Donnerstag, 10. Januar 2013

ZDF - I: Die Staatsschuldenfrage

Im laufenden Wahljahr werden mehr Volkswirtschaftliche Argumente in der Diskussion sein als üblich. Auch wenn viele Politiker damit auf Kriegsfuß stehen und solchen Diskussionen am liebsten ausweichen würden. So etwa der Saarländische Ex-MP Peter Müller (CDU), inzwischen von den zuständigen politischen Gremien zum Verfassungsrichter befördert, der in einem WELT-Interview an mahnte, doch die EU, sprich die leidige Euro Angelegenheit, aus dem Wahlkampf heraus zu halten:Müller: Für sie [seine Söhne] sind die Europäische Union und die deutsch-französische Freundschaft selbstverständlich geworden. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Bewusstsein für Europa als Projekt des Friedens, der Freiheit und der Demokratie wachhalten. Der Friedensnobelpreis war in diesem Zusammenhang ein richtiges und wichtiges Signal. Welt am Sonntag: Vergessen Wahlkämpfer das manchmal? Wir fragen angesichts mancher Äußerungen zu Griechenland. Müller: Nicht jeder, der Probleme aufzeigt, meint es schlecht mit Europa. Im Gegenteil: Wenn man die Menschen mitnehmen will, muss man die kritischen Punkte ansprechen. Keinen Dienst erweist man Europa aber, wenn man europäische Themen innenpolitisch instrumentalisiert. Das gilt gerade im Wahlkampf.“.


Das wird und muss ein frommer Europaträumer-Wunsch bleiben, denn die Annahme, dass der deutsche Michel jedwede EU-Schuldenübernahme einfach schluckt und dann noch eine Politik ernst nehmen könnte, die das aktuell wichtigste Bürgerthema im Wahlkampf gezielt ausklammert, nun, da muss man schon ziemlich abgehoben und sehr gut versorgt sein um das ernsthaft einzufordern. Gerade in Anbetracht der brutalen Härte gegen die Jugend Europas, die zu Gunsten der internationalen Investoren eine Arbeitslosenrate um die 50% in den Südländern zu akzeptieren hat und absehbar auf ihre Zukunftschancen verzichten soll. Rekordhalter ist hier aktuell Griechenland mit fast 58%. Wenn auch Müller's Söhne von solchen Sorgen nicht geplagt sein dürften, so doch der Wähler, und besonders die Jungen, sind es aber sehr wohl. Dass die Generation-50-Prozent noch nicht alle, wenn auch schon einige, Schaufensterscheiben eingeschlagen hat oder dafür das sie noch nicht regelmäßig Supermärkte plündert, dafür gehörte ihr eigentlich schon der Friedensnobelpreis zugeteilt. Was allerdings voreilig wäre, denn es wird nicht ewig so bleiben.


Graphik zerohedge
Leicht verschoben in diesem Zusammenhang scheint auch die feste Überzeugung über das eigene ökonomische Verständnis unter den Leitfiguren der Republik zu sein: Müller: Bei der Eilentscheidung über den ESM haben wir uns nicht unter Druck setzen lassen, sondern eine sorgfältige und abgewogene Entscheidung getroffen. Das war richtig, ist von den Finanzmärkten akzeptiert worden – und hat die Position des Gerichts gestärkt. Welt am Sonntag: Durchdringen die Verfassungsrichter das Geschehen auf den Finanzmärkten, das sie mit ihren Entscheidungen beeinflussen? Müller: Sie können sicher sein, dass alle Mitglieder des Zweiten Senats den Rettungsschirm in allen Facetten juristisch und ökonomisch durchdrungen haben.“.

Da staunt der Fachmann, und der Bürger wundert sich. Nun ja, nicht umsonst sind ja fast die Hälfte der Bundestagsabgeordneten Juristen, und die können bekanntlich alles. Auch Jugendarbeitslosigkeit einfach verbieten, per Gesetz etwa ist das kein ernsthaftes Problem. So banal einfach demnach die Lösungs-Initiative der EU: „Jugendarbeitslosigkeit sollte verboten werden, wenn es nach EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor geht. Um dieses hehre Anliegen umzusetzen, sollen die EU-Staaten mit einer "Jugendgarantie" verpflichtet werden, Menschen unter 25 Jahren zu beschäftigen. ..Die Jugendlichen sollen nach dem Willen der EU-Kommission innerhalb von vier Monaten einen neuen Job haben oder eine Weiterbildung machen. Im Rahmen der Jugendgarantie sollen die Staaten dafür sorgen, dass jeder junge Mensch zügig einen neuen Job oder einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz hat oder sich weiterbildet.“.

