Donnerstag, 17. September 2009

Weimar 2.0: Wer hat die Kraft?


Nun, welche Koalition wird in der nächsten Legislaturperiode die Republik verwalten? Von regieren wage ich nicht zu reden, denn wer auch immer, kann nur noch reagieren. Die Spielräume des Staates sind angesichts bereits zugegebener zusätzlicher Kredite von 500 Mrd. Euro für Bund, Länder und Gemeinden bis 2013 faktisch Null.

Nach den Umfragen wird es für eine schwarz-gelbe Koalition reichen. Einerseits könnte es schon in absoluten Zahlen langen. Andererseits wird die numerisch stark geschrumpfte Union zwar nur 35+ Prozente erreichen, aber gleichzeitig zweifellos die mit Abstand meisten Direktmandate erringen. Aufgrund dieses gegenläufigen Effektes wird es zu einer großen Anzahl von Überhangsmandaten gerade bei der CDU kommen. Nach kompetenten Rechnungen könnten daher sogar 46% der Stimmen für Union/FDP gegenüber 49% für SPD/Grüne/Linke schon ausreichen.

Trotzdem sollte man nicht sicher von schwarz-gelb ausgehen. Denn angenommen man erreicht trotz numerischer Unterlegenheit die Mehrzahl der Mandate, so ist man dann doch mit dem Nimbus der Verfassungswidrigkeit im Amt. Denn das Verfassungsgericht hat die Überhangsmandatsregelung als Grundgesetzwidrig eingestuft, aber die notwendige Änderung des Wahlgesetzes hat noch nicht stattgefunden. Selbst wenn es numerisch reicht: Zusammen mit der FDP kann Frau Merkel nicht davon ausgehen, dass sie in den extrem haarigen nächsten vier Jahren eine Mehrheit in beiden Kammern, Bundestag und Bundesrat, hat. Der zweifellos gewaltige Bedarf an Zustimmung zu den anstehenden Gesetzgebungsverfahren wäre damit wohl kaum gegeben.

Wenn die Wahlforscher doch etwas daneben liegen sollten, dann kämen noch verschiedene Ampeln in Betracht. Etwa Schwarz-Gelb-Grüne, kaum weniger wackelig aus Sicht von Frau Merkel, ehr schon ein Flohzirkus. Oder eben SPD-Grüne-Linke, was aber wegen der Vorfestlegung der SPD schon nicht möglich ist. Dann noch SPD-FDP-Grüne, was die FDP schon definitiv ausgeschlossen hat. Und beides wären natürlich auch Säcke voller Flöhe, bei dem insbesondere die SPD mittelfristig nur verlieren könnte.


Es lauert dagegen die Fortführung der großen Koalition. Der Vorteil liegt auf der Hand: Frau Merkel könnte mit einem eingespielten Team weitermachen. Dabei sind die ideologischen Unterschiede zwischen Steinmeier-SPD und Merkel-CDU weit geringer, sofern überhaupt vorhanden, als wie mit der neoliberalen FDP und ihren von der aktuellen Entwicklung längst überholten Rezepten der 80er-Jahre. Zudem kann man auf eine solide Mehrheit in beiden Häusern und breiter Zustimmung zu den gemeinsamen, und notwendig brutalen, Gesetzesvorhaben zählen.

Aus Sicht der reinen politischen Vernunft sollten Merkel und Steinmeier also wieder eine große Koalition anstreben, selbst wenn es für eine numerische Überlegenheit von CDU/CSU/FDP reicht. Vielleicht kalkuliert Merkels schwacher Wahlkampf gerade mit der Hoffnung, dass die schwarz-gelbe Mehrheit möglichst dünn ausfällt. Denn nur dann hat Sie alle Möglichkeiten und Entscheidungen in eigener Hand. Eine klare unzweideutige Mehrheit für schwarz-gelb würde ihr dagegen eine selbstständige Entscheidung entgegen dem FDP-Wunsch einiger CDU-Granden unmöglich machen.

Wer also ins Wettbüro gehen möchte: setzen Sie mal 55% ihres Einsatzes auf die große Koalition, 35% auf Union/Fdp und 10% auf eine der drei Ampel nach dem Wahltagballyhoo. Und entsprechend dürfen Sie auf den nächsten Kanzler/in ihren Obolus zu 94% auf Merkel und bestenfalls zu 6% auf Steinmeier setzen.

Nun, die Vorhersage des Wahlausgangs ist vergleichsweise leicht, schwieriger die Vorhersage was uns in der Legislaturperiode bis 2013 erwartet. Bei allem, außer der großen Koalition, ist kaum zu erwarten, dass dieselbe Regierung die sich im Oktober 2009 zusammen finden wird, in 2013 auch wieder zur Wahl antritt. Denn ab 2010 werden Rechnungen an den Wähler, vor allem an den Wähler aus dem deutschen Mittelstand, den Zahlmeister der Nation, gestellt werden. Und der reagiert empfindlicher als alle Anderen, er ist der schlafende politische Löwe, den man eigentlich nicht wecken darf.

