Angela und die
Republik wurden wieder einmal nach allen Regeln der diplomatischen
Kunst öffentlich vorgeführt und nackig gemacht: Als die große
Staatenlenkerin und Wahlkämpferin Merkel gerade im Flieger saß und
den G20-Gipfel in Russland verließ, kuschelten sich alle großen und
bedeutenden EU-Staaten außer Deutschland zusammen, nämlich
Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien, und unterschrieben flugs hinter dem entzückenden Rücken der
amtierenden Kanzlerin die US-amerikanische Erklärung zu einem
militärischen Vorgehen in der Syrien-Frage:
„Die Kanzlerin hatte
ihre Unterschrift zunächst verweigert. Sie verließ St. Petersburg
am Freitagnachmittag, um bei der parallel stattfindenden Konferenz
der EU-Außenminister in Vilnius eine gemeinsame Haltung in der
Syrien-Frage auszuhandeln. Nach Merkels Abreise schlossen sich
Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien der amerikanischen
Erklärung an - offenbar ohne Wissen der Kanzlerin. Deutschland war
damit der einzige europäische G-20-Staat, der die Resolution vorerst
nicht unterschrieb. Erst 24 Stunden später, beim Außengipfel in
Vilnius, zog Merkels Regierung eilig nach und stimmte der
US-Erklärung ebenfalls zu.“. Ja eigentlich wollte Sie ihre
vermeintliche Führungsrolle in der EU erst tags später auf dem
EU-Außengipfel wahrnehmen und eine gemeinsame EU-Erklärung
formulieren.
Westerwelle und Merkel waren düpiert, und wäre nicht Wahlkampf,
man hätte vielleicht auch starke Worte gefunden um diesen erneuten
Eklat in Sicherheitsfragen der EU (nach dem vormals in der
Irakkriegsfrage auch so vorgegangen wurde mit der Erklärung der
„Acht Willigen“ unter Führung des vermeintlichen Zwerges Polen)
mit geeignet drastischen Worten zu beflastern. So fiel die Erklärung
etwas diplomatischer aus:
„Merkel warf den anderen großen
EU-Staaten indirekt vor, sich egoistisch verhalten zu haben. "Ich
finde es nicht in Ordnung, wenn fünf große Länder ohne die 23, die
nicht dabei sein können, schon einmal eine gemeinsame Position
verabschieden, wissend, dass 24 Stunden später diese 28 alle
zusammensitzen", sagte Merkel...Zugleich lobte die Kanzlerin
ihren Außenminister Guido Westerwelle (FDP), dem es gelungen sei, in
Abstimmung mit ihr eine gemeinsame Position zu Syrien zu finden...Am
Samstag verabschiedeten die 28 EU-Außenminister dann eine eigene
Syrien-Resolution. Diese fordert im Gegensatz zur US-Erklärung, dass
der Bericht der Uno-Chemiewaffeninspekteure abgewartet werden soll.“.
Auweia. Viel blamabler geht es eigentlich nicht.
Wäre da nicht
ein ähnliches Problem bei der westlichen Führungsmacht selbst, man
könnte wieder einmal amüsiert und herzlich über die versammelten
EU-Hampel-männer/-innen lachen: Immerhin, es ist der Kanzlerin in
ehernem Ringen gelungen, sich mit ihrem eigenen Außenminister auf
eine
„gemeinsam Position“ zu einigen! Um 24 Stunden später dann
mit der EU eine, im wesentlichsten Punkt anderslautende, Erklärung
zu verfassen. Und, dann diese und auch die gegenteilige US-Erklärung
ebenfalls zu unterzeichnen. Wow! So eine Meisterleistung muss man
erst mal hin kriegen ohne sich dabei einen Knoten in die
Hirnwindungen zu machen.
