Freitag, 10. Dezember 2010

Von Journalisten, Assangisten und Anarchisten


Als ich vor einigen Jahren auf dem Bonner Weihnachtsmarkt Einkäufe für die Festtage erledigen wollte, kamen zwei adrett gekleidete junge Herren mit feinsten Manieren zielgerichtet auf mich zu marschiert. Sie stellten sich höflich als Missionare eines der fleißigen US-amerikanischen Sekten aus Utah vor, und fragten mich im ausgesucht höflichen Ton, welcher Religion ich denn angehöre. Nun ja, Sie kennen diese Szene vielleicht selbst. Würde ich nun, ganz ehrlich, antworten "römisch katholisch", nun, dann könnte ich mir den Einkaufsnachmittag abschminken mit Diskussionen um Gott und die Welt und warum ich nicht lieber Mormone oder so etwas werden solle.

Ich könnte nun auch den banalen Fehler begehen mit "ich bin Atheist" zu antworten, um die beiden Herren möglichst schnell wieder los zu werden. Dann aber könnte ich mir nicht nur den Nachmittag, sondern gleich den ganzen Rest der Woche abschminken, weil die Missionare dann so richtig in Fahrt kämen, um das offensichtlich vom Teufel besetzte Menschenkind wieder auf den Pfad des einzig wahren Herren zurück zu bringen. Also entsann ich mich spontan meiner Seelenverwandtschaft zu fernöstlichen Religionen und antwortete kurz entschlossen: "Ich bin Buddhist!".

Der Erfolg war durchschlagender, als ich erwartet hatte. Die Beiden freundlichen Herren schauten sich nur kurz an, und, verabschiedeten sich, ohne weitere Kommentare und vor allen Dingen sofort, mit bekannter Höflichkeit. Was war da wohl passiert? Nun, da waren zwei Dinge entscheidend. Erstens, das wichtigste, die Missionare erkannten "der ist gläubig, also erstmal ganz o.k." und zweitens "dessen Religion ist so was von anders als unsere, da kommen wir nicht ran, der sabbelt uns den ganzen Nachmittag mit seinem philosophischen Gedöns zu, da verschwenden wir nur unsere wertvolle Missionszeit.". Ergo eine typische Win-Win-Situation, wo beide halbwegs das kriegen, was sie wollten. Beide hatten ihre grobes Weltbild gewahrt, und beide Parteien brauchten keine unnütze Zeit zu vergeuden.

Nun, in der Politik ist es nicht anders. Egal welche Partei Sie wählen, Hauptsache das Sie überhaupt zur Wahl gehen. Egal ob Rechts, Links oder die beliebte Mitte, wo keiner so genau weiß, wo die eigentlich liegt, fasst schon Polit-Buddhismus also. Selbst als Kommunist oder Faschist gehen Sie noch einigermaßen durch, obgleich Sie sicher Missionsversuchen ausgesetzt sind, aber wehe, wehe, Sie machen den banalen Fehler zu sagen, Sie seien Anarchist. So wie der Atheist sind Sie dann unmittelbar die Ausgeburt des Teufels, der Vertreter von Chaos, Hedonismus und Zügellosigkeit, das Abbild der Hölle auf Erden.

So ein Fall ist natürlich Julian Assange, umgangssprachlich neudeutsch ein „Internet-Anarchist“. Als solcher befindet er sich nun konsequenterweise auf der schwarzen Liste der most-wanted-persons der US-amerikanischen, aber beileibe nicht nur, Sicherheitsbehörden. Nach der Veröffentlichung abertausender Geheimdokumente des US-Militärs und der US-Diplomatie dürfte die Frage an die Geheimdienste, wen sie denn lieber unter der Erde sähen, Osama bin Laden oder Julian Assange, ganz sicher mehrheitlich mit zweitem Namen beantwortet werden. Denn Osama ist als lebendes Feindbild nützlicher als ein toter Märtyrer, und wirklich gefährlicher als die Unzahl seiner Anhänger ist er auch nicht, richtig gefährlich für die Machtfrage ist dagegen Assange bzw. seine (noch) Organisation Wikileaks.

Seine grundsätzlichen Ideen fasst Wikipedia zusammen: „Assange steht Ideen des Krypto-Anarchismus nahe. Ausgehend von libertärem Gedankengut stellt der Krypto-Anarchismus eine Informationsasymmetrie zwischen Staat und Bürgern fest. Während ein Staat in der Lage sei, große Teile der Kommunikation seiner Bürger zu überwachen, versucht er gleichzeitig, viele Informationen vor diesen geheim zu halten. Die technischen Innovationen des Internets böten nun die Möglichkeit, die festgestellte Asymmetrie umzukehren. Einerseits könnten alle privaten Informationen mit kryptographischen Mitteln geschützt werden. Dies hätte eine weitgehende Beschränkung staatlicher Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten zur Folge. Das gleiche Ziel könnte andererseits aber auch durch die konsequente Veröffentlichung von Herrschaftswissen erreicht werden. Das Publikmachen von Herrschaftswissen würde Staatsorgane dazu veranlassen, ihre Kommunikationsflüsse zu reduzieren, was eine Verminderung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems Staat bedeuten würde. Dazu Assange: „Leaking ist eine inhärent antiautoritäre Tat. Es ist eine anarchistische Tat.““

Die wesentliche Idee hinter Wikileaks ist also, den Spies zwischen Staat und Bürger einfach umzudrehen. In der Tat hat die Datensammelei des Staates in den letzten zwei Jahrzehnten bedenklich zugenommen. Je nach Staat unterschiedlich, ist das klassische demokratische Telefon- und Briefgeheimnis, das Recht zur freien Rede, journalistische Rechte zur freien Berichterstattung und dem Schutz von Informanten, das Recht an persönlichen Daten etc. pp. zunehmend unterminiert worden. Die staatlichen Datenbanken, insbesondere der USA, quellen geradezu über von vermeintlich nützlichen Informationen über harmlose oder vorgeblich gefährliche Bürger, aber auch über Politiker aller Nationen und ihre menschlichen und fachlichen Gefährdungen, wie zuletzt die brisanten und von Wikileaks öffentlich gemachten, Diplomatendepeschen.