Zu schön um wahr zu sein. Natürlich, so etwas kostet Geld. Nicht das zu wenig Geld da wäre, nein, die Frage ist lediglich woher man es zu nehmen gedenkt. Aus Steuern und Abgaben, die zu 98,5% aus dem BIP (in der BRD) stammen, ist das natürlich von hinten durch die Brust ins Auge geschossen. Denn für jeden Jugendarbeitsplatz verliert man am anderen Ende einen Erwachsenenarbeitsplatz. Denn die Konsumenten und Unternehmer müssen das bereitgestellte Geld anderswo wieder substituieren, und das tun sie zwangsläufig am Ende wieder bei den Arbeitsplätzen. Ökonomischen Sinn hat so etwas nur, wenn man das nötige Geld von den bislang verschonten (Groß-)Vermögen abzieht. Also genau dort wo man zur Zeit auf Rechnung des Bürgers kräftig füttert, da müsste man ordentlich melken, und nicht umgekehrt. Aber das ist von Wolke 7 aus gesehen nicht mehr so leicht erkennbar.


So einfach und im Prinzip auch bekannt solche Zusammenhänge sind, so wenig werden sie wahrgenommen. Als eines der vielen Beispiele sei hier nur der deutsche Ökonom Wolfgang Stützel genannt, der in seiner „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik“ solche trivialen Selbstverständlichkeiten der Substitution schon Ende der 50er-Jahre beschrieb. Nachhaltig interessiert hat's weder Ökonomen noch Politiker so richtig, denn die ebenso trivialen Folgerungen für Vermögen und ihr politisch-ökonomisches Verständnis war und ist für die Macht des Geldes, gelinde gesagt, prekär.

Zum 2013-Wahlkampfgetümmel möchte ich daher dieses Jahr mit einer Reihe von Artikeln zur Volkswirtschaftslehre beitragen, mit ein paar ZDF's (Zahlen, Daten, Fakten), als Anregung zur allgemeinen Diskussion. Beginnen möchte ich mit einem Beitrag zu den Staatsschulden.

Im Artikel „Den Bürger sollst du würgen“ habe ich in 2011 schon einiges zu diesem Thema gesagt. Neben diesen ökonomischen Fakten werden im Wahlkampf Fragen gestellt werden wie:
  • Wer hat sie gemacht?
  • Woran liegt es? 
  • Geht es denn auch anders?
  • Kann man sie zurückzahlen? Kann man sie abbauen?
  • Gibt es eine „Schuld“? Wenn ja, bei wem?

Für die erste Frage betrachten wir einfach einmal die Entwicklung der Staatsschulden über die Zeit. In der ersten Graphik dazu sehen wir die Zahlen nach den offiziellen Quellen:

Das Bild zeigt uns die in den Regierungszeiten angefallen Verschuldungen seit Gründung der BRD unter den verschiedenen Regierungen. Und zwar nicht absolut, sondern wegen der Gerechtigkeit jeweils normiert auf ein Regierungsjahr. In der Säule blau die absolute Zahl in Milliarden Euro pro Regierungsjahr, und in der roten Säule die relativen Zahlen, d.h. die prozentual auf das BIP bezogene Erhöhung der Staatsschuld, normiert auf ein Dezil. Neben dem alt bekannten Problem der ständigen Zunahme der Staatsverschuldung fällt auf, dass diese Verschuldungen kaum mit den "schwarzen" oder "roten" Regierungen zu korrelieren sind, sondern deutlich an einem Phasenwechsel geringer Verschuldungen bis Anfangs der 70er, und der Phase der Hochverschuldungen seitdem bis heute fest zu machen ist. Das liegt natürlich an dem Phasenwechsel der Volkswirtschaft seit 1967, als der Kapitalkoeffizient erstmals den Wert 1 überschritt. Die letzte Säule (BK Merkel) übrigens enthält lediglich die offizielle Staatsverschuldung. Also ohne die vielen Garantien, Bürgschaften und riskanten Kredite, die sich noch in diversen Schattenhaushalten befinden. Diese würden sonst die Graphiken weit nach oben durchschlagen.

Etwas differenzierter wird das Bild, wenn wir die einzelnen Kabinette abbilden, denn zum Beispiel hatte Kohl insgesamt fünf Regierungsumbildungen in seinen 16 Regierungsjahren.