Zur der neuerdings
nicht unähnlichen Situation in den USA schreibt das
Handelsblatt-Online:
“Obama kämpft gegen Widerstände im eigenen Land“:
„US-Präsident Obama wirbt vehement für ein Ja des Kongresses zu
einem Militärschlag gegen das Assad-Regime....Am Mittwoch soll es im
Senat eine erste Abstimmung über einen begrenzten Militärschlag der
USA geben, die entscheidende in dieser Kammer am Wochenende. Eine
Abstimmung im Repräsentantenhaus wird in der darauffolgenden Woche –
also nach dem 16. September – erwartet. Eine Mehrheit gilt als
nicht gesichert, die US-Bevölkerung gilt als
kriegsmüde....Insbesondere aus dem Repräsentantenhaus gab es am
Sonntag kritische Stimmen zu einem US-Militärschlag. „Ein paar
Tomahawk-Raketen abzuschießen wird im Ausland nicht unsere
Glaubwürdigkeit wiederherstellen“, sagte der republikanische
Abgeordnete Mike McCaul...Die demokratische Abgeordnete Loretta
Sanchez fügte hinzu: „Wenn der Präsident sagt, das ist einfach
nur eine schnelle Sache und dann sind wir wieder draußen: So
beginnen lange Kriege.““.
Immensum bellum?
Die geäußerte Vermutung
„so beginnen lange Kriege“ liegt
natürlich nahe und das beschleichende Gefühl dürfte auch kaum
trügen. Und schauen wir einmal kurz zurück, so sehen wir dieses
Gefühl bestätigt: Erst sollte in einer spontanen Reaktion auf das
Überschreiten einer selbst gesetzten Linie, dem offensichtlichen
Giftgaseinsatz, eine ein- oder bestenfalls zweitägige
Bestrafungsaktion mit Lenkwaffen erfolgen, die aber erklärtermaßen
das Assad-Regime nicht entscheidend beeinträchtigen sollte. Diese,
nicht nur Militärexperten wenig überzeugend erscheinende „Lösung“,
berührt den Kern des Dilemmas: Was will man eigentlich hier bzw.
dort? Offensichtlich nur mal zeigen das, hallo, wir, und das heißt
die einzige (noch) Führungsmacht USA, auch noch da sind und
irgendwie mitspielen wollen. Dann wäre es aber besser, statt teurer
Lenkmunition, gleich normales und vergleichsweise billiges
bengalisches Feuerwerk zu verschießen. Es täte niemandem weh, aber
es würde auch deutlich machen, dass man noch da wäre. Und ja, pass
auf lieber Assad, wir könnten ja, wenn wir nur wollten. Nach dem man
nun aber schon drei Jahre tatenlos dem Massenmorden zugeschaut, oder
besser gesagt, gekonnt weg geschaut hat. Hätte man gleich zu Anfang
eingegriffen, als Assad wie viele andere arabische Despoten die
öffentlichen und damals noch friedlichen Proteste zusammen
kartätschen ließ, die Situation wäre nicht so aussichtslos
eskaliert. Natürlich, es hätte genau dasselbe Gezeter wie jetzt
auch gegeben, und die Folgen hätte auch niemand sicher kalkulieren
können, aber die gesamte Dimensionen wäre eine viel kleinere
gewesen.
Nun ist aber auch Obama aufgefallen, dass es so nicht gehen kann.
So hat er sich entschieden einen Antrag auf Zustimmung durch Senat
und Kongreß zu treiben, der ihn für bis zu 90 Tagen oder drei
Monaten, zu einem begrenzten Krieg ermächtigt. Und man darf davon
ausgehen, dass dies auch so gemeint ist. Die gewaltige
Dimension desProblems über ein „bisschen“ Giftgas hinaus ist den
Verantwortlichen in der US-Regierung inzwischen aufgegangen. Welche
Strategie man sich genau überlegt hat bleibt allerdings unklar, so die
DW-Online: „Von einem "Schuss vor den Bug" spricht
US-Präsident Obama mit Blick auf einen Militärschlag gegen Syrien.