Die kürzlich herausgegebenen Diplomatenmails ließen nicht nur das Fass Wikileaks endgültig überlaufen, sie zeigten natürlich auch die Schwächen solcher Datensammelei nur zu deutlich auf. So hatten etwa 2,5 Millionen amtliche Personen in den USA freien Zugriff auf die Recherchedatenbank. Das da etwas „leakt“ ist natürlich kaum zu vermeiden. Die bereits gezogene Konsequenz ist nun genau das, was Assange beabsichtigte: Der Zugriff auf diese Daten wurde deutlich begrenzt. Und mit jeder Veröffentlichung wird die Datensammelei faktisch eingeschränkt, denn nur Daten die nicht wirklich verfügbar sind, sind auch endlich sicher vor Datenklau. Die mittelfristige Konsequenz ist dann weniger Datenzugriff, aber insbesondere auch weniger Datenerhebungen.

Insbesondere letzteres ist natürlich ein vermeintlich wichtiges Machtinstrument, dass nun wackelig zu werden droht. Der US-Generalstaatsanwalt brachte es kürzlich auf den Punkt: „US Attorney General Eric Holder has said that he has authorised investigations into the possibility of prosecuting those responsible for the Wikileaks Cablegate leaks. Speaking today (6 December), Holder said: “I personally authorized a number of things last week and that’s an indication of the seriousness with which we take this matter and the highest level of involvement at the Department of Justice.””

Dementsprechend harsch (highest level of involvement) sind nun auch die Reaktionen seitens der USA, wo alle Hebel in Bewegung gesetzt werden den Wikileaks-Spuk möglichst schnell zu beenden. Da ist einmal der, wenn man sich die öffentlich verfügbaren Details anschaut, ausgesprochen nach Pech und Schwefel eines Hexenprozeß riechende Vergewaltigungsvorwurf aus Schweden, der erst nach mehrmaligem Austausch der zuständigen Staatsanwältinnen so richtig fluppen wollte. Schaunmermal, was dabei tatsächlich herumkommt. Ganz offensichtlich dagegen sind natürlich die reihenweise Einflussnahmen auf namhafte Firmen wie ebay, amazon, paypal, master card , internet provider, URL-adress Vergabe usw. usf. um Wikileaks die finanzielle und technische Plattform zu entziehen.

Die Gegenseite schläft derweil allerdings auch nicht. Einerseits versucht Wikileaks alles mögliche, um seine technisch-finanzielle Basis zu retten. So werden die notwendigen Daten auf andere Server verbracht, neue URLs kreiert usw. Das wird sicher nicht reichen, daher kam jetzt der Gegenangriff auf die Firmen, die sich dem Druck von oben beugten: Mit DoS-Angriffen (denial of service: Überfrachtung eines Internet-Servers mit Dienstanfragen) wurden schon einige Webseiten lahm gelegt. Insbesondere etwa für Kreditkartenfirmen ist das ein ernsthafte Gefahr, denn wenn die Server dieser Firmen nicht zeitnah laufen, dann können Millionen von Kunden in dieser Zeit ihre Karten am Supermarktterminal nicht nutzen. Das geht heftig ins Geld und Renomee.

Solche Webangriffe funktionieren aber nur dann, wenn man einige tausend Unterstützer dafür zusammenbringt, die sich eine so genannte „Ionen-Kanone“ herunterladen und in Betrieb nehmen. Exemplarisch wurde nun der erste dieser Kanoniere in den Niederlanden verhaftet. Das es sich dabei um einen Minderjährigen handelt zeigt einerseits, dass sich insbesondere die von der Verteilungspolitik abgehängte und frustrierte Jugend für solche Projekte begeistert, und andererseits die geschickte Wahl der niederländischen Behörden, mit der Verhaftung eines nur 16-jährigen Halbwüchsigen maximale Verunsicherung unter der vermeintlichen Teenagerbande "Anonymous" zu schüren.

Die Front der jungen und gebildeten Leute ist natürlich auch in den USA längst aufgemacht. So hat die Columbia Universität ihre Studenten eindrücklich gewarnt: „We received a call today from a SIPA alumnus who is working at the State Department. He asked us to pass along the following information to anyone who will be applying for jobs in the federal government, since all would require a background investigation and in some instances a security clearance. The documents released during the past few months through Wikileaks are still considered classified documents. He recommends that you DO NOT post links to these documents nor make comments on social media sites such as Facebook or through Twitter. Engaging in these activities would call into question your ability to deal with confidential information, which is part of most positions with the federal government.” Im Klartext also: Wer sich mit Wikileaks und deren Daten beschäftigt, der kriegt keinen öffentlichen Job. Für die vielen Jurastudenten natürlich ein absolutes Killerargument. Da kann es eventuell schon die Karriere verhindern, wenn nur die eigene IP-Adresse auf dem Logfile einer der Wikileaks-Provider gefunden wird und in Zukunft in einer der vielen Datenbanken amerikanischer Sicherheitsbehörden auf ihre geneigte Verwendung lauert.

