Freitag, 2. November 2012

You shoot, we loot (anyway)!


Die Spannung neigt sich dem Höhepunkt zu: Am Dienstag dem 6. November geht’s für Obama um die Wurst. Seine Wiederwahl war bis vor kurzem noch sehr fraglich, denn die pro-Romney Stimmung machte sich unaufhaltsam in den Swing-States breit. Der Zyklon Sandy hat nun wenige Tage vor dem Ereignis neuen Schwung in die Entscheidung gebracht. Allerdings hat der Schwung des Sturmes auch so einiges offen gelegt, was in den USA so alles brach liegt.


Wie üblich wurde der Sturm als Jahrhundertsturm bezeichnet, in Anlehnung an Halloween auch als „Frankenstorm“. Nun, Stürme wie Sandy sind in den karibisch—amerikanischen Breiten zwar keine wirkliche Seltenheit, aber Jahrhundertstürme kommen nun schon alle paar Jahre wieder. Und deren Stärke nimmt tendenziell zu, denn ja wärmer das Wasser in der Entstehungsregion Karibik ist, desto mehr Energie kann so ein Monster aufnehmen. Und wenn so ein Zyklon dann weiter im Norden zwar bereits einiges an seiner Wucht verloren hat, so wird seine Zerstörungskraft jedoch begünstigt durch eine US-Infrastruktur, die zunehmend marode ist. Wenig gepflegte Dämme brechen und offen liegende Stromleitungen auf Holzmasten knicken um wie Streichhölzer und lassen Millionen ohne Strom und Versorgung zurück. „Ein 28 Jahre alter Polizist rettete sieben Menschen das Leben. Als das Wasser in der Sturmnacht in seinem Haus immer weiter stieg, schaffte er alle nach oben - der älteste ein fast 70-jähriger Mann, der jüngste sein 15 Monate alter Sohn. Ein letztes Mal tauchte der Polizist in den Keller und kam nicht mehr zurück. Manche Gegenden in New York sähen aus wie London oder Dresden nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg, beschrieb Bürgermeister Michael Bloomberg seine Stadt. Besonders schwer traf es Breezy Point, ein direkt am Atlantik gelegenes pittoreskes Viertel. Zuerst kamen die Fluten, dann das Feuer, wahrscheinlich ausgelöst durch Kurzschlüsse. Mehr als 80 Holzhäuser brannten nieder. Auch der südliche Teil Manhattans ist nachts wegen der Stromausfälle nach wie vor bis auf wenige Ausnahmen stockfinster.“. Katastrophen gebären tragische Helden, Verlierer und auch Gewinner.

So wie beim zweiten Wahlkampf Schröders das Oderhochwasser nach half, so hilft Sandy jetzt dem Verteidiger der Macht, aber auch tatkräftig der Bürger, Obama. „"Sandy" wurde so mächtig, weil der Atlantik in diesem Jahr ungewöhnlich warm ist; und der Golfstrom lieferte zusätzliche Energie. Außerdem bewegte sich der Sturm über eine außergewöhnlich lange Strecke über dem erwärmten Meer - vom Atlantik über die Karibik bis an die US-Ostküste. In dieser Zeit konnte "Sandy" viel Kraft tanken, der Riesenwirbel entstand.“. Etwas von dieser Macht sprang über, und selbst Republikanische Politiker sprangen auf die Seite des Demokraten Obama: So etwa der Ex-Republikaner und Multimillardär Bloomberg wechselte kurzfristig die Seite: „Unterdessen hat der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg wenige Tage nach den verheerenden Schäden durch den Supersturm "Sandy" die Wiederwahl von Präsident Barack Obama empfohlen. Obama habe die Führerschaft beim Thema Klimawandel inne, sagte Bloomberg am Donnerstag.“.


