Mittwoch, 17. Februar 2010

Der 5% Demagoge

Der Wahlkampf für NRW Anfang Mai tobt bereits. Wie immer geht es um Positionierung für das entscheidende Rennen am Wahltag. Für die Schwarz-Gelbe-Koalition steht dabei einiges auf dem Spiel. Verliert sie in NRW und danach im Bundestag ihre strategische Mehrheit, dann könnte es ihr wie Schröder nach der letzten NRW Wahl 2005 ergehen. Dementsprechend blank liegen dort die Nerven. Besonders der absolut chaotische Start der neuen Koalition ist nach wie vor im Argen. Hauptverantwortlicher für das Jammertal ist der nassforsche Guido Westerwelle, der sich nun als Martyrer der Mittelschicht inszenieren möchte. Zeit für Demagogie eben. Und Zeit für Guido die 5% Hürde in NRW zu testen, wie letzte Umfragen suggerieren. Schaunmermal.

Was ist eigentlich ein Demagoge? „Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“. In diesem Sinne sollten wir also einmal ein scharfes Auge auf das Ansinnen des Guido Westerwelles bezüglich der vorgeblich bevorzugten Hartz IV Empfänger werfen.

Wie jeder gute Demagoge greift Westerwelle natürlich einen, bzw. mehrere, durchaus diskussionswürdige Missstände auf. So etwa der Missbrauch von Subventionen. Denn zweifellos gibt es eine, allerdings zahlenmäßig nicht genauer bekannte, Anzahl von Menschen die diese Arbeitslosenunterstützung als bequemes Ruhekissen nutzen. Das liegt im Wesen aller Subventionen, egal ob etwa bei Banken, Unternehmen der Gesundheitsindustrie oder der Energiewirtschaft, in der Landwirtschaft oder auch bei Sozialleistungen. Schlimmer noch, es gibt praktisch keinen Industrie- oder Gewerbezweig mehr, der nicht wenigstens zeitweise, siehe Abwrackprämie, massiv direkt oder indirekt subventioniert wird. Man kann eine beliebige Subvention heraus greifen, man findet immer einen Missbrauch, der dem eigentlichen Sinn der Subvention entgegen läuft.

Nehmen wir nur die drei markanten Beispiele des letzten Jahres, Bankenrettung, Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie. Bei der Abwrackprämie wurden etliche Autos nicht verschrottet sondern auf externe Märkte als lebendiges Fahrzeug weiterverkauft, das Kurzarbeitergeld von vielen Firmen genutzt, die auch locker ohne diese Arbeitsplatzsubvention durch gekommen wären, und die künstlich aufgeblähte Liquidität der Banken nicht zur Kreditvergabe an die Realwirtschaft verwendet sondern zum weiteren Vermögensaufbau durch Spekulationsgeschäfte verwendet. Und das sind nur einige wenige Beispiele, die sich endlos fortsetzen lassen.

Wenn man also einzelnen Subventionen an den Kragen gehen will, so findet das irgendwo immer auch eine Berechtigung. Abseits politischer Demagogie und niederer Instinkte aber stellt sich vielmehr die volkswirtschaftliche Frage, wie schädlich oder unschädlich eine bestimmte Unterstützungsleistung des Staates, unterm Strich, ist. Grundsätzlich verzerren Subventionen immer den freien Markt, aber genau das ist ja auch gewollt. Marktkräfte, die volkswirtschaftliche, soziale oder politische Unbilligkeiten erzeugen, sollen damit gemildert oder ganz konterkarriert werden. Leider entwickeln solche staatlichen Leistungen schnell eine Eigendynamik, sie sind schnell vergeben aber lassen sich nur schwer wieder einfangen.

Selbst wenn alle Fachleute sich einig sind über ihre Unsinnigkeit, wie jetzt etwa die Hoteliersubvention Westerwelles. Ein gutes Geschäft für die Hotelbranche, für 1,1 Mio. Euro Spende an die FDP erhält man eine Mehrwertsteuerbegünstigung die natürlich, wie Untersuchungen zeigten, nicht als Preisvorteil an die Verbraucher weiter gegeben werden. Aber unterm Strich Milliardenfehlbeträge in der Steuerkasse verursachen, die, und da sind wir bei dem angeblich von Westerwelle so bemitleidendem Mittelstand, genau von diesem mittelfristig durch Zusatzbelastungen an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. Allein hier liegt schon das Wesen der Demagogie vor.