So weit also die aktuelle Kriegsberichterstattung. Die Frage ist natürlich, wie man das ganze mit dem Herz des Demokraten bewerten soll. Und das erleidet dabei natürlich ein gehörige Verstopfung der Herzkranzgefäße. Die gesamten Vorgänge rund um Assange und Wikileaks offenbaren ein weiteres, mehr als bedenkliches, Symptom der weltweiten Krise der kapitalistisch demokratischen Welt. Es ist das gleiche Muster, wie wir es aus dem Untergang so vieler Welt- und Großreiche kennen. Im Rom der Antike geschah es genauso, ebenso, nur zum Beispiel, in der französischen Revolution, die den Beginn der modernen Neuzeit vor etwas mehr als 200 Jahren einläutete.

Zuerst ruiniert man die Finanzen, was insbesondere mit einer völligen Verschiebung des Anspruchs auf das BIP in die Hände Weniger Privatiers einhergeht. Daraus folgt unmittelbar der Verlust der Verteilungsgerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts, und damit des Beginns der Anomie, dem Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnung. Besonders die faktische Ausplünderung des Mittelstandes führt schließlich zu einer inneren Desintegration, spätestens wenn die Finanznot des Staates nicht nur zu drangsalierenden Steuern, sondern auch zum Verlust der Versorgungs- und Schutzfunktion (innere Sicherheit) des Staates gegenüber seinen Bürgern führt. Zudem haben die ruinierten Staatsfinanzen einen, im wahrsten Sinne des Wortes, auch extern verheerenden Effekt: Die äußere Sicherheit und die Durchsetzung überlebenswichtigen Interessen gehen verloren, da die Finanzierung der Machtinstrumente, u.a. des Militärs, unterminiert wird.

Das ist die Situation, in der wir uns nun wieder einmal befinden. Zu einer echten Finanz-, Vermögens- und Verteilungsreform, wie sie unabdingbar wäre, ist der demokratische Staat offensichtlich nicht in der Lage. Ja noch nicht einmal dazu, die Notwendigkeit dafür überhaupt in der notwendigen Breite zu erkennen. Die Frage ist jetzt, ob und wie, man die westlichen Demokratien dazu bringen kann, die Richtung voll Dampf auf den Eisberg zu, zu ändern. Was ist noch legitim, sachgerecht und Erfolg versprechend, was ist dagegen nur zerstörerisch? Die Antwort der Geschichte war bisher regelmäßig die Letztere: finanzkapitulierende Systeme desintegrierten endlich sozial und militärisch bis zum finalen Ab- und Umsturz.

In diesem großen Rahmen müssen wir nun die Rolle eines Julian Assange betrachten. Ist sein Ansatz im weitesten Sinne noch legitim, sachgerecht und Erfolg versprechend? Hilft es uns endlich, die Demokratie vor der zu befürchtenden Zerstörung von oben herab zu retten? Oder hilft es unfreiwillig noch unbekannten Dritten, die nur auf die Etablierung einer frischen Diktatur lauern? Keine einfache Frage mit erst recht keinen einfachen Antworten.

Um einer Antwort näher zu kommen, muss man Assange auch von seiner wohl wichtigsten, d.h. seiner Rolle als investigativer Journalist, betrachten. Denn Wikileaks wirft insbesondere ein scharfes Licht auf die Rolle und die Rechte und Pflichten des Journalismus in der Demokratie. Denn eine Demokratie ohne investigativen Journalismus ist genauso undenkbar wie eine Diktatur mit freiem Journalismus. Das wir (noch) in einer Demokratischen Welt leben, sieht man nun, etwas zynisch formuliert, vor allen Dingen an einem simplen Umstand: Julian Assange lebt noch.

Denn das ist, selbst in einigen mehr oder weniger gut funktionierenden Demokratien unweit der Grenzen der BRD, leider schon keine absolute Selbstverständlichkeit mehr. Etwa im demokratischen post-zaristischen Russland wäre Assange mit einiger Wahrscheinlichkeit längst ein toter Journalist. Dort sterben nämlich in wöchentlichem Rhythmus Journalisten, die den Machenschaften der gehobenen Kreise zu nahe kommen, eines gewaltsamen Todes. Ähnliches gilt für Italien, wo nicht nur Journalisten, sondern selbst Richter und Staatsanwälte, investigativ und eigentlich gut geschützt von Berufs wegen, den Machenschaften einflussreicher Kreise zum Opfer fallen oder wenigstens so unter Druck gesetzt werden, dass sie den Mund lieber nicht mehr aufmachen. Und von richtigen Diktaturen und Ganovenstaaten wollen wir lieber, ganz diplomatisch, schweigen.

Der investigative Journalismus wird nicht umsonst als die „vierte Gewalt“ im Staate bezeichnet. Und wie jede Gewalt in einem Sozialsystem wird sie von den konkurrierenden Gewalten argwöhnisch beäugt und mehr oder weniger bekämpft. Insbesondere der, jetzt bei Wikileaks exemplarisch zu beobachtende Ansatz, diesen die finanzielle Basis zu entziehen, gilt als probates Mittel effektiver Reglementierung. Da es bei Wikileaks schnell gehen soll, wird dieses Vorgehen auch kaum in Seide und Samt gekleidet, sondern ist sehr direkt und platt organisiert.

