Mittwoch, 19. August 2009

Berliner-Bären-Bude: Die Abwracker


Der Bundestagswahlkampf dümpelt so vor sich hin. Richtig Feuer geben mag zur Zeit noch Keiner, das scheinbar dringendste Problem der Republik scheinen die Dienstfahrten der Ulla Schmidt zu sein. Finanz-, Wirtschafts-, Verschuldungs-, Systemkrise? Welche Krise? Lieber nicht dran rühren, ist die Devise. Im Gegenteil, kaum meldet das Statistische Bundesamt eine kleine Quartalserholung für das BIP, schon rufen Ökonomen und Politiker bereits das Ende allen Unbills aus, orakeln bereits den kommenden Aufschwung, Abbau der Schulden, Steuersenkungen und profitable Arbeit für Alle herbei. Weiter so, es war nur eine kleine Delle, und die haben wir in Berlin prächtig gemanagt.

Zudem haben die Börsen in den letzten Wochen ordentlich zugelegt, auf den ersten Blick scheint es also wieder aufwärts zu gehen. Aber tut es das wirklich und nachhaltig? Die 0,3% Quartalserholung ist schließlich nicht viel mehr als eine unsichere statistische Schwankung, zudem mit der Abwrackprämie sündhaft teuer erkauft. Und die Börse ist nun mal nicht die Wirtschaft, auch wenn das allzu oft mit einander gleichgesetzt wird: Sie ist lediglich ein Spekulationsbarometer, welches die kurzfristigen Erwartungshaltungen der beteiligten Finanzjongleure wieder spiegelt. Und die sind kein geringeres Orakel.


Schauen wir also mal genau auf diese Finanzen, deren gesamtwirtschaftliche Summe von der Bundesbank (Zeitreihe OU0308; alle Graphiken können durch Anklicken vergrößert werden) regelmäßig ausgewiesen wird. Die erste Graphik zeigt die Entwicklung der Gesamtaktiva/Passiva der deutschen Kreditinstitute seit 1950. Wir sehen den bekannten exponentiellen Anstieg der Vermögen, der letztlich aus der natürlichen Zinseszinsproblematik entsteht, welcher zum ersten mal um das Jahr 2000 einen Knick bekommt. Die DotCom-Krise lässt die Zunahme stagnieren, um nach kurzer Zeit wiederum exponentielle Fahrt aufzunehmen. Endlich, in 2008, passierte etwas historisch einmaliges: Die Aktiva/Passiva nehmen tatsächlich ab, wenn auch nur marginal. Es ist jedoch der Hinweis auf eine grundlegende Änderung: Erstmals seit der Währungsreform 1948 müssen tatsächlich, in der Gesamtbilanz, erkennbar Vermögen abgeschrieben werden.


Die zweite Graphik zeigt uns daher den rechten Ausschnitt nur der letzten 5 Jahre. Im Oktober 2008 wurde der historische Höchststand mit 8093 Mrd. Euro, gegenüber einem BIP von 2490 Mrd. Euro in 2008, erreicht. Das Aktiva/BIP-Verhältnis erreichte das ungesunde Verhältnis von A/B = 3,25. Seit dem musste einiges abgeschrieben werden. Eigentlich weit mehr, aber die Politik tat alles nur mögliche, um genau dieses gerade zu verhindern. Dafür wurden dem Steuerzahler gigantische Schulden und Risiken aufgeladen. So wurden bislang gerade einmal die Aktiva von 8093 auf 7772 Mrd. Euro (6/2009) reduziert, also um etwa 4%. Viel zu wenig um den Verlust im BIP von 7,1% gegenüber dem Jahresvorquartal auszugleichen, das A/B-Verhältnis hat sich weiter verschlechtert, aber satt und genug um die Finanzwirtschaft in hellste Aufregung zu versetzen.


Deutlicher wird das Problem, wenn man statt der absoluten Zahlen die Gewinne/Verluste der gesamten Finanzwirtschaft auf Monatsbasis der Differenzen zwischen den Jahren betrachtet, also etwa die Differenz zwischen dem Februar 2006 und Februar 2005 usw. Auch hier wieder das Bild der letzten 5 Jahre. So wurden die notwendigen Ergebnisse ( mind. 5% von ca. 8000 € sind 400 Mrd. €) nach der DotCom-Krise erst wieder ab etwa 2007 erreicht um nach den Übertreibungen der Subprime-Weiterverbriefungen (+560 Mrd.€) Ende 2008 zu kollabieren. Dank der freundlichen Umschuldung auf die Staatsfinanzen konnte ein echter Absturz der Großvermögen verhindert werden, wenn auch nicht ganz, in 05/2009 musste ein echter Verlust von –39 Mrd. € hingenommen werden, der sich in 6/2009 durch eine neuerliche Jahreszunahme von 27 Mrd.€ schon wieder abmildert, Steuerbürger sei Dank.


