweise wurde die Deutschland-Korrespondentin von CNBC, Silvia Wadhwa, zum Dienst am Anleger verpflichtet. Sie vermittelte vorher durchaus interessante Einsichten, etwa „dass sich Politiker nicht immer von den Banken ins Bockshorn jagen lassen sollten.“ Das brauchen die Banken aber gar nicht zu befürchten. Offenkundig leben wir in einem ideologischem Vakuum, wo alles möglich ist. Selbst kurz vor dem Zusammenbruch des Kartenhauses „Kapitalmarkt“ wird unverdrossen weiter dieses Kartenhaus als gutes Investment betrachtet. “

Im ideologischen Vakuum vollständig hirnentkernter Politik gilt nicht nur der Maastricht-Vertrag, nein auch gleich das Grundgesetz als „Scheiße“, wie der CDU Kanzleramtsminister Pofalla am folgenden Donnerstag der Entscheidung klarstellte: „Der CDU-Politiker und Kanzleramtsminister Ronald Pofalla gerät wegen seiner Beschimpfung von Parteikollege Wolfgang Bosbach zunehmend in die Kritik....Wie mehrere Medien am Wochenende berichteten, soll der Minister den langjährigen Parlamentarier am Montagabend am Ende einer Sitzung des nordrhein-westfälischen CDU-Bundestagsabgeordneten mit Sätzen wie „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“ angegangen sein. Unter Berufung auf Anwesende zitieren unter anderem „Spiegel Online“ und mehrere Zeitungen des Springer-Verlages Pofalla mit „Du machst mit Deiner Scheiße alle Leute verrückt“. Als Bosbach zu beschwichtigen versucht und zu Pofalla sagt: „Ronald, guck bitte mal ins Grundgesetz, das ist für mich eine Gewissensfrage“, habe dieser schon auf der Straße vor seinem Dienstwagen geantwortet: „Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe.“...“.

Wenig beschwichtigend die Worte Seehofers, der selbst bei der Abstimmung mit Ja stimmte und also den verlängerten Rücken einkniff, obwohl im Vorfeld wenigstens eine Enthaltung zu erwarten gewesen wäre: „...Der bayerische Ministerpräsident Seehofer warb um Verständnis für die Abweichler von der Regierungslinie zum Euro-Rettungsschirm. In der „Welt am Sonntag“ sagte er, für ihn sei es immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, „dass eine große Volkspartei eine Bandbreite an Positionen aushalten muss“. Eine Regierungspartei dürfe auch Handlungsfähigkeit nicht als Vorwand nehmen, jede Diskussion abzudrehen. Er sei selbst „öfter mal in einer Außenseiterposition“ gewesen und wisse genau, wie sehr einem dann zugesetzt werde. ...“. Das das Grundgesetz vielleicht doch keine „Scheiße“ sei, ist aber bislang seitens der Regierungskoalition noch nicht offiziell dementiert worden.


Nun, die Abweichler vom Donnerstag haben großen Mut bewiesen, insbesondere die aus der regierenden Koalition. Denn diese Politiker riskieren de facto Kopf und Kragen, ihre politische und auch ökonomische Existenz und Standards. Helden, weil sie es als Politiker einer Regierungspartei wagen, sich vom Mainstream zu entfernen und sich nicht durch Machtgerangel, Euronarretei und Fraktionszwang unterkriegen ließen. Das ist schon eine enorme Leistung, denn wer querschießt hat im Politikcircus praktisch keine dauerhafte Überlebenschance. Er setzt persönlich also viel aufs Spiel um wenigstens ein kleines Tor der Vernunft offen zu halten. Zwar gibt ihnen die „Scheiße“ das Recht auf ihr Gewissen, aber Macht- und Koalitionszwang sind in aller Regel die weit stärkeren Stellfedern. Die 15 Abweichler der Koalition sind daher zweifellos Helden der Demokratie und des Widerstandes gegen den organisierten Wahnsinn zum Schutze der Großvermögenden und zum Nachteil der Schaffenden Steuerzahler einschließlich der Unternehmen. Die Mittel, die diese zur Zeit noch anstreben, sind natürlich auch untauglich, selbst eine Verkleinerung der EURO-Union bringt nichts, auch nicht, wenn nur noch die BRD übrigbleibt. Das Kernproblem ist nun mal der viel zu hohe totale Kapitalkoeffizient. Und da braucht man ganz andere Strategien.

