Dienstag, 18. Oktober 2016

TTIP und CETA: Das Ermächtigungsgesetz der Finanzindustrie

Aktuell steht die Unterzeichnung des CETA Abkommens zwischen der EU und Kanada an. SPD Vizekanzler Gabriel versucht es durch zu pauken, und die EU Members werden größtenteils mitziehen. Allerdings knirscht es schon im Gebälk (Wallonie, Belgien). CETA gilt als Türöffner für das umstrittene TTIP Abkommen zwischen USA und der EU, und das zu Recht, denn wer sich die Vertragstexte anschaut weiß nicht so recht wer da nun von wem abgeschrieben hat. Vermutlich stecken die gleichen Köpfe dahinter.

Kanada ist immerhin nur ein kleines Land, was die Bevölkerungszahl in Relation zur EU angeht, und macht in der Relation zur EU daher natürlich keinen Kohl fett. Es ist im Prinzip irrelevant auf ökonomischer Ebene, zumindest für die EU, an deren Wirtschaftskraft es nichts messbares verändern wird. Ganz anders sieht es bei der USA aus, die nicht nur ökonomisch und Bevölkerungsmäßig ähnlich stark wie die EU ist, sondern darüber hinaus über die Weltwährung des US-Dollars verfügt, die ganz andere, ja einzigartige, Maßstäbe setzt.

CETA ist gewissermaßen der Initialzünder für TTIP: Ist es einmal durch gepaukt, dann werden die Stimmen in Brüssel die bislang noch an TTIP zweifeln leiser werden, und einer Umstimmung sehr viel leichter zugänglich sein. Nach den üblichen Bewegungsregeln der Brüsseler Amtsschimmel ist dann auch TTIP so gut wie durch. Die Proteste auf den Straßen werden derweil wohl weiter gehen, aber das ist man in Berlin und Brüssel gewohnt. Solange nicht reihenweise in der EU Straßenzüge brennen, wird es wie üblich schlicht weg ignoriert werden. So schon in den „Blätterfür deutsche und internationale Politik“ in 2014: „...Sollte CETA dagegen in Kraft treten, während die Verhandlungen zu TAFTA/TTIP noch laufen, hätten die Amerikaner einen entscheidenden Vorteil errungen. Über ihre kanadischen Standorte und Töchter können die US-Konzerne dann jederzeit zu gleichen Bedingungen auf den europäischen Markt vordringen wie kanadische Unternehmen – umgekehrt wäre das schon erheblich schwieriger. Eigentlich bräuchten die Amerikaner TAFTA dann gar nicht mehr.“
  
Lesen ist gar nicht so einfach

Wer sich mit der Materie und der Kritik daran auseinander setzen will oder muss, sollte also wenigstens mal die Vertragstexte lesen. Was nicht nur wegen der anti-demokratischen Heimlichtuerei darum schwierig ist, die ja erst nach massiven Protesten der Bevölkerung zumindest teilweise aufgehoben wurde. Sondern auch wegen des schieren Umfangs der Dokumente, die zudem im Beratungsprozess alle paar Wochen wieder leicht verändert in unübersichtlichen Datenbanken, wie bei TTIP, auftauchen. Der CETA Text liegt bereits unterschriftsreif vor und ist sagenhafte 1598 Seiten lang. Immerhin könnte man den theoretisch lesen, bei TTIP ist das bislang noch eine Lebensaufgabe, bei der man sich sicher sein kann, dass diese von keiner entscheidenden Einzelperson auf höherer Ebene je geleistet werden wird.

Ob Pro- oder Anti- Aktivisten, Journalisten, Juristen, Ökonomen, gar Bürger oder Politiker: man kann sich sicher sein das fast keiner dieser entscheidenden Personen je den kompletten Text gelesen oder gar verstanden haben. Schon gar nicht Spitzen Politiker, die normalerweise keine Texte lesen die länger sind als zwei Seiten und sich ansonsten auf den Stab ihrer Berater verlassen, wo wir wieder bei ersterer Gruppe wären. Man darf vermuten, das so was durchaus Methode hat. Hinter der Unzahl von juristischen Spitzfindigkeiten und ökonomischen Nebensächlichkeiten die wirklichen Pferdefüße zu finden ist praktisch unmöglich, sofern man nicht schon ahnt wo sie liegen. Im letzteren Fall hat man immerhin eine Chance auf diesem Acker der gedrechselten Worte die verbuddelten Landminen zu finden.