Der demokratische Journalismus im großen und ganzen wurde, wird und hat sich zum Teil selbst, allerdings auch demontiert. Wer täglich durch die dutzenden Online-Zeitschriften blättert, bemerkt sehr schnell wie sich die Nachrichten überall gleichen. Selbst über die Landesgrenzen und Kontinente hinweg. Es liegt daran, dass sich kaum noch eine Gazette eigene teure Komplett-Redaktionen leisten kann, in der auch noch Vollzeitangestellte Reporter investigativen, und damit teuren, Journalismus betreiben. Meist werden, oft wortwörtlich, die verfügbaren Nachrichten der Presseagenturen per Cut and Paste übernommen und bestenfalls etwas aufgehübscht.

Die meisten Journalisten sind auch keine Festangestellten mehr, sondern leben in einem prekären Arbeitsverhältnis als freier Mitarbeiter. Wer sich da zu weit aus dem Fenster legt, erhält möglicherweise keine Folgejobs mehr, und da bleibt man vorsichtshalber gerne mal beim Eingemachten. Zumal das ja alle Anderen auch schreiben, und da kann es ja nicht falsch sein. Hinzu kommt der Fakt, dass eine Illustrierte typischerweise zu 50% aus Werbeseiten besteht. Denn ohne Werbung, mit Zeitungsverkauf alleine, ist kein Blatt dauerhaft zu finanzieren. Die Abhängigkeit vom Wohlgefallen der edlen Spendern ist also elementar, nicht weniger als politische Parteien von Ihren jeweiligen Lobbyisten abhängen.

So zitiert zu diesem Problem die Wikipedia den Kommunikations- und Medienwissenschaftler.Prof. Dr. Siegfried Weischenberg: „[…] die öffentliche Aufgabe, die [Journalismus] nach höchster Rechtsprechung wahrnehmen soll, [ist] inzwischen mit der Lupe [zu] suchen. Im gesamten Journalismus wird zunehmend mehr die Kritikerrolle zur Disposition gestellt. Die Krise des Journalismus […] erweist sich vor allem als Krise seiner Kritikfunktion; sie wird obsolet, wenn die Distanz fehlt und die Relevanz sowieso. Dies gilt schon traditionell für den strukturell korrupten Motor- und Reisejournalismus sowie einen Teil der Wirtschaftspublizistik. […]“ Bezahlte Journalisten seien, um ihre immer knappere Arbeit zu behalten, wegen der Einschaltquoten und der Werbungs-Abhängigkeit, tendenziell wie in der PR mehr am Mainstream orientiert. Unabhängiger Fach- und Bürgerjournalismus sei investigativer.“

Assange, als investigativer Journalist,ist nun auf der einen Seite heftigster Kritik ausgesetzt, die ihm quasi Vaterlands- Verrat und Gefährdung vorwirft. Und auf der anderen Seite Subjekt ungestümer Heldenverehrung. Einerseits ist klar, das einige von ihm veröffentlichte Geheimpapiere hart am Rand journalistischer Legalität dümpeln, anderes war längst überfällig und ein Versäumnis oder gar Versagen des Mainstreamjournalismus. Bei den zuletzt so heftigen Unmut hervorrufenden Diplomatendepeschen muss man sich allerdings fragen, ob es wirklich so interessant ist, ob US-Diplomaten Verbündete wie Putin, Berlusconi oder Karzai unterm diplomatischen Strich für eitle, korrupte oder kriminelle Gockel in Nadelstreifen halten oder nicht. Denn diese „Geheimnisse“ liegen jedem politisch interessierten und informierten Bürger schließlich schon lange vor, und dass es ausgerechnet den US-Diplomaten entgangen sein sollte, würde nun wirklich verwundern.

Was aber wirklich auf den Tisch gehörte, ist die tatsächlich unglaubliche Datensammelstelle der US-Diplomatie, die faktisch wie die IM’s der Staatssicherheitsbehörden benutzt werden. Erschreckend ist, das sich, insbesondere der weltweite Wortführer der Demokratie, beim Sammeln von Daten über und mit seinen Bürgern und Alliierten im Grundsatz kaum besser geriert, als wir es von Diktaturen selbstverständlich annehmen. Der Unterschied besteht weniger in Menge und Art der Daten, als in der Art und Weise wie sie verwendet werden. Aber auch dieser Unterschied droht, siehe obiges Zitat der Columbia Universität, über kurz oder lang zu verwischen.

Vaterlandsverräter oder Held der Demokratie? Die Geschichtsschreibung wird für Assange irgendwann einen Platz irgendwo zwischen diesen beiden Extremen reservieren, in Abhängigkeit davon was mit ihm und um ihn herum sonst noch so geschieht. Sicherlich ist er, unbeachtlich der individuellen Wertung, ein Held, und wie jeder Held zwiespältig und zwielichtig. Das gilt von Arminius bis Assange, und wie Ersterer wird er zweifellos einen hohen Preis für seine Heldentaten zahlen müssen. Personen wie Assange setzen jedoch wenigstens die Maßstäbe für die vielen kleinen Helden, etwa in den Redaktionen der freien Presse, oder an der Front in Afghanistan oder Irak, oder auch in den Hinterzimmern der etablierten Macht, von deren zukünftigen Taten Untergang oder Überleben der Demokratie abhängen.

Kleine Helden wie etwa Horst Seehofer, der trotz gegenteiliger Sprachregelung seiner eigenen Regierung eine Rentenkürzung öffentlich als das bezeichnete, was sie ist: Eine Rentenkürzung. Auch wenn er wieder ins Hinterzimmer der Macht zurück tigern musste, es war allein aus seinem Munde eine ganz wichtige Wortmarke. Oder der Obergefreite Bradley Manning, der ein Video kopierte, das zeigt, wie die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers 2007 im Irak elf Zivilisten massakrierte. Für die Demokratie wünschte ich mir ganz ganz viele Seehofers oder Mannings, und, ein paar wenige Assangisten. Denn große Helden alleine legen nur die Messlatten zur Orientierung, aber erst die ungezählten kleinen Helden schaffen die Voraussetzung für eine notwendige Korrektur ansonsten dauerhaft untragbarer Zustände.