Kommen wir zum zweiten Feld. Angeprangert wird, dass das Lohnabstandsgebot zwischen Vollzeitbeschäftigten und Hartz IV Empfängern nicht eingehalten werde. Auch das stimmt natürlich auf den ersten Blick, denn z.B. das amtlich berechnete Existenzminimum für eine Familie mit drei Kindern, einschließlich der Sozialwohnung und der subventionierten Kranken-, Pflege- und Rentenangaben, liegt in der Tat klar über dem, was seit den Befreiungen der Wirtschaft von den früher geltenden Anstellungsregeln noch bezahlt wird. Stundenlöhne, die deutlich unter den Mindestsätzen unserer Nachbarn wie Frankreich liegen, und Mindestsätze für eine faire Entlohnung die gerade von der Westerwelle FDP vehement bekämpft werden. Denn der Skandal, der tatsächlich einer ist, ist dass ehrliche Vollzeitarbeit das Existenzminimum, jedenfalls in den unteren Lohngruppen, nicht mehr decken kann. Und das, obwohl die Gesellschaft in den letzten Jahren immer reicher und nicht ärmer geworden ist. Aber eben nur im Durchschnitt, denn die Spreizung zwischen Arm und Reich hat extrem zu genommen. Verantwortlich für diese Spreizung ist aber gerade die neoliberale Politik, für die Westerwelle keineswegs alleine verantwortlich ist, denn selbst die Schröder SPD war es, aber er ist klar mitverantwortlich. Auch hier liegt wieder das Wesen der Demagogie vor.

Zu letzt sollten wir die volkswirtschaftliche Frage stellen, wie schädlich denn nun die von Westerwelle angeprangerte Subvention sein soll. Wohl gesagt die volkswirtschaftliche, nicht die betriebswirtschaftliche Frage. Denn es liegt im Wesen der Krise, der Politik und hier auch der Demagogie, dass diese fundamental unterschiedlichen Bewertungen regelmäßig durcheinander geschmissen werden. Nehmen wir als Beispiel einmal die Arbeitsplätze um die es hier primär geht. Angenommen ein Betrieb für Verpackungen kauft eine neue Verpackungsmaschine, die effektiver verpackt als die Alte. Dadurch kann der Betrieb nun 10 Arbeitsplätze sparen. Die zehn Gefeuerten sind für den Betrieb unterm Strich ein klarer Gewinn, denn die neue Maschine kommt billiger, die Margen steigen, die Vorstandsgehälter steigen und der Aktienwert erhöht sich auch. Alle sind zufrieden und klopfen sich ob ihrer Genialität auf die Schultern.

Aber wirklich alle? Nein, volkswirtschaftlich ist das natürlich ein Nullsummenspiel. Denn die 10 nun Arbeitslosen müssen entweder durch andere Betriebe, etwa den Maschinenherstellern, oder eben durch die Sozialsysteme aufgefangen werden. Und eben dort bezahlt bzw. alimentiert werden und damit volkswirtschaftlich zumindest keinen direkten Gewinn darstellen. Das wäre nur der Fall, wenn die Volkswirtschaft gleichzeitig kräftig genug wachsen würde, um die Freigesetzten mühelos aufzusaugen. Das tut sie aber schon seit 10 Jahren nicht mehr, jedenfalls nicht mehr auf dem fair vergüteten Vollzeitarbeitsmarkt, und seit 2008 auch nicht mehr auf der finanztechnischen Seite. Die Zunahme der Sozialleistungen sind Symptom und nicht Ursache der Krise. Zur kunstgerechten Demagogie gehört das zielgerichtete Vertauschen dieser Relation.

Natürlich wachsen jetzt im Zentrum der Krise die Sozialtransfers ins Unermessliche, weil man an der wahren Ursache, den weltweiten Vermögensüberhängen, die eben auch immer Schuldenüberhänge sind, nichts machen kann bzw. nichts machen will. Man könnte nun, wie Westerwelle oder Roland Koch es gerne hätten, an den Transfers ganz unten sparen, um damit Gelder frei zu bekommen, die man der Mittelschicht, die tatsächlich alles bezahlen muss, entlasten kann und die bald wieder steigenden Transfers nach oben zur nächsten Banken- und Vermögensrettungsrunde bezahlen kann.

Aber auch das ist wieder betriebswirtschaftlich und nicht volkswirtschaftlich gedacht. Denn gerade die Transfers nach Unten haben einen entscheidenden Vorteil gegen die Transfers nach Oben. Denn ein Sozialhilfenempfänger ist so knapp bei Kasse, das er am Monatsende natürlich absolut blank ist. Seine Hilfen landen also zu praktisch 100% wieder in der Realwirtschaft. Selbst wenn der gemäß Roland Koch angebliche Faule Hartz-IV-ler das Geld in die sprichwörtliche Wirtschaft trägt, dann finanziert er dort genau den Arbeitsplatz der Kellnerin, für die sich Westerwelle angeblich selbstlos einsetzt. Der Rest landet vorwiegend im Supermarkt bei Kassiererin „Emmely“ und in mittelständischen Billigmarktketten.