Die bei den Kabinetten benutzten Abkürzungen bedeuten: UL Union-Liberale, ULa - dito und Andere, SL - sozialliberale Koalition, SG - SPD und Grüne, GK - Große Koalition Union/SPD.
Man sieht nun schon viel deutlicher, dass die Zurechnung der Staatsverschuldung an eine bestimmt rote oder schwarze Regierung Unfug ist. Egal ob rot ob schwarz, ob mit oder ohne FDP, das Ergebnis ist überall sehr durchwachsen. So gab es für den Bürger billige und teure Jahre unter Adenauer und Erhard (CDU), dagen wurde unter SPD Beteiligung (GK unter Kiesinger 1966 und bis Brandt 1974 (SPD) ) wieder relativ "preisgünstig" gewirtschaftet. Die SPD Schmidt Jahre waren dann aber wieder „teuer“, und ebenso die letzten Kohl Kabinette. Danach war die Schröder-SPD Kabinett I wieder ausgesprochen preisgünstig, aber die Merkel-CDU im Kabinett II schießt aktuell natürlich den Vogel nach oben ab.

Mit gelb-rot-grün-schwarzer-Politik hat dies offensichtlich ganz wenig bis gar nichts zu tun. Tatsächlich sehen wir hier, neben dem statistischen Rauschen, nun sogar alle drei wesentlichen Phasen einer Volkswirtschaft, praktisch eins zu eins, in der zunehmenden spezifischen Staatsverschuldung abgebildet: Nämlich Phase I, die Wirtschaftswunderzeiten, wo das BIP deutlich größer bis gleich der Summe der volkswirtschaftlichen Vermögen war (Kabinette Adenauer I bis Brandt II), dann die Phase in der das BIP noch nicht vollständig mit Krediten gesättigt war (Kabinette Schmidt I bis Kohl III), und schließlich die Endzeit, wo das BIP nicht einmal mehr ausreichend groß ist, um noch ein ausreichendes Reservoir für allgemeine Kredite, geschweige denn für alle Assets, ab geben zu können (Kabinette Kohl IV bis Merkel II).

Staatsverschuldung im Verhältnis zu den Assets (CAP), zum BIP (GDP) und zu den Krediten in die Realwirtschaft (LOANS) nach den Daten der Bundesbank (Assets: OU0308, Loans: OU0115).
Auch wenn man sagen muss, dass Regierungen einen gewissen Einfluss auf den Gang der Staatsverschuldung haben, so wird dieser spezifische Einfluss aber im allgemeinen weit überschätzt.In Wirklichkeit muss sich der Staat wie alle anderen Wirtschaftsteilnehmer auch (rund 80% der volkswirtschaftlichen Verschuldung ist privat) verschulden. Das Problem für alle ist aber dass das Verhältnis zwischen der Summe aller volkswirtschaftlichen Vermögen (Banken-Passiva) gleich der Summe alle volkswirtschaftlichen Schulden (Banken-Aktiva) ist, und eben, dass das Verhältnis dieser Assetsumme zum BIP mit der Zeit zwangsläufig größer wird. Deshalb sinkt die Stützungsfähigkeit (Sustainability) des BIP für Vermögen und Schulden aller Art mit der Zeit gegen Null.

Das Sustainability-Gebirge der BRD: Phase I: Das BIP ist größer als die Summe aller Assets. Phase II: Die Assets können immer weniger gestützt werden, allerdings sind die Kredite an die Realwirtschaft (LOANS) immer noch kleiner als das BIP. Phase III: Das BIP kann auch die LOANS nicht mehr vollständig stützen. Phase IV: Das zur Unterstützung der Assets (notwendig) immer größer werdende Bankeneigengeschäft kann die Vermögen/Schulden ebenfalls nicht mehr alleine stützen. Phase V: Die Staatsverschuldung überschreitet das BIP, Von dann an kann auch der Staat nichts mehr effektives zur Stützung beitragen.
Tatsächlich muss der Staat dieses Spiel mitmachen, wenn er nicht als Staat versagen will. Multipliziert man die Staatsverschuldung einfach mit dem konstanten Faktor 5  (das ist der Kehrwert von 20%), dann ergibt sich sogleich das letzte Bild:

Durchgezogene Kurve: Offizielle Staatsschulden mal 5; gestrichelt: Summe aller Aktiva der deutschen Kreditinstitute gemäß Daten der Bundesbank von 1950 bis zum Jahre 2010.
Würde der Staat seinen bedeutsamen Anteil nicht leisten, es ginge noch sehr viel schneller drunter und drüber. Man sieht allerdings auch, dass Regierungen einen kleineren Anteil hinzusteuern können: So sieht man eine etwas überproportionale Verschuldung in der späten Schmidt und auch Kohl Zeit, dagegen einen unterproportionalen Knick zur Schröder I Zeit. Und natürlich seit Ausbruch der Krisenhochphase zunehmend eine überproportionale Staatsverschuldung. Die daraus resultiert, dass man staatlicherseits nun neben seinen Hoheitlichen Aufgaben bereit ist, auch noch rasant zunehmend private Schulden zu sozialisieren. Was letztlich aber nicht gut gehen kann, da diese nicht mehr durch (staatlich hoheitlich erzeugtes) BIP unterlegt sind.

Auf die weiteren Fragen
  • Geht es denn auch anders?
  • Kann man sie zurückzahlen? Kann man sie abbauen?
  • Gibt es eine „Schuld“? Wenn ja, bei wem?
werden wir in den nächsten ZDF's noch näher eingehen.

1 Kommentar:

  1. "…den Kreditausweitungen zwischen 1970 und 2009, in Höhe von 1.596 Mrd. Euro, standen in der gleichen Zeit Zinszahlungen des Staates in Höhe von 1.562 Mrd. Euro gegenüber! D. h., nutzbar für Staat und Bürger waren in diesen 39 Jahren nur jene 34 Mrd. Euro, die sich aus der Differenz zwischen Kreditaufnahmen und Zinszahlungen ergeben. – Profitiert hat also alleine jene Bürger-Minderheit, die dem Staat ihr Geld geliehen hat: Sie ist um 1.562 Mrd. Euro reicher geworden."

    Helmut Creutz (Staatsverschuldung – kurz gefasst)

    Eigentlich bedarf es keines weiteren Beweises, dass Politiker keine Volksvertreter sind, sondern berufsmäßige Vollidioten (altgr.: idiotes = Privatperson; jemand, der öffentliche und private Interessen nicht trennen kann und deshalb für ein öffentliches Amt ungeeignet ist) im wahrsten Sinn des Wortes. Dabei ist zu beachten, dass sie nicht aus "bösem Willen" handeln, sondern sie wissen wirklich nicht, was sie tun.

    Der "Jahrhundertökonom" John Maynard Keynes wusste, dass eine "antizyklische staatliche Investitionspolitik" die Katastrophe (globale Liquiditätsfalle) nur hinausschieben aber nicht verhindern kann, denn solange keine staatliche Liquiditätsgebühr ("carrying costs") auf alles Zentralbankgeld erhoben wird und es ein privates Bodeneigentumsrecht gibt, ist der Staat niemals in der Lage, die Verschuldung wieder abzubauen. Keynes wusste aber auch, dass die "hohe Politik" dumm genug sein würde, alle denkbaren und undenkbaren Möglichkeiten einer staatlichen Investitionspolitik auszuprobieren (nebenbei bemerkt: der erste Patient, der den Keynesianismus anwendete, war Adolf Hitler), bevor sie ihr Versagen eingestehen würde, denn etwas anderes kann die politische Seifenoper in einer Zinsgeld-Ökonomie (zivilisatorisches Mittelalter) sowieso nicht machen.

    Das einzig Sinnvolle, was Politiker tun können, ist, sich selbst überflüssig zu machen! Aber auch dafür sind sie zu dumm, denn es fehlt ihnen jegliche Kompetenz, die Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus zu befreien und damit eine echte Soziale Marktwirtschaft zu verwirklichen, ohne dabei eine Katastrophe in der Katastrophe auszulösen. Selbst wenn man den Politikern bis ins Detail aufschreiben würde, wie eine freiwirtschaftliche Geld- und Bodenreform praktisch durchzuführen ist, würden sie immer noch genügend Denkfehler dazwischen setzen, um mehr Schaden anzurichten als alles andere! Man muss sie also wie kleine Kinder an die Hand nehmen und ihnen Schritt für Schritt zeigen, was zu tun ist.

    Das kostet den deutschen Steuerzahler die "Kleinigkeit" von 48 Mrd. Euro; nicht weil ich unverschämt bin, sondern weil ich mir gerade noch zutraue, diesen Betrag nach der Verwirklichung der Natürlichen Wirtschaftsordnung gewinnbringend in die Technologien zu investieren, die mich persönlich interessieren. Und was sind schon 600 Euro pro Mitbürger nicht nur für den sprichwörtlichen, sondern den tatsächlichen Himmel auf Erden?

    http://www.juengstes-gericht.net

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