                                    Der Nutzen ist Überschaubar

Das man als Lobbyist gerne Spitzenpolitiker auf sumpfige Nebenpfade lockt ist klar, schlimmer ist jedoch dass sich dieser Erfolg auch bei Pro- und Anti- Aktivisten, Journalisten und Ökonomen fasst mühelos einstellt. Tatsächlich reiben sich diese an Lappalien der Größenordnung Chlorhühnchen und französischen Naturkäse auf, wo sie sinnlos ihre Zeit und Energie verbraten während der wahre Grund der Verträge weiterhin im Dunklen bleibt.
 
Immerhin ist aufmerksamen Ökonomen schnell aufgefallen, das weder TTIP, und schon gar nicht CETA, an der real-ökonomischen Situation hüben wie drüben etwas nennenswertes ändern wird. Der wesentliche Grund ist, dass es derzeit sowieso kaum noch Handelshemmnisse zwischen Nordamerika und der EU gibt. Mit oder ohne CETA/TTIP ändert sich wenig, denn die Hemmnisse für Produkte der Realwirtschaft sind im wesentlichen einfach die Entfernung und die damit bedingten Nebenkosten für Transport realer Güter, seien es nun Autos oder auch Dienstleistungen erbringende Personen. Die wesentlichen Opportunitätskosten bleiben, die ehedem schon geringen Zölle werden durch etwas geringere ersetzt, am wesentlich bedeutsameren Papierkram ändert es aber kaum etwas. Auch nicht an dem Zeitfaktor z.B. ein Produkt in den USA zu produzieren und nach Europa in die Geschäfte zu bringen. Es sind in der Summe absolute Peanuts, wobei unter relevanten Ökonomen die Schätzungen über reale Vorteile oder Nachteile zwischen minus oder plus einem halben Prozentpunkt des GDP schwanken. Und das zum Preis erheblicher Reduzierung von Nationalen Standards, sozial- und Umwelt- politisch, die gerade im Vielvölkerstaat Europa durchaus ihre Berechtigung haben.

So bemerkte die französische Le Monde bereits in 2013: „...Eine Studie des Tafta-freundlichen European Centre for International Political Economy kommt zu dem Befund, dass das BIP der USA wie der EU – selbst unter extrem blauäugigen Annahmen – allenfalls um ein paar Promille wachsen würde, und das ab 2029. Den meisten bisherigen Prognosen liegt die Annahme zugrunde, dass Zollsenkungen stets eine starke Wirtschaftsdynamik auslösen – was empirisch längst widerlegt ist. Verzichtet man auf diese dubiose Annahme, dann – räumen die Autoren der Studie ein– schrumpft der potenzielle BIP-Zuwachs auf statistisch irrelevante 0,06 Prozent.“

Warum nun also so vehement, am Volk vorbei und selbst für Wahlkämpfer schwer verdaulichen Vertrauensverlust bei der Bevölkerung einkalkulierend, werfen sich nun Spitzenpolitiker in die Bresche? Man darf mutmaßen, dass wie üblich die selben einflussreichen Lobbies dahinter stecken. Das mögen hier und da auch mal Landwirte sein, aber es sind doch die wesentlichen Spenden-Finanziers der Parteien hüben wie drüben, die Banken und die großen Investoren.


Ermächtigungsgesetz der Finanzindustrie 

Und wenn man sich darüber klar wird, dann braucht man auch nicht solange nach des Pudels Kern zu suchen. Unter der Rubrik Market Access findet man bei TTIP einige teils verwirrende Dokumente zum lieben Investor. Und das was darin steht schlägt wirklich jedem Fass den Boden aus: Es ist das faktische Ermächtigungsgesetz der Finanzindustrie, dass jegliche Beschränkung und demokratische Kontrolle ihrer Aktivitäten ausschließen soll. Nach ihrem Textuellen Inhalt kann sich ein Staat, d.h. im Klartext ihre Bevölkerung, dann nicht mal mehr durch ihren eigene Tod, sprich Staatspleite, aus der festgeschriebene Unterwerfung an die Finanzinstitute lösen. 

Der CETA Text entspricht, oh was für ein Wunder, da auch dem noch schlimmeren TTIP Text im wesentlichen. Das meiste zu den absonderlichen Investorenprivilegien ist wortgleich im CETA Kapitel 8 ab Seite 38 ff. zu finden, und darf als Blaupause des TTIP's Chapter II angesehen werden.