So richtig prickelnd wird es erst, wenn wir wieder die historische Gesamtschau heranziehen. In der vierten Graphik daher die gleiche Gewinn/Verlust-Rechnung der Aktiva/Passiva seit 1951 bis heute 6/2009. Für die Mathematikinteressierten vorab eine Erläuterung: Da die Aktiva/Passiva nach einem Exponentialgesetz wachsen A=a*exp(b*t), ist deren Ableitung natürlich ebenfalls eine Exponentialfunktion, nämlich dA/dt=a*b*exp(b*t). Nichts anders als die erste Ableitung nach der Zeit ist wiederum genau die hier dargestellte Gewinn/Verlustrechnung. Rot eingetragen sehen wir nun die tatsächlichen Gewinne der Gesamtaktiva/Passiva nach den Zahlen der Bundesbank, Grün eingezeichnet die aufgrund einer gesunden Verzinsung (knapp 5%) tatsächlich notwendigen Renditen. Zunächst funktioniert dies auch prächtig, auch nachdem 1971 die letzte Deckung des Geldes durch Sachwerte wie Gold aufgegeben wurde. Allerdings beginnt die Kurve nun unruhiger zu werden, denn aufgrund der reinen Schuldendeckung neigt das Finanzsystem eher zum Zocken und Übertreiben.

Deutlich wird dies etwa bei der Wiedervereinigung. Dabei wurde der deutsche Währungsraum schlagartig vergrößert und für die DDR-Mark unrealistische Gegenwerte ausgezahlt. Diese Subvention landet wie immer zunächst mal auf den Konten der Begünstigten und erzeugt den gewaltigen Peak um 1990. In den Folgejahren bis etwa 1994 sehen wir die Investitionsblase DDR, das ist der kleinere Peak direkt hinterher. Das die blühenden Landschaften nicht unmittelbar aus dieser Gigainvestition entstanden, sondern blasenartig gleich wieder zusammen brach, ist auch darauf zurück zu führen, dass für die Erzeugung von Geld es eben völlig ausreichend ist, Schulden zu schaffen. Und einem möglichst unbeteiligten Dritten, etwa dem Steuer- und Abgabenzahler, zu zuschanzen. Eine tatsächliche Schaffung von Produkten und Werten war nämlich nicht notwendig, das Errichten von subventionsfinanzierten Bauruinen ist dagegen völlig ausreichend, und, einfacher und vor allen Dingen schneller zu bewerkstelligen.

Als nächstes kommt dann die Übertreibung der DotCom-Krise, als man durch den Verkauf von windigen Aktien selbst unterfinanzierte Garagenklitschen der IT-Industrie zu Milliardenunternehmen hochjubelte. Der Crash folgte auf dem Fuße und damit aber auch eine Zeitenwende: Konnte man zuletzt noch mit der DotCom-Übertreibung die eigentlich notwendigen(!) Renditen eintreiben, so rutschte man nun in die Zone ab, in der die notwendige Verzinsung der Kapitalien aus dem BIP technisch gar nicht mehr möglich ist.

Trotzdem versucht die Finanzindustrie nunmehr das, wofür sie ja auch da ist: Die Renditen ihrer gigantischen Aktiva/Passiva wieder an die Steigung der grünen Exponentialfunktion heranzuführen. Das kann aber nicht mehr auf Dauer funktionieren, denn das BIP ist seit dem „Break 2000“, als das Aktiva/BIP-Verhältnis etwa den Wert 3 überschritt, gar nicht mehr in der Lage das über 60 Jahre angesammelte Kapital mit den notwendigen Verzinsungen zu bedienen. Deswegen suchte man sich ein neues Verkaufsmodell für sein überflüssiges Kapital, so den Verkauf von Krediten an Leute, die sich diesen eigentlich gar nicht leisten konnten, und schließlich sogar die Weiterverbriefung von Paketen dieser sowieso fast wertlosen Kredite zu Spekulationspreisen an Möchtegernegroß-Banken. Der nächste, noch größere Crash erfolgte dann 2008.

Und wenn jetzt die Wirtschaft, dank gewaltiger Kostenübernahme der Steuerbürger, tatsächlich etwas Fuß fasst, dann ist der nächste Crash nicht weit. Denn man kann es als Gier bezeichnen, aber in Wirklichkeit ist es die Notwendigkeit eines aus den Fugen geratenen Systems: Die Finanzinstitute unternehmen nun erst recht jeden nur möglichen Winkelzug um weiter ihre notwendigen Renditen aus dem, nun erstmals kleiner gewordenen, BIP heraus zu prügeln. Sie können gar nicht anders, denn ihre Kunden verlangen das mit größter Vehemenz. Eine Abkehr vom Szenario der letzten Jahre ist daher reine Illusion, ein großer, dicker, Berlinerbär auf unserer Nase eben.