Montag, 22. November 2010

Times in History: Die Plutokratische Republik Deutschland

Times in History, wer sich gerne mit Geschichte, speziell jüngerer Geschichte beschäftigt, erlebt zur Zeit ein regelrechtes Deja Vu. Erinnern Sie sich noch an die BayernLB? Da benötigte man eine Nacht der Beratung, um dem Institut zunächst 5, und schließlich 15 Mrd. Euro aus dem Steuersäckel zu zu schustern. Nicht anders als bei der WestLB oder der HSH Nordbank, die Landesbank Baden-Württemberg, das Schema ging reihenweise so fort. Schließlich auch auf die Privatbanken, allen voran die HRE, wo schnell mal 102 Milliarden locker gemacht wurden, und die kürzlich, klammheimlich und fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, 200 Mrd. Euro Schrottpapiere an den Steuerzahler weiter reichen durfte. Wer glaubt das diese Sondervermögen tatsächlich wieder in positives Geld für den Steuerzahler verwandelt werden können, oder dass hiermit überhaupt schon das Ende der Fahnenstange erreicht wäre, der kann sich auch einen Osterhasen auf den Schreibtisch stellen. Der ist genauso glaubhaft.

Dann die Pleiten der EU-Staaten Island, Griechenland und Irland. Alle drei pleite, mausetot. Die Rettungspakete sind gigantisch, rund 1000 Mrd. alleine für unsere EU Pleitiers, und für die Banken alleine in Deutschland ebenfalls bislang fast 1000 Mrd an Garantien und Unterstützungen. Obwohl der überwiegende Teil dieser Kosten auf dem Rücken des kleinen Steuerzahlers in Sondervermögen, und nicht im offiziellen Haushalt liegen, ist bereits jetzt die Staatsverschuldung der BRD rapide angestiegen. Besonders witzig ist dabei auch noch die Tatsache, dass all diese Irrsinnssummen durch Kredite aufgenommen werden, wofür Sie, lieber Leser und Steuerzahler, in letzter Konsequenz auch noch gewaltige Zinsen an genau die von Ihnen gerade unfreiwillig geretteten Banken zahlen dürfen.

Und wer nun glaubt, man könne die aufgetürmten Milliardenberge weg sparen, oder überhaupt glaubt, man könne Schulden zurück zahlen, der kann auch noch gleich einen Weihnachtsmann neben seinen Osterhasen stellen. Es ist nämlich nicht nur nicht zu glauben, es ist schlicht unmöglich. Die jetzt dem Bürger, und damit gerade der Realwirtschaft, auferlegten Sparmaßnahmen dienen nur der Reduzierung der Neuverschuldung, keineswegs dem Schuldenabbau, und sie erdrücken lediglich das BIP. Der Effekt dieser Maßnahmen ist praktisch Null, die Schulden verdoppeln sich trotzdem alle 10 Jahre in den Krisenländern. Was vor einer Generation noch Sinn gehabt hätte, ist nun, da wir uns bereits in der stark exponentiellen Phase der Finanzkrise befinden, sinnlos und kurbelt den Kollaps nur weiter an.

Die ebenfalls unglaubliche Geschwindigkeit mit denen diese Summen zur Stützung der Vermögen, auf alleinige Rechnung der Schaffenden, genehmigt wurden, kontrastiert nun ausgesprochen eigentümlich zu etwa der Erhöhung der HartzIV-Sätze. Da gereichte es nach jahrelangem ideologischem Gezerre, und erst nach einem höchstrichterlichen Spruch des Bundesverfassungsgerichtes, zu halbherzigen, ja kaltherzigen, 5 Euro monatlich die Sätze zu erhöhen. Und die sind bereits jetzt schon wieder, wegen der Abgabenerhöhungen insbesondere den Energiepreisen, im inflationären Nirwana verschwunden. Diese "Wohltat" übrigens hat ein Volumen von sagenhaften 0,3 Mrd. Euro pro Jahr. Eigentlich zwar auch kein Kleckerbetrag, so ist es doch weit weniger als alleine die jährlichen Zinsen die nur für die Rettung der BayernLB dauerhaft aufgebracht werden müssen, vom Rest der gigantischen Rettungspakete wollen wir da lieber vornehm schweigen.

Angesichts dieses immensen politisch-sozialen Ungleichgewichtes erstaunt es wenig, dass sich der unfreiwillige Retter nun Steuern-, Abgaben- und Gebührenerhöhungen, sowie öffentlichen Sparpakete, insbesondere der Gemeinden, an allen Ecken und Enden gegenüber sieht. Während auf Seiten der Geretteten bislang keine Spur von Vermögens- oder Transaktionssteuern, oder auch nur vom Abbau der bereits vorhanden Steuerprivilegien, die Rede ist. Von den weiteren einseitigen Umlageplänen, zuletzt der Krankenversicherung, auf den Schaffenden alleine, will ich nicht weiter eingehen. Wer will, mag sich gerne weiter bei Minister Rösler informieren.