Auch das ist einigen wenigen Ökonomen schon aufgefallen, aber ihre Stimmen dringen zwischen den Establishment-genehmen Protesten über Chlorhühnchen und Biokäse einfach nicht durch: Als Reaktion auf die Finanzkrise ab 2007 hatten die USA in den vergangenen Jahren schärfere Regeln im Finanz- und Bankensektor durchgesetzt. Dazu gehört etwa die Reglementierung und das teilweise Verbot riskanter Finanzprodukte, die weithin als einer der Auslöser der Krise angesehen werden. Ein Verhandlungsgegenstand von TTIP ist die Rücknahme von Kontrollen und einschränkenden Regeln für den Finanzsektor. Der Ökonom Michael R. Krätke schrieb dazu:Die Ironie der Geschichte: In den USA gelten im Moment noch striktere Finanzmarktregeln als in Europa. Wenn alle Dienstleistungssektoren ‚liberalisiert‘ werden sollen, gilt das selbstverständlich auch für die Finanzdienstleistungen. Folglich steht uns eine seltsame Allianz der Finanzmarktderegulierer ins Haus, die die gerade erst begonnene Reregulierung von Banken und Finanzmärkten mit Elan wieder zurückdrehen werden – die Lobbyisten der britischen ‚Finanzindustrie‘ an der Spitze der Bewegung.“...“

Und natürlich, hier liegt der wahre Grund verborgen. Denn Geld regiert die Welt, allerdings dann und nur dann, wenn es ungehindert in alle Ecken des Globus vordringen kann. Ein Prozess der auch der wahre Grund für die Globalisierung gewesen ist, denn wenn Kapital an den eigenen Grenzen zum stehen kommt, kann es sich nur auf die begrenzte eigene Wirtschaftsleistung seiner Bürger stürzen. Und das ist irgendwann zu wenig. Da muss fremdländisches Bruttoinlandsprodukt als reale Gegenleistung für diese Papierberge herhalten. Der TTIP Text setzt nun alledem die Krone auf, er garantiert unbegrenzte Zugriffsrechte der Finanzindustrie die jeglicher staatlichen oder gar demokratischen Kontrolle entzogen sind.
 
So Le Monde schon 2013: „...Die Verhandlungen über diese Art Staatsstreich in Zeitlupe haben im Juli dieses Jahres in Washington begonnen – mit der erklärten Absicht, in zwei Jahren ein Abkommen zu unterzeichnen, das eine transatlantische Freihandelszone (Transatlantic Free Trade Area, Tafta) begründen wird. Das gesamte TTIP-Tafta-Projekt gleicht dem Monster aus einem Horrorfilm, das durch nichts totzukriegen ist. Denn die Vorteile, die eine solche „Wirtschafts-Nato“ den Unternehmen bieten würde, wären bindend, dauerhaft und praktisch irreversibel, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden kann..Für die Heimlichtuerei gibt es einen einfachen Grund. Ein solches Abkommen würde die nationalen Regierungen bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen verpflichten, ihre aktuelle und künftige Innenpolitik dem umfangreichen Regelwerk anzupassen. In diesem Abkommen wären auf diplomatischer Ebene ausgehandelte Gesetzesvorgaben festgeschrieben, die nach dem Wunsch der Unternehmen auch viele nicht handelsbezogene Bereiche beträfen: etwa die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Grenzwerte chemischer und toxischer Belastung, das Gesundheitswesen und die Arzneimittelpreise, das Recht auf Privatsphäre im Internet, Energieversorgung und kulturelle „Dienstleistungen“, Patente und Urheberrechte, die Nutzung von Land und Rohstoffen, die Rechte und die Arbeitsmöglichkeiten von Immigranten, die öffentliche Auftragsvergabe und vieles andere mehr..Und da jede nachträgliche Vertragsänderung der Zustimmung sämtlicher Signatarstaaten bedarf, wären die reaktionären Inhalte des Abkommens durch demokratische Kontrollmechanismen wie Wahlen, politische Kampagnen und öffentliche Protestaktionen nicht mehr angreifbar. ...“