Die Kern-Gruppe der Helden der „Donnerstagsresistance“, die aus der Regierungskoalition mit Nein stimmten, waren:

CDU

Wolfgang Bosbach
Thomas Dörflinger
Alexander Funk
Manfred Kolbe
Carsten Linnemann
Klaus-Peter Willsch

CSU

Herbert Frankenhauser
Peter Gauweiler
Josef Göppel
Thomas Silberhorn

FDP

Jens Ackermann
Frank Schäffler
Torsten Staffeld

Die 15 werden vervollständigt durch die zwei Enthaltungen:

CDU Veronika Maria Bellmann
FDP Sylvia Canel

Ebenso im Dissens mit der EU-Seeligkeit der Antiökonomen ihrer Parteien waren:

GRÜNE Hans-Christian Ströbele
SPD Wolfgang Gunkel
SPD Ottmar Schreiner (Enthaltung)

DIE LINKE stimmte komplett dagegen, was ebenfalls aufrichtig ist, allerdings faktisch ein geringeres Problem für diese Abgeordneten darstellte, da ja hier die Fraktionsdisziplin gewahrt wurde (70 Nein, 6 Abwesend).

Der Abstimmungszirkus geht demnächst weiter. Der Donnerstag war nur die Voraussetzung den EFSF deutlich zu erweitern und damit den nahtlosen Übergang zur ESM zu gewährleisten. Die unmittelbare Abstimmung über den ESM Vertrag liegt danach noch an und soll genauso durch gewinkt werden.

Wer aber den Vertrag aufmerksam liest, der sieht schon dass diese neben der Kontraproduktivität, noch etwas ganz anderes implementiert hat: Der Vertrag ist per Konstruktion nicht nur eine weitere das Problem des Kapitalkoeffizienten verstärkende Investmentbank, sondern quasi eine regelrechte Aufforderung zu Selbstbedienung, Korruption und Misswirtschaft. Denn die Konstruktion ist aberwitzig: alle Rechte einer Investmentbank einerseits inklusive finanztechnischer Hebel, aber andererseits völlige Freiheiten und Immunität für ein überpersonalisiertes Management, Selbstbestimmung über den Etat und darüber ob man Steuern zahlt oder nicht, und wenn, dann an sich selbst.

Das kann nicht nur, das muss zu einer Skandalbehörde oder gar zu einer überstaatlich legalisierter Räuberhöhle führen. Es wird schon damit anfangen, dass man sich gleich nach Betriebsaufnahme großzügige und steuerfreie Boni auf Steuerzahlerkosten einräumt. Das Argument wird so selbstgefällig wie überzeugend sein: „Das machen die anderen Investmentbanken auch, und ohne diese Boni könnten wir unser eigenes Spitzenpersonal sonst unmöglich halten, das magere Grundgehalt reicht dazu nicht aus...wir tun es nicht gerne, aber leider, leider sind die zusätzlichen Boni alternativlos.“

Nun, das Spitzenpersonal besteht aus: „ Art 4 1. Der ESM hat einen Gouverneursrat, ein Direktorium, einen Geschäftsführenden Direktor sowie die als erforderlich erachtete Anzahl von ausschließlich für den ESM tätigen Mitarbeitern. ...Art 5 1. Jedes ESM-Mitglied hat ein Gouverneursratsmitglied und ein stellvertretendes Gouverneursratsmitglied zu bestellen, die jederzeit wieder abberufen werden können. Art 6 1. Jedes Gouverneursratsmitglied bestellt einen Direktor sowie einen stellvertretenden Direktor; ...“

Also, man setze sich erst mal hin, aus 17 EURO Ländern also je ein Gouverneur und ein Direktor, jeder mit einem Stellvertreter. Das macht summa sumarum 69 Spitzen, denn es kommt der geschäftsführende Direktor noch hinzu (Art.7)! Wie soll man dieses superqualifizierte Spitzenpersonal aus den nationalen Finanzprofis der dort regierenden Parteien nur ausreichend bezahlen, damit sie nicht gleich wieder gehen? “Artikel 31: Befreiung von der Besteuerung, Absatz 5: Das Personal des ESM unterliegt für die vom ESM gezahlten Gehälter und Bezüge nach Maßgabe der vom Gouverneursrat zu beschließenden Regeln einer internen Steuer zugunsten des ESM. Ab dem Tag der Erhebung dieser Steuer sind diese Gehälter und Bezüge von der staatlichen Einkommensteuer befreit.“. Na dann ist ja alles gut, ob die Boni besteuert werden bestimmt also die ESM einvernehmlich selbst, und falls überhaupt welche gezahlt werden, dann fließen diese „Steuern“ auch gleich wieder in den eigenen Beutel. Nun gut ich verstehe, Steuern zahlen ist was für Doofe.

