Montag, 29. März 2010

Dead Man Walking III: the elephant in the room that nobody sees


Dank eines Kommentars und Email von Hr. Wolfgang M. bin ich auf eine ökonomische Arbeit von Halil Güveniş aufmerksam gemacht worden. Halil Güveni ist ein deutschsprachiger Lyriker und Essayist, der aber Physik in Tübingen studierte.

Da der Autor in seiner ökonomischen Arbeit, die im folgenden analysiert wird, im wesentlichen zum gleichen Ergebnis kommt wie ich, sah ich es als notwendig an, genau zu analysieren, was er denn da gemacht hat. Und das hat sich als sehr fruchtbar erwiesen, denn dabei offenbart sich des Ökonomen-Pudels Kern.

Hr. Güveniş relevante Arbeit ist:“Zur Zusammenbruchskrise des Kapitalismus - Das Langzeitverhalten der Wirtschaftsentwicklung in BRD, Japan und USA – mit drei Excel-Dateien zu Zeitreihen und Diagrammen“, und man kann sie unter dem angegebenen Link für kleines Geld kaufen. Ich zitiere hier nur das wesentliche theoretische Grundgerüst. Der wesentliche Teil der Arbeit, die statistische Untersuchung der Daten aus USA, Japan und BRD ist zur Lektüre nur zu empfehlen.

Seine Arbeit aus 2009 ist insofern hoch interessant, da er sich exakt an die in der Makroökonomie üblichen verbalen und mathematischen(!) Formulierungen hält und somit auch und gerade für Ökonomen leicht verständlich schreibt. Er zeigt darin, dass man mit den üblichen mathematischen Annahmen der Volkswirte zu genau den Ergebnissen kommt, wie bei der differentialanalytischen Modellierung auch. Und, da er sich ganz auf die Fachlichkeit der Ökonomen einlässt, macht er auch ganz exemplarisch die kleinen, aber bedeutsamen, mathematischen Ungenauigkeiten, die die ganze Malaise der Mainstream-Makroökonomie bedingen.

Am Anfang seiner Arbeit stellt er kurz die üblichen Grundgleichungen (1.1 bis 1.5) der Makroökonomie vor, auf die er sich im Rest der Arbeit stützt.

Also da ist zunächst mal

(1.1) S = Ibr – D – FSA

Das sind das Sparen S, die Bruttoinvestitionen Ibr, der Abschreibungen D und der Außenhandelsbeitrag, das Finanzierungssaldo FSA.

Im Falle einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz gilt FSA=0. Und damit seine Gleichung

(1.2) In = Ibr – D = D(Ibr/D-1)

also die Nettoinvestition In ist gleich der Bruttoinvestition abzüglich der Abschreibung D. Er zeigt damit, dass in einer geschlossenen Volkswirtschaft das Sparen immer vollständig durch die Nettoinvestitionen absorbiert wird. Denn es gilt neben (1.1) eben auch das

Ibr = In + D

ist.

(1.3) bis (1.5) sind nur ein paar Umstellungen bzw. Trivialitäten, so (1.3) die Normierung von (1.2) auf das BIP und (1.4) die Definition des Wachstums W=BIP/BIP0-1 und (1.5) die Normierung von (1.4) auf das BIP.

Im folgenden wendet er diese Grundgleichungen der Ökonomie auf die empirisch bekannten zeitlichen Entwicklungen in den USA, Japan und Deutschland an. Das macht er, indem er jeweils angepasste Funktion des linearen Typs y=ax+b aus diesen ableitet und analysiert.

Im Ergebnis kommt unterm Strich das gleiche raus, wie beim Dead Man Walking. Wie kann das sein?

Das sieht man sehr schnell. So betrachten wir im „dead man walking“ ja genau eine ideale geschlossene Volkswirtschaft, also FSA=0. Das kann man in erster Näherung immer machen, sofern die Außenhandelsbilanz nicht allzu sehr aus dem Ruder gegangen ist (Für die globalisierte Weltwirtschaft als ganzes gilt natürlich immer FSA=0).

Also gilt aufgrund seiner Gleichungen (1.1) und (1.2):

In = Ibr – D = S.