Blüten des TTIP Vertragstextes bzgl. Finanzinstitute

Und so schauen wir einfach mal in den Horror hinein, wir finden ihn bei CETA Kapitel 8, und bei TTIP im Chapter II. Was in CETA nun mehr in einem Stück vorhanden ist, ist im TTIP noch ein verwirrendes Spiel mit mehreren Dokumenten, die in Teilen auch noch Lücken enthalten, die noch ergänzt werden sollen. Es findet sich zur Zeit in drei Dokumenten zur Vorlage:
  1. July 2015
  2. September 2015 
  3. November 2015 
wobei der Unterschied zwischen dem September und November-Dokument gering ist. Das July Dokument enthält einen Platzhalter „Section 2 Investment Protection“ zum speziellen Investorenschutz gegen jedes erdenkliche Unbill, der dann in den September und November Dokumenten abgearbeitet wurde.

Ich führe hier nur summarisch die größten Knaller an, jeder der es möchte kann den Text im Original unter obigen Links nachlesen (oder auch einfach im CETA Kapitel 8 ab Seite 38 ff., was am Ende vermutlich auch genau in TTIP stehen wird). Wann und ob das vollständige abgestimmte Vertragswerk veröffentlicht wird ist noch unklar. Jedenfalls wird es die 1598 Seiten CETA noch deutlich übertreffen.

Juli-Dokument:
 
Im Article 2-2 „Market Access“ wird geregelt, dass es keinerlei Einschränkungen in der Geschäftsaktivität der Finanzinstitute geben darf: In sectors or subsectors where market access commitments are undertaken, neither Party shall adopt or maintain with regards to market access through establishment or operation of an enterprise, either on the basis of its entire territory or on the basis of a territorial sub-division, measures that impose:
a) limitations on the number of enterprises whether in the form of numerical quotas, monopolies, exclusive rights or other requirements relating to establishment such as economic needs tests
b)limitations on the total value of transactions or assets in the form of numerical quotas or the requirement of an economic needs test
c) limitations on the total number of operations or on the total quantity of output expressed in terms of designated numerical units in the form of quotas or the requirement of an economic needs test....


Im Article 2-3 „National Treatment“ wird geregelt, dass im bilateralen Verhältnis immer nur die schwächsten Beschränkungen ziehen.

Im Article 2-4 „Most-Favoured-Nation Treatment“ setzt man dem dann die Krone mit der Meistbegünstigungsklausel auf, die besagt dass man den Investoren auch nur die schwächste Beschränkung auferlegen darf die in irgendeinem(!) der Mitgliedsstaaten gelten. Schert also auch nur ein Kleckersstaat nach unten aus, ist alles andere Makulatur.
 
Der Article 2-6 „Performance Requirements“ besagt dann unterm Strich, dass auch keinerlei Beschränkungen bezüglich der Effektivität der Finanzinstitute eingezogen werden dürfen. Egal ob deren Arbeit gut oder schlecht ist, egal ob es reine Abzocker sind, sie dürfen nicht behindert werden.
 
Im Article 2-7 „Reservations and Exceptions“ wird dann vorsorglich noch sichergestellt, dass „any existing non-conforming measure that is maintained by a Party at the level of: (i) the European Union, as set out in its Annex I; (ii) a national government, as set out by that Party in its Annex I; (iii) regional government , as set out by that Party in its Annex I; or (iv) a local government“ diese Regelungen aushebeln kann. 

Er stellt klar, dass keinerlei demokratische gewählte Parlamentarier von der Ebene der Gemeinden bis hinauf ins EU-Parlament, hier irgendeine Befugnis hätten offensichtliche Fehlentwicklungen zu konterkarieren. Ermächtigung pur.


September/November-Document: CHAPTER II - INVESTMENT
 
Der Article 4 „Compensation for losses“ ist nichts anderes als der vorsorgliche Schutz vor nationalen Aufständen. Die ja entstehen könnten, wenn dem Volk die Plünderung durch die Oberschicht nicht mehr gefällt. Aktuelles Beispiel ist die Ukraine. Nachdem sie von Oligarchen aufs übelste geplündert wurden, rebellierte das Volk mit den bekannten Folgen. Die Oligarchen, Investoren und Banken durften danach aber ihre Assets behalten, ein Schnitt wurde nicht gemacht und das Volk, das den Raub ja nicht begangen hatte, leidet genauso wie vorhin weiter unter der Belastung.Und soll die „Schulden“ abbezahlen bis zum Sankt Nimmerleinstag.


