Donnerstag, 25. Juni 2009

310 Milliarden oder: Wahrheiten haben kurze Beine


Den Neuverschuldungsbedarf der kommenden Legislaturperiode beziffert Finanzminister Steinbrück zur Zeit auf über 310 Mrd. Euro. Gerne hätte man diese Wahrheit bis nach der Wahl aufgespart. Aber egal, es ist sowieso nicht mal die halbe Wahrheit.

Lügen haben kurze Beine, sagt man, weil sie im Allgemeinen eben nicht weit kommen. In der Politik ist das jedoch eher umgekehrt. Vor jeder Wahl, und da gibt es wegen des Föderalismus fast jedes Jahr eine wichtige, wird viel versprochen, Balken gebogen und Wahlgeschenke verpackt. Das hat noch immer funktioniert, und man ist ganz schön weit damit gekommen. Bis ganz ans Ende der Fahnenstange, und nun sind es eben die Wahrheiten, deren verkümmerte Beine ganz kurz geworden sind.

"Was die Folgerungen betrifft, bleibt er selbst im Nebulösen. Er werde sich vor der Wahl in "keinerlei Weise festlegen", sagt er,...Er werde den "Teufel tun", drei Monate vor der Bundestagswahl "Stichworte in die öffentliche Debatte zu werfen", bei denen er fünf Tage brauche, "um die Stange wieder geradezubiegen". " zitiert der Spiegel den Finanzminister.

Immerhin ist Steinbrück damit noch der Ehrlichste im aktuellen Wahlkampfgerangel der Großkoalitionäre und der Möchtegernekoalitionäre, denn angesichts der Misere deutet er vorsorglich sogar die nächste Wahrheit mit kurzen Beinen an: "Dass die Nettokreditaufnahme am Ende noch höher liegen könnte, wenn die Kosten aus den Konjunkturpaketen I und II und dem Bankenrettungsfonds Soffin hinzukommen, das räumt er gleich zu Beginn ungefragt ein. Zahlen nennt er nicht, doch wird in Berlin von einer Nettogesamtneuverschuldung von 100 Milliarden in 2010 ausgegangen.".

Selbstverständlich wird auch das nicht reichen. Die Risiken für die HRE "Rettung", die Bürgschaften für Banken und Industrien und die anstehende Bad Bank werden bewusst zu niedrig angesetzt: "Die Gefahr ist groß, dass sich der Bund schon im laufenden Jahr weit höher verschulden muss als ursprünglich geplant. "Hier lauert eine Zeitbombe", warnt Fricke, "und sie tickt mit jedem Tag lauter."" zitiert das Manager-Magazin.

Und die steigenden Belastungen aus den Pleiten der EU-Randländer und deren Amlebenerhaltung durch IWF und EU-Fonds, die werden erst garnicht in Erwägung gezogen. Aber allein die Verbindlichkeiten aus der HRE/Depfa, die im Verlauf der nächsten Legislaturperiode fällig werden, bringen locker noch einmal 300 Mrd. auf den Kopf des Steuerzahlers. Von der Bad Bank mal ganz zu schweigen.

Über den Daumen gepeilt werden rund 1000 Mrd. bis 2013 fällig, und das ist keinesfalls der worst case! Über dasselbe Glied gepeilt stehen dann einem auf 2000 Mrd. geschrumpften BIP rund 2600 Mrd. Staatsschulden gegenüber. Ein unhaltbarer Zustand, unhaltbar jedenfalls für eine funktionierende Demokratie. Und gleichzeitig werden steigende Renten vereinbart, Steuererleichterungen für Alle und was sonst noch gut ankommt beim vermeintlich "dummen" Wähler.

Auch hier haben die Wahrheiten kurze Beine: "Erst runter, dann wieder rauf - zum Wahlkampf sinkt der Beitrag für alle gesetzlich Krankenversicherten, doch die Entlastung ist wohl nur von kurzer Dauer. Viele Krankenkassen werden 2010 Zusatzprämien verlangen, weil ihnen sonst das Geld ausgeht, warnt jetzt deren Spitzenverband." schreibt der Spiegel. "Den Kassen bleibe nach den Worten Pfeiffers kaum ein anderer Ausweg. Ihr finanzieller Spielraum sei schon jetzt knapp. "Wir erwarten, dass das Liquiditätsproblem 2010 größer wird." Sobald die ersten größeren Kassen Zusatzbeiträge einführten, würden weitere nachziehen. "Ich gehe davon aus, dass es irgendwann einen Dammbruch geben wird, wenn die ersten damit rauskommen", sagte Pfeiffer.". Was für den Kassenfachmann mit gesundem Menschenverstand schon auf der Hand liegt, ist für Spitzenpolitiker natürlich nicht nachvollziehbar: "Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder wies die Warnungen als "völlig spekulativ und nicht nachvollziehbar" zurück. "Wer heute über steigende Defizite redet, oder gar von flächendeckenden Zusatzbeiträgen redet, betreibt pure Spekulation", sagte er.".

Nun, die Beine werden immer kürzer. Die Wahrheit ist: Alle Beiträge für alles und jedes müssen angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit, sinkendem BIP und rasant steigenden Staatsschulden zunehmen. Die Wahrheit ist: Alle Ausgaben für alles und jedes müssen völlig konträr dazu sinken! Die Wahrheit ist: Der arbeitende Bürger bekommt für immer mehr Belastung immer weniger heraus. Das war in kleinerem Ausmaß zwar schon immer so, aber jetzt nimmt diese Entwicklung ganz rasant Fahrt auf. So wie auf der Achterbahn am schönsten Stück...nur das diesmal keine Kurve mehr da ist, die die Karre wieder auf die Ausgangshöhe zurückbringt.

Die Wahrheit ist auch: Die Schuldenbremse ist eine Farce, abgesehen davon, dass sie auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt ist, sie bedeutet, wenn man sie ernst nehmen würde, eine unabsehbare Drangsalierung des Bürgers, insbesondere des Mittelstandes. Die Wahrheit ist auch: Die Krise liegt nicht darin begründet, das zu wenig Geld da sei, das zu wenig produziert werden kann oder dass zu wenig konsumiert werden könnte, die Wahrheit ist dass das Geld nur viel zu aufgebläht und völlig unzweckmässig verteilt ist. Die Wahrheit ist, dass der Karren so tief im Dreck steckt, dass er sich nicht mehr retten, sondern nur neu bauen lässt. Die Wahrheit ist: Man kann es drehen und wenden wie man will, es geht kein Weg an einer internationalen und unparitätischen Währungsreform vorbei.

Die Wahrheit ist auch: Wenn man das nicht sehr bald verbalisiert und klar macht, werden die westlichen Demokratien das mittelfristig nicht überleben. All das und vieles mehr sind Wahrheiten, die auf ihren kurzen Füßchen nun pö a pö ins renovierungsbedürftige Haus der Demokratie eintreten. Man kann sie abweisen, aber sie werden nicht aufhören, die Türglocke zu läuten.

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