Natürlich wird eventuelles Fehlverhalten streng kontrolliert: „Artikel 30: Immunitäten von Personen 1. Die Gouverneursratsmitglieder, stellvertretenden Gouverneursratsmitglieder, Direktoren, stellvertretenden Direktoren, der Geschäftsführende Direktor und das Personal genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit in Bezug auf ihre amtlichen Schriftstücke, jedoch nicht, wenn und soweit der Gouverneursrat diese Immunität ausdrücklich aufhebt.“. Letzteres wird es sicherlich sofort mit der notwendigen 2/3 Mehrheit des Gouverneursrat machen, sobald auch nur der Hauch eines Verdachtes der Selbstbedienung auf eines ihrer Mitglieder fällt. Und damit schon im Vorfeld ganz bestimmt nichts schief geht hat man für seine Berater, Bekannten und Freunde aus der Finanzbranche ein Recht zur „Beobachtung“ bei allen Entscheidungen und auch im Direktorium selbst gesorgt (Art. 5 (4) und Art. 6 (4)). (P.S.: Da sich die Immunität auch auf alle Dokumente und Internas bezieht, haben die nationalen Parlamente weder das Recht noch die Möglichkeit eine Kontrolle auszuüben. Die ESM kann machen was sie will, ohne das es einer erfahren kann bzw. darf. Ali-Baba und die 68 Räuber lassen grüßen.)

Wenn man schon Mist baut, dann aber auch gleich gründlich. Ich frage mich welcher Demokrat mit funktionierendem Gewissen, und welcher EU-Begeisterte mit gesundem Menschenverstand, gewillt ist ein solch dreistes Machwerk der Rechtspflege zu unterschreiben? Die nächsten Abstimmungen werden es uns zeigen.

2 Kommentare:

  1. Hallo,

    niemand bringt irgendetwas zu Fall.
    Man lese:http://www.peter-bleser.de/upload/PDF-Listen/E-Mail-Info_Eurostabilisierung/Entwurf_Vertrag_ESM.pdf

    Artikel 43: 1. Dieser Vertrag tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf den Tag folgt, an dem die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden von den Unterzeichnerstaaten hinterlegt wurden, deren anfängliche Beiträge mindestens 95 Prozent der in Anlage 2 aufgeführten Gesamtbeiträge entsprechen. Gegebenenfalls wird die Liste der ESM-Mitglieder angepasst; ....

    Man staune:
    Republik Slowenien 0,4276 %
    Slowakische Republik 0,8240 %

    Grüße, ein Mensch.

    PS: Ich habe Ihr Buch quer gelesen. Sollten Sie wirklich der erste sein der diese Zusammenhänge erkennt und niederschreibt? Ich bin fassungslos, auch wegen der Ausweglosigkeit.

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  2. Mehr als ausgezeichneter Artikel!! Mit Vergnügen gelesen. Ich verweise als alter Ludwig Erhard Anhänger auf folgendes Aussage des Professors:
    Frechheit und Dummheit sind immer gepaart. Es ist ein grandioser Irrtum, wenn ein Volk oder ein Staat glaubt, eine inflationistische Politik einleiten und betreiben, sich aber gleichzeitig gegen deren Folgen absichern zu können.
    Dies kommt dem Versuch gleich, sich an den eigenen Haaren hochheben zu wollen.

    Diesem Zitat ist nichts mehr hinzuzufügen. Sollte das "Ermächtigungsgesetz" ESM von den Abgeordneten in dieser Form abgesegnet werden, müssen sich diese später folgender Konsequenz stellen:
    Zitat Robert Kempner, Ankläger im Nürnberger Prozess:
    Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn es die Herrschenden für Recht erklären!
    MfG
    ManfredP

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