Der Article 5 „Expropriation“ behandelt den Schutz vor Enteignung. Soll heißen, ein Staat könnte wie im schrecklichen Beispiel Zypern ja auf die Idee verfallen, die lieben Plünderer am Ende der Spirale zur Kasse zu bitten, also quasi zu enteignen. Diese Möglichkeit wird hier ausgeschlossen: „Neither Party shall nationalize or expropriate a covered investment either directly or indirectly through measures having an effect equivalent to nationalisation or expropriation...“

Der Article 6 „Transfer“ regelt den freien Kapitalverkehr. Explcitis verbis den freier Transfer aller Geldmittel, Bezahlungen wie Banker-Boni und aller Gewinne jederzeit und wohin auch immer. So macht Abzocken erst richtig Spaß. Obendrein wird noch nationale Straffreiheit für die Banker verklausuliert, falls sie sich mal irgendwie unkooperativ verhalten „Neither Party may require its investors to transfer, or penalise its investors for failing to transfer, the income, earnings, profits or other amounts derived from, or attributable to, investments in the territory of the other Party...“.

Der ANNEX I: "Expropriation" wiederholt nochmal eindringlich dass da nix ist mit Kostenbeteiligung: keine Enteignungen, weder direkt noch indirekt etwa über eine Kapitalbesteuerung: „indirect expropriation occurs where a measure or series of measures by a Party has an effect equivalent to direct expropriation, in that it substantially deprives the investor of the fundamental attributes of property in its investment, including the right to use, enjoy and dispose of its investment, without formal transfer of title or outright seizure….“


Damit die Demokraten das auch ja nicht durch die Hintertür des Gelddruckens machen können, ist der ANNEX II: "Public debt“ angelegt: „For the purposes of this Annex -‘negotiated restructuring’ means the restructuring or rescheduling of debt of a Party that has been effected through (i) a modification or amendment of debt instruments, as provided for undertheir terms, including their governing law, or (ii) a debt exchange or other similar process in which the holders of no less than 66% of the aggregate principal amount of the outstanding debtsubject to restructuring, excluding debt held by that Party or by entities owned or controlled by it, have consented to such debt exchange or other process. -"governing law" of a debt instrument means a country's legal and regulatory framework applicable to that debt instrument. For greater certainty, “debt of a Party” includes, in the case of the European Union, debt of a government of a Member State at the central, regional or local level. ...“

Im Klartext: Kein Staat, auch nicht Bundesstaat oder Gemeinde darf an seinen Schuldinstrumenten (Anleihen) irgendwas drehen, was die Renditen der Banker schmälern könnte. Es sei denn mindestens 66% dieser armen Leute stimmen dem zu. Darauf darf man wetten.

Zum Schluss noch SUB-SECTION 4: INVESTMENT COURT SYSTEM, also die berüchtigten Schiedsgerichte, heir allerdings für den Finanzbereich, der in der öffentlichen Diskussion, und Protesten, sträflicherweise fast völlig außer Acht gelassen wird:

Im Article 9 „Tribunal of First Instance (‘Tribunal’)“ wird bestimmt wie in den kommenden Streitfällen diesbezüglich entschieden wird. Wenn keine einvernehmliche Lösung möglich ist, entscheiden 15 speziell ausgewählte Juristen: „1. A Tribunal of First Instance ('Tribunal') is hereby established to hear claims submitted pursuant to Article 6. 2. The [...] Committee shall, upon the entry into force of this Agreement, appoint fifteen Judges to the Tribunal. Five of the Judges shall be nationals of a Member State of the European Union, five shall be nationals of the United States and five shall be nationals of third countries. ...“ Diese Rat der Fünfzehen, fünf aus der EU, fünf aus USA und fünf von Irgendwo stehen nun gottgleich über den Demokratien der Mitgliedsstaaten.