Und dann? Experten bemängeln die Planlosigkeit der
Westmächte....Doch sind gezielte Militärschläge tatsächlich ein
geeignetes Mittel, um auf den Chemiewaffen-Einsatz vom 21. August zu
antworten?...Auch für Zbigniew Brzezinski ist der Militäreinsatz
der USA und ihrer Verbündeten gerechtfertigt. ...Brzezinski mahnte
an, dass die Lösung des Syrien-Konflikts weder rein militärisch
erfolgen könne, "noch sollte man sie allein von den westlichen
Mächten abhängig machen". Außer der Türkei und Russland
müssten auch asiatische Staaten in den Prozess eingebunden werden,
die Rohstoff-Interessen im Nahen und Mittleren Osten hätten. Aus
Sicht Brzezinskis ist ein solcher Ansatz aber nicht zu erkennen;
überhaupt sei die Syrien-Strategie der US-Regierung ein "wohl
gehütetes Geheimnis". Wissenschaftler Perthes und Ex-General
Ramms fehlt ebenfalls die gemeinsame Linie des Westens. "Wir
haben keine Syrien-Strategie", sagte Perthes. "Ich glaube,
die große Aufgabe Deutschlands und Europas ist es, auch bestimmte
arabische Verbündete dazu zu bekommen, einzusehen, dass es nicht
darum geht, den Bürgerkrieg in Syrien zu gewinnen, sondern darum ihn
zu beenden.".“
Da ist alles Wesentliche drin: (1.) Die Planlosigkeit der
Westmächte (2.) auch asiatische Staaten mit Rohstoff-Interessen im
Nahen und Mittleren Osten müssten eingebunden werden (3.) ein
solcher Ansatz ist nicht zu erkennen und (4.) es geht nicht darum,
den Bürgerkrieg zu gewinnen, sondern ihn zu beenden.
Rote Linien und Points-of-no-Return
Die „rote Linie“ der USA ist bekanntlich der
Giftgaseinsatz durchAssad. Internationales
Argumentieren zielt zur Zeit gemeinhin nur auf die Frage nach den „unwiderlegbaren
Beweisen“. Nämlich dass er, Assad, und kein Anderer, das unsägliche tatsächlich auch gemacht
hat.
Nur, ist das wirklich so wichtig? Abgesehen von der Tatsache,
dass diese Forderung selbst mit gutem Willen kaum zu erfüllen wäre,
so würde ich einmal behaupten wollen, dass es in Wahrheit völlig
irrelevant ist. Viel relevanter ist die Tatsache, dass man zu lange
zugeschaut hat und die Dinge für den Westen nun immer weiter, und
eventuell unwiederbringlich, aus dem Ruder laufen. „Rote Linien“,
dass sind Markierungen für ein Ende der Fahnenstange, und wenn sie
ggf. verwischt sind, so ist zwar die Markierung weg, aber das Ende
der Stange ist trotzdem noch da.
Wie war das noch beim vielzitierten Zweiten Weltkrieg 1939-1945?
Die damals gezogene „rote Linie“ war der
deutsch-russischeAngriff auf Polen. Dabei sind solche roten Linien niemals
der Grund für einen Krieg gewesen, sondern immer nur ein Trigger,
der den öffentlichkeitswirksamen „
point-of-no-return“ markierte.
So einen braucht man immer, denn was wirklich dahinter steckt(e), dass lässt sich so gut wie nie so verkürzt darstellen: Seit
langem hatten damals die Westmächte dem Treiben der beiden Despotien,
Faschismus und Stalinismus, in Festland-Europa relativ tatenlos
zugeschaut. Deutschland, Spanien und Italien waren an den Faschismus
gefallen, das postzaristisch-kommunistische Russland strebte seinen
Einfluss und Ideologie ebenfalls weiter nach Westen auf Europa
auszudehnen. Die Achse dieser Diktaturen war schließlich sogar noch im
fernen Osten noch durch Japan vervollständigt worden. Nach dem
Nichtangriffspakt zwischen Russland und Deutschland aber war klar, dass
die vollständige Aufteilung Europas unter den beiden Chaoten
bevorstand. Die rote Linie, an dem man das eigene Eingreifen fest
machen konnte und musste, wurde daher der annehmbar bevorstehende Angriff auf
Polen. Welcher dann auch prompt stattfand und zum militärischen,
zunächst allerdings viel zu harmlosen und erfolglosen, Eingreifen
Großbritanniens und Frankreichs führte. Wäre man in Polen gleich
in die Vollen gegangen, man hätte sich selbst und Europa ein Menge
ersparen können.