Sandy hat zweierlei Dinge, die in Vergessenheit geraten sind, dem Wähler wieder vor Augen geführt: Die Gefahren des Klimawandels, insbesondere des Anstiegs der Meeresspiegel, und die marode Infrastruktur des Landes. Stromausfälle, verheerend für jede Industrienation, sind in den USA schon an der Tagesordnung, Schlaglöcher in den Straßen und korrodierte Brücken der Normalzustand. Es ist wie in einem großen Mietshaus. Wenn die Mieter in den oberen Stockwerken es geschafft haben, weder Mieten noch Nebenkosten zu zahlen, so müssen diese auf die unteren Mieter abgewälzt werden. Die unten im Erdgeschoss sind aber bereits so arm, dass sie nichts zahlen können, und die Zeche landet überwiegend bei den mittleren Etagen. Die können und wollen jedoch auch nicht soviel zahlen wie nötig wäre, und somit fängt zuerst die Fassade an zu bröckeln, und schließlich bricht auch die innere Substanz weg, bis irgendwann die ersten Stützpfeiler einkrachen und das Gebäude kollabiert. Und wenn die effektiv zu schwache Hausverwaltung es nicht schafft, die Lasten gerecht zu verteilen und das dringend benötigte Geld für Renovierungen locker zu machen, dann wird die Lage langfristig hoffnungslos.

Und so hat Obama in seinen vier Jahren vom versprochenen „Change“ praktisch kaum etwas halten können. Nicht das er es nicht gewollt hätte, aber die Hausmacht liegt in den USA nun nicht beim Hausverwalter, sondern bei den Beziehern der oberen Etagen, den Banken und Großindustriellen. Und die haben noch jeden renitenten Hausverwalter glatt geschliffen. Und so liegt die besondre Leistung des Friedensnobelpreisträgers Obama auch weniger in dem was er getan oder versucht hat, als in dem, was er eben nicht getan hat. Er ist nicht dem Kriegsruf des Nahen Ostens gefolgt und hat immer versucht den Ball einigermaßen flach zu halten. Obwohl gerade ein Commander-in-Chief gerne wieder gewählt wird, ist er dieser Versuchung nicht erlegen. Statt dessen kann er nun den Kümmerer-in-Chief geben: „„Sandy“ könnte Barack Obama die zweite Amtszeit gerettet haben. Gemeinsam mit New Jerseys Gouverneur Chris Christie flog er über die ausradierten Küstenorte, tröstete Überlebende. Ein Foto könnte für Obama zum Turbo im Finale werden: Als „Kümmerer -in -Chief“ drückt er Geschäftsbesitzerin Donna Vazant fest an sich, ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. „Wir werden euch hier nicht vergessen“, sagte er.“.


Nun, Kümmerer gibt es natürlich auch von der untersten Etage der Gesellschaft: „76 Todesopfer, verwüstete Stadtviertel, Straßen in Schutt und Asche, Millionen Haushalte ohne Strom. ….Und skrupellose Gangs nutzen das Chaos gnadenlos aus. In der größten Not kommen die Plünderer. „Als ich früh runter auf die Straße ging, sah ich sie überall aus den Geschäften rennen, mit vollgepackten Tüten in den Händen“, berichtet Roger McKinon aus Brooklyn. Vor allem auf Kleidung, Elektrogeräte, Fernseher haben es die Plünderer abgesehen. Sie räumen Shops, zerstörte und verlassene Häuser aus, brüsten sich damit sogar auf Twitter. „Schaut euch mal den Laptop an, den ich abgesahnt habe“, protzt etwa „Pax Et Capitalismus“ und postet ein Foto. Eddie Liu musste in Coney Island hilflos mit ansehen, wie eine ganze Meute Jugendlicher in seinen Waschsalon einbrach. „Sie zerschlugen die Scheiben, räumten die Kasse leer“, sagt Liu verzweifelt....Die Not ist auch am dritten Tag nach „Sandys“ Zerstörungszug groß: Noch immer sind sechs Millionen Amerikaner ohne Strom. Allein vier Millionen in den Staaten New York und New Jersey, wo die Menschen in der Nacht bei Kerzenschein in ihrer Wohnung frieren.“. „You loot, we shoot“ drohte ein Ladenbesitzer an seinen Barrikaden, und aus Sicht der zunehmend frustrierten und verwahrlosten Unterschicht wird es in absehbarer Zeit aber wahrscheinlich heißen „You shoot, we loot (anyway)“ (Ihr schießt, wir plündern trotzdem).

Nun, jedenfalls ich drücke Obama trotzdem alle Daumen. Trotz dem Fakt, dass die US-Hausverwaltung längst knapp unter den Penthousebewohnern residiert und wenig bewegen kann. Mit Obama sind die USA und auch Europa jedenfalls besser dran, als mit einem Penthousewart Romney in ganz eigener Sache auf Kosten der Stützpfeiler. Fraglich bleibt aber so oder so, wie lange die Fundamente des Westens noch halten. Denn nicht nur in Amerika gibt es allzu abhängige Hausverwaltungen.

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