CETA ist ein Trojanisches Pferd

Es muss darauf hingewiesen werden, dass natürlich alle größeren US Banken Dependancen in Kanada unterhalten. Es ist anzunehmen, dass die US Finanzinstitute daher CETA und Kanada als Hintertür ansehen, womit sie den faktisch unbegrenzten und unregulierten Zugang zum EU Finanzmarkt auch ohne TTIP erhalten können. Kanada dürfe über rund 6000 Mrd. USD an Assets verfügen (BIP ca. 1800 Mrd. USD), gegenüber der EU mit rund dem zehnfachen der Werte. Man dürfte sich nach Unterschrift unter die CETA Verträge ggf. also in der EU darüber bald wundern können, dass dann aber die ebenfalls rund zehnmal höheren US Assets hierher herüber schwappen. Die US Institute dürften sich bei solch dreistem Vorgehen der bekannten Naivität und politischen Unfähigkeit der Brüsseler Bürokraten sicher sein, solchem Missbrauch rechtzeitig und entschieden entgegen zu treten. CETA Apologeten wie Gabriel (SPD) werden dann in ihren Memoiren vermutlich wieder ganz traurig behaupten, dass man so was ja nicht hätte ahnen können.


Da kann einem Demokraten nur schlecht werden

Ich frage mich welcher Demokrat irgendwo in dieser Welt sehenden Auges so ein Ermächtigungsgesetz unterschreiben würde? Eventuell aus Inkompetenz und Dummheit? Verwirrung? Korruption? Oder einfach nur Faulheit sich selbst zu informieren? Eventuell kombiniert mit dem irrwitzigen Vertrauen auf die Zuarbeit mutmaßlich parteiischer Berater und Lobbyisten der Investoren? Hat man aus den Finanzkatastrophen und dem völlig unmoralischen Verhalten der Banker in der jüngeren Vergangenheit wirklich nichts gelernt? Das man 1929/1933 vergessen hat mag ja sein, aber 2008? Hält man göttergleiche Investoren tatsächlich mehr für einen Segen als für eine ernste Gefahr für die Demokratie?
 
Ich glaube so dumm kann kaum einer wirklich sein. Es liegt meiner Meinung nach eher an einem seit Jahrhunderten durch Finanzprofiteure gepflegten Missverständnis, das inzwischen in die Hirne der Menschen so fest eingebrannt ist wie Pech und Schwefel: Das Geld ein Wert wäre. Wenn man das auch nur subtil glaubt, dann kann man tatsächlich zu der Annahme kommen, dass der freie Zugang des internationalen Kapitals auf die eigenen Märkte unterm Strich ein Riesengewinn sein müsse. Denn nach dieser Annahme kämen ja mit jeder Schubkarre voller Dollarnoten echte Werte ins Land, die man dann zu Freude aller verteilen könne. 
 
Nichts ferner als dass. 
Geld ist kein Wert, sondern ein Anspruch auf Werte. 

Scheinbar nur ein philosophisch feinsinniger Unterschied, den man nicht so genau nehmen müsse. Es ist aber ein gewaltiger ökonomischer Unterschied, der an Bedeutsamkeit gar nicht zu überschätzen ist. Insbesondere genau dann, wenn es um internationale Geldströme geht. Denn mit dem Export von Geld und Assets aller Art, im englischen Sprachgebrauch treffend debt instruments genannt, werden keine Werte exportiert sondern in erster Linie Ansprüche auf Werte. Reale Werte die dort geschaffen werden müssen, wo das Geld angelegt ist. 

Das ist ein besonders lukratives Geschäft wenn man im Besitz der Weltwährung Dollar ist. Denn dann kann man das Papier im eigenen Land ungedeckt produzieren, um es anderswo mit der realen Arbeitskraft der Bevölkerungen in reale Werte zu verwandeln, die man dann dort abzieht. Und obendrein, besonders im Falle des Dollars, auch noch ohne Gefahr zu laufen, dass die lausigen Papiere in großer Zahl ins eigene Land zurück fließen um dort reale Werte einzufordern, die man freilich schon lange nicht mehr produziert.

So ist das Hauptexportprodukt der USA heutzutage Geld (debt instruments), und direkt danach fast nur Agrarprodukte. Für beides findet man in TTIP daher Ausnahmeregeln: bei den Agrarprodukten will man bei seinen vorteilhaften Binnenmarkt schützenden US Regeln bleiben, für Finanzprodukte aber jegliche erdenkliche internationale Barrieren, ob bereits vorhanden oder auch nur entfernt geplant, aufheben und aushebeln.
 
Für die Demokratien und ihre Durchschnittsbevölkerung bleiben unterm Strich dabei keinerlei Machtmittel zurück um sich bei Zeiten wehren zu können. Weder dürfen die nationalen Parlamente irgendwelche Bestimmungen von TTIP ausmanövrieren, noch ist ihnen das praktisch überhaupt möglich. Selbst wenn sie ausnahmsweise mal im einvernehmlichen Verbund handeln würden, was die einzige Möglichkeit wäre, die der Vertrag noch zu ließe. Denn wenn nur ein noch so kleines Land ausschert, ist das alles aufgrund der Meistbegünstigungsklausel Makulatur. 