Was hätten die Westmächte damals aber auch, statt dessen, machen
können? Natürlich sie hätten, was auch damals oft genug gefordert wurde, auch einfach abwarten können. In der vagen Hoffnung, dass sich die beiden Festlands-Helden gegenseitig massakrieren würden. Denn klar war für die angelsächsischen Strategen, dass
sich über kurz oder lang die beiden Despoten Hitler und
Stalin in die Haare geraten würden. Der deutsch-sowjetische Krieg
würde damit zweifellos kommen. Und er kam dann auch, als Hitler als
erster der beiden die Strippe zog. Aber, hätten sich die Alliierten dabei
heraus gehalten, was wäre das vermutliche Ende gewesen? Da schon 1939 die
Sowjetarmee deutlich größer als die Deutschlands war, und zudem noch viel
rasanter wuchs, als dass auch das Potential an Menschen, Land und
Rohstoffen um Dimensionen größer war, so war ein Endsieg der Russen
über Deutschland vorherzusagen keine große Kunst gewesen. Die strategische
Folge aber wäre ein stalinistisch-kommunistisches Russland von
Wladiwostok bis nach Lissabon und Sizilien gewesen. Ein Riesenreich, noch weniger angreifbar als Väterchen Russland sowieso schon immer gewesen war. Und diese
naheliegende, durch die reale Nachkriegspolitik der SU durchaus
bestätigte, Vorstellung war für die Westmächte noch viel viel
schlimmer gewesen, als ein faschistisches Deutschland, dass den
Westen Europas beherrscht hätte. Natürlich, man hätte auch andere
rote Linien ziehen können, so etwa die „
unwiderlegbaren Beweise"
dass wirklich Juden und Andersdenkende in größerer Anzahl, von Adolf Hitler und keinem
Andern, vergast wurden. Beweise auf die man dann noch bis mindestens
1995 hätte warten können oder sogar wollen, wie es das historisch
weitere Verhalten der Alliierten in dieser Frage vermuten lässt.
So kam es also anders.
Immerhin, beim Ausbruch des WW-II hatten die Alliierten durchaus
einen Plan und auch eine konkrete Vorstellung von dem, was da auf sie
zu kam. Denn der WW-I lag ja nicht lange zurück. Heute, so wie auch
vor diesem
sogenannten Ersten Weltkrieg (1914-1918), fehlt
beides jedoch bei den aktuellen Westmächten. Der Ausbruch des großen
Krieges im letzten Jahrhundert war zwar absehbar, aber eine
Vorstellung über seine Dimension und Ursachen, als auch eine
konkrete Planungen bezüglich der notwendigen Ressourcen, all das
fehlte damals ebenso weitgehend. So „taumelte“ man gewissermaßen
in den Krieg hinein, da sich alle Beteiligten strategisch unter dem
Strich etwas davon versprachen, dabei aber die gegenüberstehenden
Kosten bei weitem unterschätzten:
„Weihnachten sind wir wieder zu
Hause“, war nicht nur in Deutschland die gern geglaubte Devise, mit
der man ins Feld zog. Weitsichtigkeit über die nächste
Legislaturperiode hinaus ist eben nicht die Stärke der Menschheit
oder gar der Politik.