Nun kommen wir zu den mathematischen Ungenauigkeiten (das ist aber keine Kritik an Hr. Güveniş, sondern alleine der Verwendung der in der Makroökonomie üblichen Vorgehensweise geschuldet!):

Erste Ungenauigkeit:

Zunächst müssten da eigentlich die Beträge stehen:

|In|=|Ibr|-|D|=|S|

Dann gilt ganz analog zu meinem Modell

|In|=|pn*A| = |S|=|ps*B + dA/dt|

Das ganze muss jetzt nur noch korrekt diskontiert werden, also gilt

dA/dt=ps*B+pn*A

Die Gleichung (1.4) besagt nichts anderes als

W=BIP/BIP0-1=(BIP-BIP0)/BIP0 = (dB/dt)/B

also die Definition des Begriffs Wachstum als die Steigerungsrate des BIPs B. Es gilt trivialerweise aus Bilanzgründen

dB/dt=-pn*A,

da nur Geld verzinst wird, BIP direkt aber nicht. Denn im Gegensatz zu Geld bekommen Autos oder Toaster keine Kinder, sprich Zinsen.

Schwupp, wir haben also exakt dieselben Regeln wie im Dead Man Walking vorliegen!

Zweite Ungenauigkeit:

Differential Gleichungen dB/dt=-pn*A bzw. dA/dt=ps*B+pn*A enthalten immer implizit die zeitlichen Abhängigkeiten der Funktionen. Differential Gleichungen sind das wesentliche Element der höheren Mathematik, erfordern aber einiges an mathematischem Verständnis zu ihrer Aufstellung und besonders zu ihrer analytischen Lösung. Das kann man bei Mathematikern und theoretischen Physikern immer voraussetzen, bei Ökonomen aber ehr selten.

Daher macht man gerne den zweiten Trick: Man verwendet empirische Näherungsfunktionen an die realen Funktionen der Statistiker. Hier einfach linear vom Typ y=ax+b und bekommt dadurch die zeitlichen Abhängigkeiten, die in den Grundgleichungen (1.1) bis (1.5) gar nicht auftauchen, durch die Hintertür wieder herein.

Das kann man machen, es ist eine übliche und gültige Methode. Sie ist auch verlässlich, insofern man sich der Grenzen der Methode bewusst ist und man bereit ist auf die analytische Qualität der höheren Mathematik zu verzichten.

Dritte Ungenauigkeit:

Die letzte Ungenauigkeit ist nun der fundamentale Fehler der Mainstream-Ökonomie der die ganzen Folgeprobleme verursacht. Schauen wir noch mal auf das Sparen

|S|=|ps*B + dA/dt|.

Ich habe da oben schon gleich den richtigen Ausdruck hingeschrieben. Ökonomen aber schreiben hier implizit (für sie gibt’s ja nur die unbekannte Funktion S):

S = ps*B.

Im Klartext, ein bestimmter Anteil des BIP wird halt gespart. Fertig.

Das ist aber fundamental falsch! Tatsächlich zählen zum Sparen natürlich auch die erwirtschafteten Zinsen dafür, nämlich dA/dt. Das erscheint zunächst haarspalterisch und spitzfindig. Denn die Annahme, man könne die paar Prozentchen ruhigen Gewissens einfach unter das sowieso nicht so genau bekannte ps subsummieren, liegt natürlich sehr nahe.

Aber auch das ist mathematisch fundamental falsch! Am Anfang einer sich entwickelnden Volkswirtschaft kann man das ruhig machen, denn da ist der Term ps*B absolut führend. Am Ende der Entwicklung, bei ausgeuferten Aktiva/Passiva, ist aber der zweite Term dA/dt führend. Und der ist als Differential analytisch absolut entscheidend!

Beispiel: So war das Verhältnis von Aktiva/BIP in 1950 nur 0,4. Das heißt bei einer typischen Sparquote von Ps=10% und einer Verzinsung von 5% bringt der zweite Term nur 0,4*5%=2% hinzu. Das darf man ruhigen Gewissens schlabbern. Bei einem Aktiva/BIP Verhältnis von 3,25 (so im Oktober 2008) bringt der zweite Term aber 3,25*5%=16,25% Punkte hinzu und ist damit keinesfalls vernachlässigbar. Und wegen der zeitlichen Dynamik mathematisch auch keinesfalls subsummierbar!