Auch so was hat Methode, denn was in bilateralen Beziehungen schon grenzwertig ist, in multilateralen Beziehungen ist es praktisch unmöglich, einer meckert immer. Bei einem Verbund von rund 30 Staaten braucht man nur einen, sagen wir Malta, dazu zu bringen, einer Regelung zum Beispiel der Kapitaltransferbesteuerung nicht zu folgen. Dann ist das Ding tot. Bei der unrühmlich bekannten Einigkeit der EU braucht sich die Finanzwirtschaft um so einen Dissens nicht einmal zu bemühen. Ansonsten kann sie das aus der Kaffeekasse mit ein paar Spenden an geneigte Parteien und Entscheidungsträger regeln.
 
Selbst die ultima ratio, eine Staatspleite mit einem kräftigen Haircut für die Investoren, wie etwa in Zypern, geht nicht mehr. Nur wenn mindestens 66% der Investoren und Länder zustimmen kann so was in rechtlich stark begrenztem Umfang stattfinden. Vergessen sie dass also lieber, die notwendige Mehrheit wird es nicht geben. Und auch Notstandsgesetze betroffener Länder, deren Völker vielleicht gerade dem Hunger- und Kältetod nahe sind, können daran nichts ändern.

Heil Investor! 

Das Ermächtigungsgesetz von 1933 hatte immerhin noch zwei demokratische Rückfalloptionen. Es sollte erstens auslaufen wenn eine neu Regierung an die Macht käme, und zweitens selbst wenn nicht, spätestens am 1. April 1937 beendet sein. Klang schon irgendwie nach Aprilscherz. Und Adolf Hitler hat das bekanntlich alles nicht weiter gestört, wie wir alle heute wissen. Das TTIP Ermächtigungsgesetz aber kennt noch nicht mal eine einzige demokratische Rückfalloption. Im Gegenteil, jedwede Rückfalloption wird vertraglich kategorisch ausgeschlossen.



Es ist praktisch die völlig Übereignung der Demokratien an eine nimmersatte Finanzindustrie. Ohne Moral, ohne Grenzen und ohne Mitleid. Ganz bestimmt nicht besser als die Faschistischen Parteien im damaligen Europa, nur heute viel verdeckter aber doch im Politischen und Sozialen noch viel wirksamer als diese. Die realen Auswirkungen auf die Bevölkerungen sind auch nicht geringer, denn es ist die mit den ungehinderten Finanzströmen einhergehende effektive Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerungen, die Not, Flucht und Krieg in dieser Welt befeuern. Und selbst letzteres bringt noch Gewinne über Waffenverkäufe und deren Finanzierungen mit sich.

Auch das Ermächtigungsgesetz für Hitler hat seine Vorgeschichte des parlamentarischen Versagens, so den „Friedensvertrag von Versailles“. Die darin konstatierte, und historisch nicht zu rechtfertigenden, einseitige Kriegsschuldzuweisung an Deutschland diente der moralischen Rechtfertigung der  berüchtigten Reparationsforderungen, die die wirtschaftliche und finanzielle Ausbeutung der kaiserlichen Nachfolgerepublik bedeutete. Natürlich standen hinter alledem wieder Finanzinteressen von Banken und Investoren, ganz voran Französische Banken wie die Rothschilds. Die Situation war aus Sicht der deutschen Nationalisten natürlich, dass der finanzpolitisch starke jüdische Einfluss in Frankreich für die historisch ungerechtfertigte, und letztlich auch ökonomisch sinnlose, Ausplünderung Deutschlands verantwortlich war. Nach der dadurch bedingten großen Inflation war wegen der Vernichtung der Schulden 1924 zwar wieder alles in Ordnung und die goldenen Zwanziger erblühten. Dann kam aber dasselbe Spiel in 1929 aus den USA nun mit der Weltwirtschaftskrise erneut herüber geschwappt. Investoren die seit 1924 Deutschland mit Geld vollgepumpt hatten und große Gewinne machten, pumpten ihre Kredite nach dem Börsencrash 1929 aus dem geschundenen Land dann ganz schnell wieder ab. Um damit ihre Spekulationslücken in den USA zu füllen, was aber eine negative Kettenreaktuion in der deutschen Realwirtschaft bedingte. Kein netter Zug des freien Kapitalverkehrs.