So werden die globalen Zwangsläufigkeiten und absehbaren Folgen
von der Politik sträflich unterschätzt. Man könnte meinen man hör einen Goebbel'schen Geist
„Wollt Ihr den totalen Frieden?“
rhetorisch süß und suggestiv gerade aus Deutschland rufen. Selbst
die Briten, traditionell eiserner Partner der USA, ließen ihren
Premier bei der eigentlich nur formalen Kriegszustimmungsfrage
eiskalt abblitzen. Ein ungeheurer Vorgang, der zuletzt vor etwa 300
Jahren in England aktenkundig wurde. Aus unserer Wohnzimmersicht ist
dies alles durchaus verständlich, so wenn für die meisten Bürger
der Ausgang der jährlichen Fussballmeisterschaft auf dem
50-Zoll-Flat-TV wichtiger erscheint als der Überlebenskampf in den
Wüsten Afrikas und des nahen Ostens. So will man gerne glauben, dass
man die Kuh dort mit sehr begrenzten Einsätzen, zwei oder drei Tage
lang wenn überhaupt, vom Eis bekommt. Oder mit etwas großzügiger
Entwicklungspolitik, Brunnen bohren und Demokratienachhilfe gar die
Ursachen des Streits beseitigen könnte.
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Auch mehr als 400 Kinder wurden Opfer des Gasangriffs vom 21.August. |
Die tieferen Ursachen des am
Horizont heraufziehenden Weltkrieges des 21.ten Jahrhunderts werden
dabei weder erkannt, noch irgendwie reflektiert. Zumindest nicht da
wo diese Reflektion notwendig wäre. Genau wie damals steckt hinter
dem kommenden Krieg die allgemeine Verteilungskrise (vulgo:
Finanzkrise) auf der einen Seite, und der anstehenden Umverteilung
alter (westlicher) Macht und Einflusses in neue (östliche) Hände. Auch Entwicklungspolitik und Demokratienachhilfe können das nicht
ändern. Dort wo die Demokratie jüngst noch kurzen Fuß fasste, ist
sie auch gleich wieder verloren gegangen. Warum ist wenig
verwunderlich, kaum einer aber will es wahr haben: Die Menschen,
gerade in den arabischen Staaten, versprechen sich von der neuen
Demokratie nicht nur ein paar zusätzliche Freiheiten, so ab und an
ein Kreuzchen auf einen Zettel zu machen oder den Schador etwas
kürzer tragen zu dürfen. Ihnen geht es vor allen Dingen um die
damit angeblich verbundenen wirtschaftlichen Vorteile: Nämlich dass
es dem Durchschnittsbürger sichere Arbeit, ein würdiges Einkommen
und dauerhaft wenigstens den Hunger stillenden Konsum ermöglicht.
Aber genau das können die jungen Demokratien dort unmöglich
liefern, selbst wenn sie es schaffen würden den inner-nationalen
Verteilungskampf zwischen korrupten Eliten und ausgebeuteter
Bevölkerung zu lösen. Denn wegen der übervollen Investmentkassen
in USA; EU und Japan, und dem, teilweise gerade durch genau diese
Westmächte erzwungenen, freien Kapital- und Handelsverkehr, wird
jedes aufstrebende Entwicklungsland
sofort kannibalisiert.
Denn die am Anfang starken Wachstumsraten werden mit schnell
investierten Auslandskapital erst gründlich abgeschöpft, um sie
dann beim ersten Anschein einer Abkühlung sofort wieder abzuziehen.
Und um sie natürlich gleich wieder in die nächste vielversprechende
Kapitalsenke zu transferieren. In diesem ökonomischen Umfeld haben
die jungen Demokratieversuche kaum eine Chance für längere Zeit zu
bestehen.
Selbstaufgabe oder Verteidigung der westlichen Vormachtstellung?