Schlabbert man den wichtigen Term dA/dt aber, so ergibt sich ganz trivial aus den DGL’s

dA/dt=0=ps*B+pn*A und dB/dt=-pn*A

die sattsam bekannte DGL

dB/dt=ps*B und A=A0=const.

Mit der gemeinhin, nicht nur Ökonomen, sondern auch jedem aufmerksamen Oberstufenschüler, bekannten Lösung

B=B0*exp(ps*t).

Also ein ewig wachsendes BIP mit einem konstanten, aber sonst nicht weiter interessierenden, Kapital A0 im Hintergrund. So, wie man es gerne hätte, aber nicht ist.

Es ist in der Tat genau dieser unscheinbare Fehler der Ökonomie S=ps*B und S=ps*B+dA/dt für „ungefähr“ dasselbe zu halten. Es ist aber nicht dasselbe, und jeder der sich mit höherer Mathematik auskennt, wird dies auch sofort bemerken.

Wie treffend die Analyse, gerade auch die von Hr. Güveniş , ist, zeigt der Artikel „THE Most Important Chart of the CENTURY“, dessen einleitender Text lautet: „The latest U.S. Treasury Z1 Flow of Funds report was released on March 11, 2010, bringing the data current through the end of 2009. What follows is the most important chart of your lifetime. It relegates almost all modern economists and economic theory to the dustbin of history. Any economic theory, formula, or relationship that does not consider this non-linear relationship of DEBT and phase transition is destined to fail. It explains the "jobless" recoveries of the past and how each recent economic cycle produces higher money figures, yet lower employment. It explains why we are seeing debt driven events that circle the globe. It explains the psychological uneasiness that underpins this point in history, the elephant in the room that nobody sees or can describe.“.

Die vielleicht “wichtigste Graphik des Jahrhunderts” zeigt das Verhältnis zwischen BIP-Zuwachs und Kredit. So brachte in 1966 jeder frische Dollar der Aktiva in den USA noch einen BIP-Gewinn von rund 90 Cents, in 2002 waren es nur noch rund 30 Cents und in 2009 waren es –45 Cents. Yep, MINUS 45 CENTS! Das heisst, jeder zusätzlich Dollar erzeugte zuletzt einen Verlust von 45 Cents im BIP. Der Trend ist so unübersehbar wie das Rätsel, vor dem die Mainstream-Ökonomie steht. Nicht nötig zu erwähnen, dass diese mit immer noch mehr Geld versuchen, die Kurve wieder über Null zu bekommen. Dass das nicht funktionieren kann ist aus der differential analytischen Modellierung natürlich völlig klar. Denn der Renditedruck des zusätzlichen Dollars liegt über dem, was das BIP an Wachstum noch hergeben kann.

Mit der Serie „Dead Man Walking“ hoffe ich besonders junge Ökonomen und Ökonomiestudenten anzusprechen. Denn leider darf die Mehrzahl der angehenden Ökonomen, wie man den diversen Studienordnungen entlehnen kann, zwar viel Statistik, aber kaum die zur Modellierung komplexer Systeme notwendigen mathematischen Verfahren lernen. Insbesondere im Bachelor-Studiengang ist das aus Zeitgründen auch gar nicht möglich. Modellierung ohne ausreichende Kenntnisse der Methode der Differentialgleichungen aber kann immer nur Stückwerk bleiben mit aus analytischer Sicht fragwürdigen Ergebnissen. Hier sind besonders auch Mathematiker oder Physiker, die als Zusatzfach Ökonomie wählen, gefordert. Diese sollten unbedingt ihre grundlegenden Mathematikkenntnisse ins Spiel bringen und sich nicht von noch so schönen Wortschöpfungen der Mainstream-Ökonomie von solider Forschung abhalten lassen.