Da wird man aber nun nicht mehr herum kommen. Denn das Steuer und Abgabenaufkommen wird von dieser, relativ wohlhabenden und politisch einflussreichen, aber numerisch erstaunlich geringen Mitte getragen. Schauen wir daher einmal auf die ungefähren Zahlen: Die Anzahl der offiziell Beschäftigten beträgt in Deutschland um die 40 Millionen. Da fehlen aber noch 43 Millionen bis zur Einwohnerzahl. Denn die „Arbeitslosenstatistik“ weist zur Zeit ja nur 3,5 Millionen Arbeitslose aus, was ist denn mit den anderen 39,5 Millionen?

Das Problem ist: Keine dieser Zahlen weist das tatsächliche Dilemma korrekt aus. So weist die gemeinhin „Arbeitslosenstatistik“ genannte Statistik lediglich die Anzahl der offiziell als Arbeit suchend eingestuften Mitbürger aus. Und die ist schon mächtig geschönt, so sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bürger aus diesen Zahlen heraus definiert worden, so etwa Leute die in ABM Maßnahmen sitzen, Menschen in Fortbildung, angeblich Unvermittelbare, etwa die über 55-jährigen usw. usf. Würde man dieselben statistischen Regeln wie in den 70er-Jahren anwenden, man läge weit über der neuralgischen 5 Millionen Grenze.

Was ist nun mit den 40 Millionen Beschäftigten? Auch das ist keine so aussagekräftige Zahl, wie man meinen möchte. Denn darin enthalten sind wirklich alle, vom 1-Euro-Teilzeit-Jobber über Arbeiter, Angestellte, Beamte und auch Selbstständige und Unternehmer. Und deren tatsächlicher Anteil an der Steuer und Abgabenlast differiert je nach Status ganz erheblich. Geringverdiener zahlen wegen mangelnder Leistungsfähigkeit und hoher Freibeträge praktisch nichts, Hochverdiener wegen der Bemessungsgrenzen relativ weniger in die Sozialabgaben, Beamte und Selbständige sind teilweise oder ganz von den Sozialabgaben befreit, Selbständige und Unternehmer haben zudem eine große Steuergestaltungsfreiheit.

Am schlimmsten trifft es die abhängig Vollzeitbeschäftigten mit einem Verdienst nahe an den Bemessungsgrenze der Sozialbeiträge. Denen wird schon bisher das Fell bis fast auf die Knochen abgezogen, so betragen deren Steuern- und Abgaben (insb. Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Solidaritätsbeitrag, Kirchensteuer...) vom Arbeitgeberbrutto (nicht das Arbeitnehmerbrutto! Die wirkliche Summe sieht kaum einer.) gemessen rund 60%. Da diese, meist Familienmenschen, zudem am Ende des Monats trotzdem einigermaßen blank sind, werden von den restlichen 40% noch mal rund 20% für Konsumsteuern (insb. die MWSt u.a.) kassiert. Summa summarum landen also rund 70% von deren Einkommen in allgemeinen Kassen. Das führt zu dem irren Effekt, dass in der Tatsache 75% der Staats- und Sozialkasseneinnahmen von nur gut 20% der Bevölkerung geleistet werden. 80% der Bevölkerung, eben das wachsende Heer der Beschäftigungslosen und Geringverdiener, insbesondere auch die mehr als 20 Millionen Rentner und Pensionäre, aber auch unfairerweise die wirklich Wohlhabenden, bekommen von Staat und Gesellschaft unterm Strich viel mehr raus, als sie aktuell einbezahlen.

Das war grundsätzlich zwar schon immer so, aber in aller Regel konnte sich der Mittelstand darauf verlassen, dass sie vom Wachstum des Gemeinwohls, und von den großen Kuchen die ganz oben gebacken werden, noch soviel netto ab bekam, dass es sich noch lohnte. Das wird nun anders werden. Schon seit der Jahrtausendwende ging die Rechnung nicht mehr so recht auf, jetzt geht es ans Eingemachte. Diejenigen die so richtig bluten müssen, dass sind in der Tat weniger als 20 Millionen, und allein die bereits zugegebenen 500 Mrd. Neuverschuldung bedeuten, das man jedem von diesen Mitmenschen effektiv 25.000 Euro bis 2013 abknöpfen muss. Oder wenigstens jährlich die Zinsen für dann rund 2000 Mrd. Schulden von Bund, Länder und Gemeinden, was noch schlimmer ist, denn das hört nie auf sondern nimmt jährlich noch zu.