Abseits dieser tieferen Ursachen wird man bald vor die Frage
gestellt werden, ob man seine Macht, seinen Einfluss und seine
ökonomische Vormachtstellung weitgehend widerstandslos an die
(weniger verschuldeten und dynamischeren) Ost- und Asienmächte
abgeben will, oder ob man die bereits begonnene weltweite
Umverteilung zum eigenen Nachteil militärisch zu unterbinden
trachtet. Wobei möglicher Erfolg oder Misserfolg, ja auch die Dauer
des Desasters kaum abschätzbar sind. Denn, selbst wenn es zunächst
bei einem Kurzeinsatz allein in Syrien bliebe, was käme danach? Es
würde sich nichts wesentliches geändert haben, außer dass die
gegenseitigen Animositäten aller Beteiligten noch größer geworden
wären. Insbesondere der Russen und Chinesen, neben den lokalen
Mittelmächten Türkei, Iran und Saudi-Arabien. Und dazwischen
eingekeilt unser bereits angeschlagenes Schlachtschiff Israel. Den
Zeitpunkt, an dem eine neue rote Linie gezogen werden müsste, um
dann mit Sicherheit wieder überschritten zu werden, den kann man
sich an fünf Fingern abzählen.
Nun also soll das Syrien-Theater frühestens nach dem 16.
September los gehen. Natürlich haben alle davon berührten Staaten
inzwischen ihre Vorbereitungen für den möglichen Fall der Fälle
getroffen. Natürlich die USA, Israel und auch Syrien. In letzterem
Staat wird man alles mögliche unternommen haben, um bei einem
Angriff nicht völlig hilflos und verwundbar zu sein. Von einem
Überraschungsschlag oder Blitzkrieg auszugehen ist damit eigentlich
vom Tisch, und das zeigt ja auch schon Obamas Anfrage von 60 bis 90
Kriegstagen beim Kongress. In der Zwischenzeit wimmelt es bereits von
Kriegsschiffen aller Nationen rund um die Syrischen Grenzen und
Küsten. Ja selbst im ferneren Osten lauern schon Verfügungskräfte.
Italien, Frankreich, die Briten und die Türkei, selbst die Russen
haben schon Kriegsschiffe zur Sicherung ihrer syrischen Militärbasen
heran gezogen, und die Chinesische Marine fährt „Manöver“ etwa
im Golf von Aden. Wie die Frösche um den Teich lauern nun alle
darauf, was die USA und Israel unternehmen werden; was daraufhin
geschieht, und ob und wie man ggf. selbst eingreifen muss um seine
mittel- und langfristigen Interessen zu wahren.
Der unvermeidbare Tanz auf dem Vulkan: Wo liegen denn all die roten Linien?
Wenn wir über
„rote Linien“ nachdenken, dann sollten wir
keinesfalls nur die eigenen im Blick haben. Klar, Obama zog den
Giftgaseinsatz durch Assad's Truppen als rote Linie. Israel übrigens
auch, allerdings mit der delikaten Abwandlung, dass es Assad's
Gegner, hier insbesondere islamistische Gruppierungen, diese Waffen
einsetzen oder auch nur in Besitz nehmen würde. Und so flog man
schon drei unangekündigte IDF Einsätze in Syrien, um genau das zu
verhindern. Das pikante daran: Hätten wirklich Assad's Gegner wie er
und Putin behaupten das Gas eingesetzt, dann wären die Israelis die
Ersten die es wüssten. Und sie wären gerade die ersten die dann
militärisch einschreiten müssten und auch würden. So oder so, egal
von wem das Gas kam, das Tandem USA-Israel muss nun also
unzweifelhaft handeln. Und da war natürlich die rote Linie Assad's,
die darin bestand, dass die USA von Jordanien aus Aktionen gegen das
Regime steuern würde, was ja definitiv
auch der Fall war. Somit aus seiner Sicht der Sarineinsatz „gerechtfertigt“
sei.
Aber, wo liegen die roten Linien der Europäer?
Ja wenn wir das wirklich wüssten! Anscheinend gibt es von denen mehr als die Anzahl
der Länder multipliziert mit ihrer Parteienzahl dividiert durch das
Wirtschaftswachstum. Anders, geheimer und bedrohlicher sind dagegen die roten
Linien der aufstrebenden Weltmächte, so Russland und China, aber
auch der beteiligten Mittelmächte Türkei, Iran, Saudi-Arabien. Wo
genau liegen deren Points-of-no-Return's für einen Kopfsprung in den
Krieg? Würde Russland ein US-Schiff versenken, dass seinen syrischen
Stützpunkt beschießt? Oder reicht dafür schon weniger? An welchem
Punkt würde auch das konfuzianisch coole China seine Masken fallen
lassen und sich nicht mehr mit bloßen Waffenlieferungen an genehme
Regime begnügen? Ein Pulverfass mit vielen Unbekannten und keiner
bekannten Lösungsgleichung.