3 Kommentare:

  1. Der Versuch, die Ökonomie in mathematische Formeln zu zwängen um sie damit auf die Stufe der exakten Wissenschaften zu hieven , scheitert meines Erachtens an zwei Dingen:
    Erstens an der Irrationalität der Menschen und zweitens, was viel wichtiger ist:
    An der Endlichkeit unseres Planeten.
    Unsere moderne Zivilisation basiert auf der freien Verfügbarkeit von Energie in hochkonzentrierter Form (Erdöl, Gas) und darauf, dass wir diese von der Erde in Jahrmillionen geschaffenen Ressourcen in einem Jahrhundert verbrauchen. Geht diese Energie zur Neige und kann sie nicht genügend rasch durch nachhaltige Alternativen (EROEI) ersetzt werden, wird sie unsere Zivilisation ins Chaos stürzen und jede Ökonomie wird dadurch irrelevant. Nur durch den rücksichtslosen Einsatz fossiler Energien war das Bevölkerungswachstum auf fast 7 Milliarden möglich. Nahrungsmittel sind heutzutage fest mit dem Energiepreis gekoppelt. Wird Energie knapp, wird Nahrung für viele unerschwinglich. Hungersnöte, Kriege und ein Rückgang der Weltbevölkerung sind die Folgen. Der Gipfel liegt hinter uns und vor uns das Tal Olduvai. Da nützen keine mathematischen Formeln einer Wissenschaft, die nie eine war.
    In einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum bloss eine kurze Laune der Natur, die unweigerlich eine (in der Regel heftige) Korrektur nach sich zieht. Unsere unrückzahlbaren Schulden sind in diesem Zusammenhang bloss ein Witz und werden automatisch glatt gestellt.
    Viele Grüsse und Danke für dein anregendes Blog. Traumperlentaucher.

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  2. Lieber Traumperlentaucher,

    vielen Dank für den Beitrag.

    Beim ersten Teil sind wir sicher etwas unterschiedlicher Meinung. Denn gerade Irrationalität ist, allein wegen ihrer weiten Verbreitung, aus Gründen der Statistik sehr gut mathematisch behandelbar.

    Den zweiten Teil „Endlichkeit unseres Planeten“, muss ich aber in den wesentlichen Punkten zustimmen.

    Denn auch die aktuelle Finanzkrise ist nur eines der vielen Symptome einer viel dramatischeren Entwicklung. Die ist nach einigem Aufsehen, noch in den 1970er Jahren, längst wieder aus den Köpfen verschwunden. Nämlich die Bevölkerungsexplosion, die langfristige Folge der „neolithische Revolution“ ist. Bis vor etwa 400 Jahren hatte das eine noch schwach exponentielle Entwicklung der Bevölkerungszahlen bewirkt, seitdem entwickelt sich die Weltbevölkerung aber sogar deutlich über-exponentiell, die letzten Hundert Jahre waren eine förmliche Explosion ( http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/8/8a/World-pop-hist-de-2.png ).

    Damit werden die natürlichen Ressourcen des nur endlich großen Planeten Erde nun rapide aufgezehrt. Nach seriösen Berechnungen des Club of Rome ist daher schon ab Mitte dieses Jahrhunderts mit dem Einsetzen einer mächtigen Dezimierung der Menschheit zu rechnen. Und da Menschen selten freiwillig sterben, wird dies auch nicht ohne weltweite Kriege vor sich gehen.

    Dem Szenario gegen zu steuern ist in der Tat sehr schwierig. Die Medizin dagegen ist jedoch durchaus bekannt. Sie schmeckt aber dermaßen bitter, dass ich bezweifle dass die Menschheit bereit ist sie zu schlucken. Der Name der Pille ist: Bescheidenheit.

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  3. Der Text von Güvenis ist sogar gratis zu haben: http://www.hartgeld.com/filesadmin/pdf/TO2009/Guevenis_ZurZusammenbruchskriseDesKapitalismus.pdf.

    Der Autor hat seine Thesen auch in einem Forum zur Diskussion gestellt: http://www.querschuesse-forum.eu/topic,134,-quot-zur-zusammenbruchskrise-des-kapitalismus-quot.html, allerdings habe ich beim flüchtigen Drüberschauen nicht den Eindruck, dass dort ein hohes theoretisches Niveau erreicht wird.


    Was die Mathematik angeht (von der ich selbst keine Ahnung habe) weiß ich nicht, ob Sie den australischen Wirtschaftsprofessor Steve Keen und dessen Webseite "Debtwatch" (http://www.debtdeflation.com/blogs/about/ ) und "Debunking Economics" (http://www.debunkingeconomics.com/ ) kennen; zumindest erwähnen Sie sie nicht.

    Keen scheint noch stärker als in der Wirtschaftswissenschaft mittlerweile üblich mathematisch orientiert zu sein; er beschwert sich darüber, dass die Wirtschaftswissenschaft insoweit mit einer längst überholten Mathematik arbeite.

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