Aber auch die Berliner-Bären-Binder haben selbst einen solchen Bären auf die Nase gebunden bekommen: Zwar läge der einzige Ausweg aus dem Dilemma in weltweit massiven Abschreibungen; so etwa müssten sich in Deutschland die Vermögen im Verhältnis zum BIP mindestens halbieren, um einen annehmbaren Effekt zu erzielen. Die westlichen Demokratien unternehmen aber gerade das Gegenteil, sie tun alles um solche Abschreibungen zu verhindern. Und das zum Preis einer totalen Verschuldung und mittelfristig resultierenden Handlungsunfähigkeit des Staates, es grenzt an Selbstmord oder Hochverrat, je nach dem, wie man es sehen möchte.

Man kann unseren Parlamentariern zwar einiges unterstellen, aber das sie das eine oder andere davon wirklich wollen, eigentlich nicht. Warum aber handeln sie trotzdem so unvernünftig? Die Antwort liegt in der Funktion der Ökonomen begründet und deren Einstellung in Bezug zum Kapital, das wiederum die Entscheidungen von Bankern und Politikern entscheidend beeinflusst. Denn die Möglichkeit einer negativen Rückkopplung von zuviel Kapital auf die Wirtschaft wird von allen Standardlehren der Ökonomie faktisch negiert. Die Logik dahinter ist (a) in einer Kredit getriebenen Wirtschaft, und das ist bei uns der Fall, fördert reichlich Kapital das Wachstum. (b) Wenn Kapital am Markt zu wenig verfügbar ist, dann muss man ggf. auch aus dem Ausland oder sogar Staatlicherseits, nur reichlich Kapital hinein locken bzw. pumpen, (c) und, falls zuviel Kapital da ist, schadet das prinzipiell auch nichts, denn wer keinen Kredit haben möchte, braucht ja auch keinen zu nehmen. Im Gegenteil, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgend, sollten dann sogar die Kreditzinsen sinken, was die Wirtschaft nur zusätzlich beflügelt. (d) Inflations- oder Deflationsgefahren kann man mit geeigneter Zinspolitik jederzeit entgegen steuern.

Nun, so sehr das in Zeiten ausgeglichener Aktiva/BIP-Verhältnissen wahr ist, so falsch ist es in Zeiten ausufernder Vermögen. Vor allen Dingen ist c) dem Grunde nach falsch. Denn die Verwalter der Vermögen, also die Finanzinstitutionen, leben davon , diese ihnen anvertrauten Vermögen zu vermehren. Und zwar jedes Jahr, und selbst die durchschnittliche Rendite von 5% ist den Vermögensbesitzen viel zu wenig. Die Erwartungshaltungen liegen durchweg im zweistelligen Bereich. Aufgrund der Zinseszinsschere zwischen BIP und Aktiva (Kredite und andere Finanzprodukte; und diesen in gleiche Höhe entgegen stehenden Passiva(Vermögen)), geht diese Rechnung nach 60 Jahren eben nicht mehr auf. Es entsteht ein ungleicher Kampf der Interessengruppen, auf der einen Seite der Großvermögen und auf der anderen Seite die Durchschnittsbürger und Kleinsparer. Kein Vermögensbesitzer wird je auf seine Renditen verzichten wollen, nur weil aus der Arbeit der Arbeiter und Angestellten nicht mehr genügend herausgezogen werden kann. Dann greift man eben zu anderen Methoden, so zum Beispiel etwa Hedgefonds, deren Geschäft im Prinzip daraus besteht, wackelige Firmen zu kaufen, gewinnbringend zu zerschlagen und die gegenüber stehenden sozialen Kosten dem Steuerzahler aufs Auge zu drücken.

Die nächsten Zacken, die nächsten Blasen in letzter Graphik stehen uns also bevor, und die Abstände werden kleiner und die Auswirkungen immer dramatischer werden. Solange bis die Zusammenhänge endlich einmal begriffen werden. Im Kampf der Interessengruppen werden sich die Demokraten entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen möchten: Auf der Seite des Kapitals oder auf der Seite des Durchschnittbürgers; ob sie die Demokratie erneuern oder abwracken wollen.

Eine Demokratie ist ohne Fairness, ohne Transparenz, und ohne allgemeinen Wohlstand zum Scheitern verurteilt. Insbesondere wenn sie dem Bürger nicht erklären kann, warum sie hunderte und tausende Milliarden zur Sicherung riesiger Vermögen ausgibt, aber gleichzeitig dem Bürger Steuern, Abgaben und Gebühren erhöht, Leistungen aller Art zurück fährt und nicht mal 1000 Euro für die Renovierung eines Kindergartens entbehren kann. Wenn sie sich nicht rechtzeitig für die richtige Seite entscheidet, läuft sie Gefahr unter zu gehen. Die nächste Legislaturperiode stellt genau diese Anforderungen an die unglücklichen Gewinner des herbstlichen Machtkampfs in der Berliner-Bären-Bude.

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