Man könnte zwar meinen, die USA und ihre Partner sollten einfach
alles sein lassen, sich wieder zurück ziehen, nach dem Motto
„T'schuldigung, war nicht so gemeint...“, oder wenigstens nur ein
ganz kleines bisschen symbolischen Krieg machen. In beiden Fällen
aber würde, erst recht wenn nichts geschähe, der internationale
Startschuss zur weiteren Umverteilung von Macht, Rohstoffen und Land
im Nahen Osten fallen. Die faktische Machtlosigkeit und
Zerissenenheit der westlichen Mächte wäre damit offenbar, womit
automatisch auch Israel zunehmend obsolet würde. Und es könnte
genauso plötzlich und unerwartet dahin scheiden wie einstmals die
DDR und auch die SU.
Allerdings kaum so unblutig. Nun, „Wollt Ihr
den totalen Frieden?“. Na „ja“, aber nur um den Preis eines
zunehmend größeren Desasters in mittelfristiger Zukunft. „Jaaa...“,
weil man doch im Prinzip die ganzen weltweiten Verteilungsfragen am
Verhandlungstisch lösen könnte. So wie es regelmäßig nach
blutigen Kriegen sowieso stattfindet, inklusive der fälligen
Währungsreform übrigens, ganz nebenbei. Aber haben sich Menschen
oder Nationen über fundamentale Verteilungsfragen je ohne voran
gegangenen Krieg einigen können? Bestenfalls kurzfristig. „Jaaa...“,
vielleicht, weil ich meine Ruhe haben will, zumindest bis nach mir, wo
dann gerne die Sintflut kommen darf? „Neiiiin...“ vielleicht weil
wir sowieso dadurch müssen und nur jetzt noch etwas retten können,
wenn überhaupt?
Ich weiß es nicht wirklich und bin auch froh, dass ich es nicht
entscheiden muss. Die neueste Entwicklung
sehe ich gerade im Netz, die USA fordern Syrien auf alle Chemiewaffen abzuliefern und eine
Inventur zu ermöglichen. Unwahrscheinlich, dass sich Syrien darauf
einlässt. Zumal China assistiert mit
„China, das wie Russland eine
völkerrechtlich bindende Resolution des UN-Sicherheitsrats mit
seinem Veto verhindert, mahnte die USA zu "extremer Vorsicht".
Außenminister Wang Yi erklärte, die maßgeblichen Länder sollten
sich etwaige Schritte gegen Syrien "dreimal überlegen".“.
Russland hat sich aktuell angeblich bei Assad stark gemacht, die
Spielzeuge abzuliefern, um einen Angriff der USA zu vermeiden. Assad
soll angedeutet haben, er hieße dann die UN-Beobachter erneut
willkommen, die Sache in die Hand zu nehmen. Nur, was steckt
wirklich dahinter? Zeit zu gewinnen, damit man sich auf einen
internationalen Krieg besser vorbereiten kann? Zeit zu gewinnen, um
dann genüsslich beobachten zu dürfen, wie sich die
Kriegsanstrengungen des Westens weiter in Unklarheit und
im gegenseitigen Füsse stellen minimieren? Wie sie sich weiter uneins
werden, blamieren und diskreditieren? Und endlich, was würde es denn
mittelfristig nützen, wenn die Sarintanks tatsächlich ausgeliefert
würden? Das Morden geht auch ohne das
Gift genauso weiter, vielleicht nur etwas langsamer und für uns am
Stammtisch etwas beruhigender.
Was jetzt auch immer geschieht, nur eins weiß ich ganz genau:
„Weihnachten zu Hause“ wird in dieser Frage keiner sein.
Niemand.
Weder hier noch hüben oder drüben.