Diktaturen, aber auch Revolutionen haben die Eigenart, sich schleichend und fast unbemerkt zu entwickeln. Das Faktum, das wir zur Zeit erleben, ist eben dass es alleine die Finanzpolitik ist, die bestimmend für die Demokratie geworden ist, und nicht mehr das Wohl des Bürgers als ganzes. Das gipfelt in solchen Ideen, wie kürzlich bei Wolfgang Schäuble, der ernsthaft vorschlägt, dass neben der normalen Einkommenssteuer die klammen Gemeinden dem Bürger noch eine zusätzliche Einkommenssteuer abpressen sollen. Hätte er das Herz des Demokraten, ihm wäre wohl eher die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in den Sinn gekommen.

Mal abgesehen von diesem unglaublichen Vorgang (komischerweise hat der Bürger hier resigniert und denkt noch nicht einmal an eine geeignete Demonstration des Souveräns) wären die Folgen wahrlich fatal: da würden sich etwa die Städte Düsseldorf und Köln gegenseitig die Einwohner streitig machen und die wirklich klammen Städte würden im Endeffekt nochmals klammer und endlich verslummen. Aber das macht unserer Regierung, aber auch den Journalisten und Bürgern der BRD, offensichtlich weniger Kopfzerbrechen als die Vorstellung mit einer wirksamen Besteuerung der Aktiva/Passiva der Banken eine (in Wahrheit leicht verschmerzbare) Kapitalflucht zu erzeugen.

Dieses seltsame Demokratieverständnis gipfelt auch in solchen Aussagen, wie die des Bahn Chefs, aber auch anderer hochgestellter Politiker, der sich zum Widerstand gegen das rund 5 Mrd. Euro teure Projekt Stuttgart 21 äußerte: "Nur ein Mann dürfte bei den Gegnern von "Stuttgart 21" ähnlich unbeliebt sein wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus - der Bahn-Chef Rüdiger Grube. In der "Bild am Sonntag" bezeichnete er die Proteste gegen das umstrittene Bahn-Projekt "Stuttgart 21" nun als nicht gerechtfertigt. "Ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau gibt es nicht", schreibt Grube in einem Gastbeitrag. "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst. Unsere frei gewählten Volksvertreter haben das Dutzende Mal getan: im Bund, im Land, in Stadt und Region. Immer mit großen Mehrheiten", sagte Grube. ".

Na so was, mit großen Mehrheiten? Das beruht natürlich auf der Fiktion der parlamentarischen Demokratie. In Deutschland haben wir nämlich keine direkte, sondern eine allein durch den Wahlzettel, alle paar Jahre, legitime Beteiligung des Volkes. Was heißen soll, wenn der Bürger nun pötzlich was gegen das Milliardenprojekt habe, so solle er das doch demnächst auf seinem Wahlzettel notieren; ein Recht die in Hinterzimmern getroffenen Entscheidungen zu revidieren, und sei es aus aktuellem Anlass (Finanzkrise), dieses Recht habe er nicht. Selbiger Bahnchef fände es aber völlig legitim, und so auch seine politischen Verbündeten, wenn er als Bahnchef, aus welchen Gründen auch immer, jetzt genauso einseitig aus dem Geschäft aussteigen würde.


Obwohl mich persönlich der Stuttgarter Bahnhof nicht wirklich interessiert, so sei zum guten Ganzen doch erwähnt, das es keineswegs die Bahn ist, die die Hauptlast der Kosten des Projektes zu tragen hat. In der Tat ist es wiederum der Steuerzahler, der den Löwenanteil der rund 5 Milliarden trägt. Und dem, im Angesicht solcher Großzügigkeit, langsam die demokratischen Sinne schwinden. Bauindustrie, Grundstückseigner, Makler, Banken und die Politik, die sind aber letzendlich die hauptsächlichen finanziellen Profiteure von Stuttgart 21. Und falls Sie glauben, das man bei der Offenlegung aller Verträge und Absprachen nicht merkwürdige familiäre und freundschaftliche Verhältnisse unter diesen Herren und Damen vorfinden würde, dann stellen Sie sich gleich noch einen Nikolaus neben den Osterhasen und den Weihnachtsmann.

So heisst es, ist Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, auch Aufsichtsratsvorsitzender der Stuttgarter Straßenbahnen AG und Aufsichtsratsvorsitzender des Verkehrsverbundes Stuttgart, dazu stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Stuttgart AG und sogar der Trägerversammlung der Landesbank Baden-Württemberg und Vorsitzender deren Kreditausschusses. Landesbank Baden-Württemberg? Yep, genau die hatten wir heute schon mal, auch die haben selbstredend, siehe oben, schon zig-Milliarden des Steuerzahlers versenkt.

Nun lange Rede, kurzer Sinn: Die ehemalige kapitalistisch, parlamentarisch und sozialmarktwirtschaftliche Demokratie hat sich schleichend einer Oligarchie genähert und verwandelt sich jetzt zunehmend, per Faktum der tatsächlichen politischen Entscheidungsfindung, in eine Plutokratie. In partiellen Eigenheiten kann man vielleicht sogar von einer Kleptokratie sprechen, zumal wenn man weitere Europäische Brüder wie Berlusconi-Italien und Andere mit ins Visier nimmt. Der Schritt bis zur Diktatur ist dann nicht mehr weit, wenn die Bürger sich von den kopflos im Finanzsumpf versunkenen Demokratien keine Hilfe mehr erwarten können.

Auch ohne diese harschen Worte lässt sich das Problem auf den folgenden Punkt bringen: Die Politik wird nunmehr nur noch von den Bedürfnissen der Finanzwelt bestimmt, ganz egal ob in Berlin, Paris, Athen oder Washington. Die Probleme und Bedürfnisse des kleinen Mannes oder Frau erscheinen nur noch als eine lästige, aber auch zunehmende, Randerscheinung, die wenig Verständnis zu erwarten hat.