Das wird sich zweifellos bitter rächen. Während am oberen Ende der Gesellschaft gigantische Reichtümer mit Milliarden locker zugesagten Steuergeldern staatlich gestützt werden, nehmen am unteren Ende dagegen Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut und in der Folge Kriminalität, Gewalt und Unsicherheit massiv zu. Der Mittelstand wird zur Kasse gebeten, bei sinkenden Nettoeinkünften, schwindenden Rücklagen, unsicheren Renten, stehen ihm andererseits immer weniger Leistungen des Staates gegenüber. An der Bushaltestelle riskiert er zusammengehauen zu werden, sein geliebtes Mittelklasseauto derweil sich auf Berliner Strassen in Rauchwölkchen auflöst unter dem Gejohle von jugendlichen Chaoten. Polizei und Justiz, die trotz zunehmendem Bedarf unter massiven Einsparungen leidet, kann dem aufkommenden Anarchismus dann immer weniger entgegensetzen.

Dem Staat bleibt derweil neben ständigen Erhöhungen der Steuern, Abgaben und Gebühren sowie dem Herunterfahren von öffentlichen Leistungen, nur die Aufnahme neuer Kredite oder schlicht das Drucken von frischem Geld. Allein die HRE wird in monatlichem Takt Milliardensummen fordern. Und das Problem der Leistungsbilanzunterschiede in der EU wird dramatisch zunehmen. Lediglich Deutschland, und in geringerem Maße die Niederlande, haben einen Überschuss auszuweisen, alle anderen, an der Spitze das bevölkerungsreiche Spanien, haben deftige Defizite, Spanien rund 10%. Da wird die BRD mit regelmäßigen Milliardenspritzen für die EU einstehen müssen, wenn man nicht einen Zusammenbruch der Währungs- und Wirtschaftsunion riskieren will. Das kann nicht ohne einhergehende Inflation gestemmt werden, die wiederum die Einkünfte und Rücklagen des Mittelstandes besonders bedrohen, denn wer keine oder sehr viele hat, den schmerzt das weniger. Die vor kurzem gesetzlich verankerte Schuldenbremse wird dagegen wenig tun. Sie ist sogar kontraproduktiv, denn wenn man sie ernst nimmt, dann wird der Handlungsspielraum des Staates aufs Sparen alleine reduziert. Im Klartext, aufgrund der verfahrenen Situation würde er dann völlig handlungsunfähig sein, was unterm Strich noch viel verheerender ist, als die im Effekt Schulden tilgende Inflation.


In der Folge wird sich die bürgerliche Mitte in zunehmenden Maße von den so genannten Volksparteien abwenden und zu einer Protesthaltung finden. „Wir sind das Volk“, hieß es vor 20 Jahren in der damaligen DDR. Und die Säulen der DDR-Gesellschaft kehrten dem abgewirtschafteten Staat scharenweise den Rücken. Während die DDR-Bürger aber noch eine demokratische, und kapitalistische, Alternative gleich wenige Meter hinter der Mauer hatten, fehlt diese in den nächsten Jahren. Und nicht ganz zu Unrecht werden viele ehemalige Wohlstandsbürger im Angesicht der ungerechten Verteilung der Lasten skandieren: „Wer hat uns verraten? Demokraten, Demokraten!“ und damit zu den radikalen Parteien am linken und vor allem zu dem, einfacher strukturierten, rechten Ende der Gesellschaft überlaufen.

International werden zudem weitere noch ungedachte Probleme auftauchen. Mit dem inflationieren des Dollars, aber auch des Euros und dem möglichen Entstehen einer asiatischen Weltwährung, werden sich mittelfristig Machtverhältnisse in der Welt verschieben. Denn Militärmacht ist in erster Linie Wirtschaftsmacht, da eine Armee die nicht mehr ausreichend finanziert wird, so zerfällt, wie es auch die Sowjetarmee tat. Ergo wird die westliche Ordnungsfunktion zunehmend durch eine östliche abgelöst werden, und damit werden sich die Verhältnisse, gerade für Europa grundlegend verändern. Denn die Gewichte, wen oder was man zu welchem Preise zu schützen bereit ist, werden sich kräftig verschieben.

Das ist die Hybris, die uns in den nächsten vier Jahren näher kommt. Beim besten Willen kann ich keinen Beneiden, der in dieser Situation den Auftrag bekommt, für uns die Kohlen aus dem Feuer zu hohlen, schon gar nicht mit einer schwachen Mehrheit. Er kann sich nur die Finger verbrennen. Insofern wäre es das beste, und auch gerechteste, wenn dieser Auftrag an die geht, die den Schlamassel angerichtet haben. Beziehungsweise die so unklug waren, sich die Rettung der Supervermögen von der Finanzwirtschaft als gemeine Staatsaufgabe aufschwatzen zu lassen.

Also denn, Mission: Impossible

„Guten Morgen, lieber Koalitionär. Die Mission ist die Sanierung des Finanz- und Wirtschaftsystems und die Rettung der Demokratie. Sollten Sie oder jemand aus Ihrer Regierung gefangen genommen, getötet oder sogar abgewählt werden, wird der Volkssouverän jegliche Kenntnis dieser Operation abstreiten. Dieses Blog wird sich in fünf Sekunden selbst vernichten. Viel Glück, Angela. Merkel, übernehmen Sie!“

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