Die Spannung neigt sich dem Höhepunkt
zu: Am Dienstag dem 6. November geht’s für Obama um die Wurst.
Seine Wiederwahl war bis vor kurzem noch sehr fraglich, denn die
pro-Romney Stimmung machte sich unaufhaltsam in den Swing-States
breit. Der Zyklon Sandy hat nun wenige Tage vor dem Ereignis neuen
Schwung in die Entscheidung gebracht. Allerdings hat der Schwung des
Sturmes auch so einiges offen gelegt, was in den USA so alles brach
liegt.
Wie üblich wurde der Sturm als
Jahrhundertsturm bezeichnet, in Anlehnung an Halloween auch als „Frankenstorm“. Nun, Stürme wie Sandy sind in den karibisch—amerikanischen Breiten zwar keine wirkliche
Seltenheit, aber Jahrhundertstürme kommen nun schon alle paar Jahre
wieder. Und deren Stärke nimmt tendenziell zu, denn ja wärmer das
Wasser in der Entstehungsregion Karibik ist, desto mehr Energie kann
so ein Monster aufnehmen. Und wenn so ein Zyklon dann weiter im
Norden zwar bereits einiges an seiner Wucht verloren hat, so wird
seine Zerstörungskraft jedoch begünstigt durch eine
US-Infrastruktur, die zunehmend marode ist. Wenig gepflegte Dämme
brechen und offen liegende Stromleitungen auf Holzmasten knicken um
wie Streichhölzer und lassen Millionen ohne Strom und Versorgung
zurück. „Ein 28 Jahre alter Polizist rettete sieben Menschen das
Leben. Als das Wasser in der Sturmnacht in seinem Haus immer weiter
stieg, schaffte er alle nach oben - der älteste ein fast 70-jähriger
Mann, der jüngste sein 15 Monate alter Sohn. Ein letztes Mal tauchte
der Polizist in den Keller und kam nicht mehr zurück. Manche
Gegenden in New York sähen aus wie London oder Dresden nach den
Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg, beschrieb Bürgermeister
Michael Bloomberg seine Stadt. Besonders schwer traf es Breezy Point,
ein direkt am Atlantik gelegenes pittoreskes Viertel. Zuerst kamen
die Fluten, dann das Feuer, wahrscheinlich ausgelöst durch
Kurzschlüsse. Mehr als 80 Holzhäuser brannten nieder. Auch der
südliche Teil Manhattans ist nachts wegen der Stromausfälle nach
wie vor bis auf wenige Ausnahmen stockfinster.“. Katastrophen
gebären tragische Helden, Verlierer und auch Gewinner.
So wie beim zweiten Wahlkampf Schröders
das Oderhochwasser nach half, so hilft Sandy jetzt dem Verteidiger der Macht, aber auch tatkräftig der Bürger,
Obama. „"Sandy" wurde so mächtig, weil der Atlantik in
diesem Jahr ungewöhnlich warm ist; und der Golfstrom lieferte
zusätzliche Energie. Außerdem bewegte sich der Sturm über eine
außergewöhnlich lange Strecke über dem erwärmten Meer - vom
Atlantik über die Karibik bis an die US-Ostküste. In dieser Zeit
konnte "Sandy" viel Kraft tanken, der Riesenwirbel
entstand.“. Etwas von dieser Macht sprang über, und selbst
Republikanische Politiker sprangen auf die Seite des Demokraten
Obama: So etwa der Ex-Republikaner und Multimillardär Bloomberg wechselte kurzfristig die Seite: „Unterdessen hat der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg
wenige Tage nach den verheerenden Schäden durch den Supersturm
"Sandy" die Wiederwahl von Präsident Barack Obama
empfohlen. Obama habe die Führerschaft beim Thema Klimawandel inne,
sagte Bloomberg am Donnerstag.“.
Sandy hat zweierlei Dinge, die in
Vergessenheit geraten sind, dem Wähler wieder vor Augen geführt:
Die Gefahren des Klimawandels, insbesondere des Anstiegs der
Meeresspiegel, und die marode Infrastruktur des Landes.