Die Ursache dafür ist, neben den völlig überforderten Demokraten, letztlich ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler unseres Geldes, das eben kein Verfallsdatum kennt, und so zahlen wir tatsächlich heute noch einen Kredit, den zum Beispiel 1960 ein Häuslebauer aufnahm, zum dritten oder vierten mal erneut ab. Falls Sie das nicht glauben, so stehen Sie damit nicht alleine da. So schreibt etwa die Wikipedia: "Die Geldmenge wird durch Vergabe von Krediten bzw. Ankauf von Aktiva durch Banken vermehrt und durch Rückzahlung von Krediten bzw. Verkauf von Aktiva von Banken vermindert. Diese Vorgänge nennt man Geldschöpfung und Geldvernichtung...."

Was auf den ersten Blick einleuchtend klingt, ist leider die vorherrschende Grundfehleinschätzung, die Politiker und Bürger weiter hin hinters Licht führen lässt. Denn nach Rückzahlung, z.B. des oben erwähnten Häuslebauerkredits, ist zwar die Bilanz auf dem Konto der Geschäftspartner Bank/Häuslebauer ausgeglichen, wobei allerdings bereits ein erheblicher Teil neuen Geldes vermittels der verlangten Zinsen anfällt. Aber das Geld, dass der Häuslebauer an seine Handwerker und Bauunternehmer gezahlt (bzw. von der Bank aus einfach weiter gereicht) hat, ist natürlich immer noch, und zwar in voller Höhe, da. Es kursiert nämlich lediglich relativ kurze Zeit in derVolkswirtschaft und landet dann auf unzähligen Bankkonten erneut als Einlage. Und verlangt dort natürlich nach weiteren Zinsen und damit nach der Generierung neuer Kredite an Dritte. Nichts anderes ist nämlich der Lebenszweck der Bankinstitute. So kommt die exponentielle Spirale des Vermögenswachstums in Gang, der nach zwei Generation regelmäßig jede Vorstellung, und Rettungsmöglichkeit, sprengt.

Einer der wenigen Auswege aus diesen wiederkehrenden Jahrhundertdilemmi ist das sogenannte Freigeld. Es fungiert im Prinzip auf dem allseits bekannten Gutscheinprinzip. Wir kennen das von vielen Geschäften, die Gutscheine für alles mögliche ausgeben, dabei aber immer auch ein Verfallsdatum darauf angeben. Danach ist der Schein nichts mehr wert. So müsste es natürlich auch beim Geld sein, denn es ist nichts anderes, als ein Gutschein auf Waren und Dienstleistungen aus dem BIP. So hätten sich dann obige Handwerker und Bauunternehmer für das Geld des Häuslebauers was schönes kaufen können, aber keine neuen Kredite in gleicher Höhe generiert. Und wir müssten heute nicht die Kredite unsere Väter und Grossväter zum x-ten mal erneut abbezahlen.


Zu den anderen Auswegen gehört Inflation und unparitätische Währungsreform. Allerdings regelmäßig begleitet durch gewaltige Verteilungskriege. Denn wir haben weder ein Lohn- noch ein Krankenkassen- noch ein Rentenproblem. Wir haben in der Tat lediglich ein gewaltiges Verteilungsproblem. Das sieht man leicht, wenn man mal, ganz nach den amtlichen Zahlen, das Vermögen und BIP pro Kopf(!) der Bevölkerung berechnet. Selbst inflationsbereinigt produzieren wir pro Kopf mehr reale(!) Werte denn je. Da es in der Tat ein pro-Kopf-Wert ist, also egal ob Baby oder Greis oder Arbeitnehmer, so besteht eigentlich nicht der geringste Grund irgend wem Lohn oder Rente zu kürzen.

Das Problem ist nämlich nicht unmittelbar die ungünstiger werdende Bevölkerungspyramide, sondern die Tatsache, das immer weniger Arbeitende benötigt werden, und damit immer weniger Lohn- und Abgabensummen, um eine immer größer werdende Produktion zu erwirtschaften. Insbesondere die erhöhte Produktivität, neben dem gigantischen Kapitalüberhang, befördert die Ungleichverteilung. Wenn Sie es sich nicht so ganz vorstellen können, so denken Sie sich nur, wie es denn sein sollte wenn in Zukunft, mit zunehmender technischer Entwicklung, die gesamte Produktion eines Industriestaates nur noch von selbstreproduzierenden Robotern erwirtschaftet würde. Der Reichtum wäre immens, aber für wen? Nur für die wenigen Roboterbesitzer? Oder sollte es eine Verteilungsregel geben, die das gesamte Volk berücksichtigt?

Es ist genau dieser Verteilungskrieg, der nicht nur national sondern insbesondere auch International brennt, der regelmäßig Demokratien in Diktaturen und die Welt in Kriegen versinken lässt. Das es diesmal, in einer ungleich aufgeklärteren Welt, erstmals gelingen sollte dieses Szenario zu verhindern und sich aus der selbst gelegten Schlinge zu befreien, daran habe ich persönlich die allergrößten Zweifel. Das warnende Beispiel Adolf Hitlers ist zwar schon denkbar ausgelutscht, aber es hat hier allergrößte Relevanz. So war den Deutschen um 1930, ein Jahr nach dem die Plutokratie die junge Demokratie wieder im festen Griff hatte, kaum einem einleuchtend, das nur 15 Jahre später Deutschland ein Trümmerwüste sein würde so weit das Auge blicken konnte.