Und auch die Übernahme der Mietkosten durch das Sozialamt landet genau auf dem Mietkonto der Mittelständler, die diese Wohnungen besitzen. Ohne die Millionen sozialunterstützte Mieter in Deutschland hätten diese nämlich mit erheblich mehr Mietausfällen und leer stehenden Objekten zu kämpfen als zur Zeit sowieso schon. Die Folge des Ausfalls dieser Klientel würde Leerstand und allgemeinen Rückgang des Mietpreisniveaus und damit Insolvenzen und Kreditausfälle beschleunigen. Die Sozialhilfe, welchen Namen wie Hartz-IV, man ihr auch immer geben möchte, ist längst zum größten subventionierten Wirtschaftsfaktor geworden mit einem Volumen vom locker 10-fachen der letzt jährigen Abwrackprämie. Und das im Gegensatz dazu jedes Jahr aufs Neue.

Und was ist mit den Subventionen weiter Oben? Grundsätzlich kann man sagen, je weiter oben eine solche einschlägt, desto weniger geht sie in den für die Realwirtschaft so wichtigen Konsum und um so mehr in die inzwischen volkswirtschaftlich so schädliche Vermögensbildung. Ganz verheerend natürlich bei der Bankenrettung und dem billigen Zentralbankgeld, das nur zu einem verschwindend geringen Prozentsatz als Kredite in der Realwirtschaft landet, sondern vorwiegend zu neuen Derivatgeschäften und weiterer Erhöhung des Vermögens- und Verschuldungsüberhangs führt. Etwas weniger schädlich, aber eben auch weit weniger effektiv, die Abwrackprämie. Die traf vorwiegend die kleineren und mittleren Einkommen, die mit einem 2500 Euro Geschenk einen neuen Kleinwagen kauften. Die in diesen Durchschnittshaushalten frei gesetzten 2500 Euro landeten aber schon nicht mehr ausschließlich in zusätzlichen Konsum, sondern in wesentlichen Teilen auf den Sparkonten.

Volkswirtschaftlich korreliert Armutszunahme ([1],[2]) mit Reichenzunahme. Auch ohne Finanzmathematik leicht einzusehen, denn wenn der volkswirtschaftliche Gewinn gleichmäßig verteilt wird, dann sind je nach Armutsdefinition, alle arm oder reich. Je ungleicher die Verteilung, desto mehr wachsen die Gruppen am Rande der Gesellschaft, oben genauso wie unten. So der Spiegel heute: „...Rund 11,5 Millionen Deutsche lebten einer aktuellen Erhebung zufolge im Jahr 2008 in Armut. Das entspricht gut 14 Prozent der Gesamtbevölkerung - und damit rund einem Drittel mehr als vor zehn Jahren.“

Ausufernde Sozialkosten sind somit lediglich ein Symptom der Krise und ihre Reduzierung trifft im Effekt nicht nur die da Unten ohne Lobby, sondern besonders auch die für alle Kosten dieses Staates blutende Mittelschicht. Das wahre Problem ist die faktische Insolvenz der westlichen Industriestaaten, voran getrieben durch kurzsichtige betriebswirtschaftliche Konzepte zum Nutzen Weniger und zum volkswirtschaftlichen Schaden der breiten Masse. Die Lösung der Krise funktioniert nur über eine Auflösung der Verschuldung. Die ist aber nach 65 Jahren Nachkriegswirtschaft so aufgeblasen, dass eine Entschuldung nur noch über Vermögensvernichtung, und nicht mehr über Wachstum, funktioniert.

Oder mittelfristig über Revolution, falls man auf die Schnapsidee verfällt, die Mittel- und Unterschichten in immer größerem Umfang für den obszönen Reichtum der Multimilliardäre zahlen zu lassen.

Na, denn Prost Guido!

2 Kommentare:

  1. hallo, super Analyse, top seziert unter allen blogs. Nur der letzte Absatz mit der Revolution...die Schnapsidee ist schon am laufen und wird in einer faschistischen Arbeitslagerwelt enden...Sündebock diesmal nicht der Jude...sondern die Faulen. gruß Micha

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  2. Möchte meinem "Vorredner" zustimmen. Sehr gute Analysen, vor allem beim "Dead man walking". Wahrscheinlich wird die Hyperinflation vor 2024 kommen, da die äusseren Ereignisse schneller eintreffen - Griechenland, GB usw.
    Ich bin auch skeptischer, was die "Einsicht der Eliten" in die Verhältnisse betrifft. Die wollen einfach alles weiter laufen lassen bis zum bitteren Ende. Das Grundgesetz wird einfach missachtet oder ausser Kraft gesetzt werden. Gruß Frank

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