Stromausfälle, verheerend für jede Industrienation, sind in den USA
schon an der Tagesordnung, Schlaglöcher in den Straßen und
korrodierte Brücken der Normalzustand. Es ist wie in einem großen
Mietshaus. Wenn die Mieter in den oberen Stockwerken es geschafft
haben, weder Mieten noch Nebenkosten zu zahlen, so müssen diese auf
die unteren Mieter abgewälzt werden. Die unten im Erdgeschoss sind
aber bereits so arm, dass sie nichts zahlen können, und die Zeche landet
überwiegend bei den mittleren Etagen. Die können und wollen
jedoch auch nicht soviel zahlen wie nötig wäre, und somit fängt
zuerst die Fassade an zu bröckeln, und schließlich bricht auch die
innere Substanz weg, bis irgendwann die ersten Stützpfeiler
einkrachen und das Gebäude kollabiert. Und wenn die effektiv zu
schwache Hausverwaltung es nicht schafft, die Lasten gerecht zu
verteilen und das dringend benötigte Geld für Renovierungen locker
zu machen, dann wird die Lage langfristig hoffnungslos.
Und so hat Obama in seinen vier Jahren
vom versprochenen „Change“ praktisch kaum etwas halten können.
Nicht das er es nicht gewollt hätte, aber die Hausmacht liegt in den
USA nun nicht beim Hausverwalter, sondern bei den Beziehern der
oberen Etagen, den Banken und Großindustriellen. Und die haben noch
jeden renitenten Hausverwalter glatt geschliffen. Und so liegt die
besondre Leistung des Friedensnobelpreisträgers Obama auch weniger
in dem was er getan oder versucht hat, als in dem, was er eben nicht
getan hat. Er ist nicht dem Kriegsruf des Nahen Ostens gefolgt und hat
immer versucht den Ball einigermaßen flach zu halten. Obwohl gerade ein Commander-in-Chief gerne wieder gewählt wird, ist er dieser Versuchung nicht
erlegen. Statt dessen kann er nun den Kümmerer-in-Chief geben: „„Sandy“ könnte Barack Obama die zweite Amtszeit gerettet
haben. Gemeinsam mit New Jerseys Gouverneur Chris Christie flog er
über die ausradierten Küstenorte, tröstete Überlebende. Ein Foto
könnte für Obama zum Turbo im Finale werden: Als „Kümmerer -in
-Chief“ drückt er Geschäftsbesitzerin Donna Vazant fest an sich,
ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. „Wir werden euch hier nicht
vergessen“, sagte er.“.
Nun, Kümmerer gibt es natürlich auch
von der untersten Etage der Gesellschaft: „76 Todesopfer, verwüstete Stadtviertel, Straßen in Schutt und
Asche, Millionen Haushalte ohne Strom. ….Und skrupellose Gangs
nutzen das Chaos gnadenlos aus. In der größten Not kommen die
Plünderer. „Als ich früh runter auf die Straße ging, sah ich sie
überall aus den Geschäften rennen, mit vollgepackten Tüten in den
Händen“, berichtet Roger McKinon aus Brooklyn. Vor allem auf
Kleidung, Elektrogeräte, Fernseher haben es die Plünderer
abgesehen. Sie räumen Shops, zerstörte und verlassene Häuser aus,
brüsten sich damit sogar auf Twitter. „Schaut euch mal den Laptop
an, den ich abgesahnt habe“, protzt etwa „Pax Et Capitalismus“
und postet ein Foto. Eddie Liu musste in Coney Island hilflos mit
ansehen, wie eine ganze Meute Jugendlicher in seinen Waschsalon
einbrach. „Sie zerschlugen die Scheiben, räumten die Kasse leer“,
sagt Liu verzweifelt....Die Not ist auch am dritten Tag nach „Sandys“
Zerstörungszug groß: Noch immer sind sechs Millionen Amerikaner
ohne Strom. Allein vier Millionen in den Staaten New York und New
Jersey, wo die Menschen in der Nacht bei Kerzenschein in ihrer
Wohnung frieren.“. „You loot, we shoot“ drohte ein
Ladenbesitzer an seinen Barrikaden, und aus Sicht der zunehmend
frustrierten und verwahrlosten Unterschicht wird es in
absehbarer Zeit aber wahrscheinlich heißen „You shoot, we loot
(anyway)“ (Ihr schießt, wir plündern trotzdem).
Nun, jedenfalls ich drücke Obama
trotzdem alle Daumen. Trotz dem Fakt, dass die US-Hausverwaltung
längst knapp unter den Penthousebewohnern residiert und wenig
bewegen kann. Mit Obama sind die USA und auch Europa jedenfalls
besser dran, als mit einem Penthousewart Romney in ganz eigener Sache auf
Kosten der Stützpfeiler. Fraglich bleibt aber so oder so, wie lange
die Fundamente des Westens noch halten. Denn nicht nur in Amerika
gibt es allzu abhängige Hausverwaltungen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich werde ihn baldmöglichst freischalten. Diese Funktion dient lediglich der Vermeidung von Spam- und Flame- Kommentaren und dient niemals einer Zensur.