Dem entsprechend entlud sich die Wut Hitlers in Richtung des vermeintlichen Feindes, des Judentums. In der Kernaussage des ersten nachweisbaren antisemitischen Pamphlet Hitlers kommt dieser Umstand dann auch recht klar als Ursache seines Judenhasses zum Ausdruck: „Bewegt sich schon das Gefühl des Juden im rein Materiellen, so noch mehr sein Denken und Streben. Der Tanz ums goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um alle jene Güter, die nach unserm inneren Gefühl nicht die Höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein sollen. Der Wert des Einzelnen wird nicht mehr bestimmt durch seinen Charakter, der Bedeutung seiner Leistungen für die Gesamtheit, sondern ausschließlich durch die Größe seines Vermögens, durch sein Geld. Die Höhe der Nation soll nicht mehr gemessen werden nach der Summe ihrer sittlichen und geistigen Kräfte, sondern nur mehr nach dem Reichtum ihrer materiellen Güter. Aus diesem Fühlen ergibt sich jenes Denken und Streben nach Geld, nach Macht, die dieses schützt, das den Juden skrupellos werden lässt in der Wahl der Mittel, erbarmungslos in ihrer Verwendung zu diesem Zweck. Er winselt im autokratisch regierten Staat um die Gunst der »Majestät« des Fürsten und missbraucht sie als Blutegel an seinen Völkern. Er buhlt in der Demokratie um die Gunst der Masse, kriecht vor der »Majestät des Volkes« und kennt doch nur die Majestät des Geldes. Er zerstört den Charakter des Fürsten durch byzantinische Schmeichelei, den nationalen Stolz, die Kraft eines Volkes, durch Spott und schamloses Erziehen zum Laster. Sein Mittel zum Kampf ist jene öffentliche Meinung, die nie ausgedrückt wird durch die Presse, wohl aber immer durch sie geführt und gefälscht wird. Seine Macht ist die Macht des Geldes, das sich in Form des Zinses in seinen Händen mühe- und endlos vermehrt, und den Völkern jenes gefährlichste Joch aufzwingt, dass sie seines anfänglichen goldigen Schimmers wegen so schwer in seinen späteren traurigen Folgen zu erkennen vermögen. Alles was Menschen zu Höherem streben lässt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld und Herrschgier zu befriedigen.“
 
So rassistisch wie Hitlers sogenannter Gemlich-Brief vom 16. September 1919 auch war, so erinnert er doch frappant an die aktuelle Situation ziemlich genau 97 Jahre später, kurz vor der CETA Unterzeichnung. Geschichtsvergessenheit ist eine der schlimmsten Versagen, die eine Bevölkerung und ihre politischen Vertreter befallen kann. Aus der jeweils aus der modernen Arroganz erwachsenden Vorstellung, alles ja heute besser zu wissen und zu können, erwächst der Glaube man könne alles aus dem Jetzt heraus verstehen und „Geschichte würde sich nicht wiederholen“. Nichts ist falscher als das. Geschichte wiederholt sich ständig im Rhythmus der Jahrhunderte. Natürlich die Personen, die Institutionen und die speziellen Details ändern sich, dass Grundlegende der Probleme aber nicht.

Statt Scheuklappen in der politischen und ökonomischen Diskussion, statt Populismus auf allen politischen Seiten, brauchen wir eine ganz wesentliche Änderung am Weltfinanzsystem. Kein Upsizing wie es nun mit TTIP erfolgen soll, und wie es mit der Erklärung der Systemrelevanz und unbegrenzter Stützung der gigantischen Investorenvermögen auf Staats- und Bürgerkosten seit 2008 bereits geschehen ist. Sondern eben ein ganz massives Downgrading des Banking Business und der überschießenden Investorenvermögen und deren Renditeansprüche zu Lasten der Demokratien ist notwendig. 
 
Ansonsten wird sich die Geschichte wiederholen. Verlassen sie sich darauf. Es hat noch nie geholfen diejenigen zu ermächtigen, die gerade die größten Probleme verursachen. In der wirren Hoffnung die würden danach so dankbar sein, selbige Probleme und damit sich selbst, dann zu erledigen. Es wird nicht geschehen.