Das Deja Vu kann man in der Wikipedia gut nachlesen: "...Der wirtschaftliche Abschwung, in Form einer scharfen Rezession, hatte seinen spektakulären Ausgang im Börsenkrach an der Wall Street [1929] genommen und sich rasch global ausgebreitet. Inmitten dieser prekären Situation erschütterte eine Hiobsbotschaft aus Österreich die Bankenwelt in Europa. Die Creditanstalt, größte Bank Österreichs und zugleich eine gigantische Holding mit umfangreichem Aktienbesitz, war pleite. Durch direkte und indirekte Beteiligungen hatte sie 60 Prozent der österreichischen Industrie kontrolliert.

Die Nerven von Anlegern und Investoren lagen blank, und das nicht nur in Österreich. Denn die Schwächen des Banksystems, die der Creditanstalt zum Verhängnis geworden waren, ließen sich in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland, nur zu leicht wiedererkennen. Endgültig zum Verhängnis wurde der deutschen Bankenwirtschaft jedoch ihre Abhängigkeit vom Ausland (allen voran den Vereinigten Staaten). Dort hatte sie sich mit dem Kapital versorgt, das sie an Handel und Industrie verlieh. Die Liquidität der deutschen Banken hing also in erheblichem Umfang vom Vertrauen des Auslands ab, welches sich, während der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise, als zunehmend fragil erwies. Im Mai 1931wurde ruchbar, dass Karstadt in Geldnöten steckte, ebenso die bekannte Nordstern-Versicherung. Die Gläubiger fragten sich nun besorgt, wie sicher die Banken noch waren, die Karstadt Geld geliehen hatten.

Politische Entwicklungen verschreckte die Geldgeber noch weiter. Eine Erklärung von Reichskanzler Brüning, der die Möglichkeit eines Staatsbankrotts des Reiches andeutete, heizte Anfang Juni 1931 die gefährlichen Kapitalabflüsse ins Ausland weiter an. Für den großen Krach fehlte nur noch der Anlass. Den lieferte eine windige Bremer Firma namens Nordwolle – und ihr Partner, die Darmstädter und Nationalbank. Beide Unternehmen hatten sich mit fragwürdigen, hochrisikobehafteten Investments verspekuliert. Die Danatbank wurde vom Kollaps der Nordwolle hart getroffen. In der Öffentlichkeit machten erste Gerüchte die Runde, dass nun auch eine deutsche Bank in Schwierigkeiten sei. Als der Name der Danatbank fiel, brach der Ansturm der Anleger los. Binnen weniger Tage musste die Bank kapitulieren. Am Montag, den 13. Juli, blieben ihre Schalter geschlossen.

Am vorausgegangenen Wochenende hatten hektische Krisengespräche zwischen führenden Branchenvertretern und der Reichsregierung ein heilloses Chaos unter den Banken im Reich offenbart. Die Dresdner Bank etwa, die ebenfalls mit Krediten für die Nordwolle schwer belastet war, behauptete am 11. Juli 1931 nicht in Gefahr zu sein – drei Tage später war sie am Ende. Die Reichsregierung zog nun die Notbremse. Als am Montag die Banken öffneten und schon nach wenigen Stunden dem Andrang panischer Sparer nicht mehr gewachsen waren, erklärte die Regierung die folgenden zwei Tage zu Bankfeiertagen. Danach wurden Abhebungen zunächst nur für dringlichste Geschäfte zugelassen, etwa für die Zahlung von Gehältern. Die Atempause nutzte man, um die am meisten gefährdeten Banken mit Geld zu versorgen.

Der Staat verbilligte, unter dem wüsten Protest der Bankiers, Kredite für die Wirtschaft und reduzierte per Dekret die Verzinsung laufender Anleihen. Es wurden schärfere Kontrollen und eine erste Bankenaufsicht eingeführt. Der Regierung gelang es, mit großangelegten Interventionen – von der Übernahme großer Banken über Umstrukturierungen bis hin zu flankierenden Aufsichtsmaßnahmen – den Kollaps des deutschen Finanzsystems zu verhindern. Womit sie jedoch in der Bevölkerung ihren letzten Kredit verspielt hatte. Gewerkschaften und Kommunisten wetterten gegen die Sozialisierung der Verluste. Eine antikapitalistische Haltung der Bevölkerung war, allein schon durch die wirtschaftliche Krise an sich weit verbreitet, da nun aber das Kabinett sich scheinbar vor allem für das Großkapital und die unpopulären Banken in die Bresche warf, brachte dies keinerlei Sympathie – im Gegenteil. Auch die Banken rückten, obwohl der staatliche Eingriff sie letztendlich gerettet hatte, von Reichskanzler Brüning ab."


Soweit, etwas gekürzt, der hervorragende Artikel der Wikipedia zur Weimarer Republik. Die Wikipedia zieht als dann das Fazit: "Die These, die „Weimar“ auf die Formel einer „Demokratie ohne Demokraten“ bringt, ist zweifellos die vereinfachende Zuspitzung eines Problems. Sie trifft jedoch durchaus auf viele damalige Führungskräfte in Staat, Wirtschaft und Verwaltung zu, darüber hinaus auch auf große Teile der Parteien und der Wähler. Hitler wurde zu einer Zeit Reichskanzler, als seine Partei aufgrund innerer Spannungen nach mehreren vergeblichen Anläufen in einer ernsten Krise war. Was die Nationalsozialisten als „Machtergreifung“ bezeichneten, um damit Stärke zu suggerieren, wird von manchen eher als eine Art Machtübergabe, als Selbstaufgabe der Republik gesehen."

Zu den leitenden ökonomischen Gründen für die Machtergreifung der NSDAP zählt die Wikipedia auf: "Die Folgen der Inflation, Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, überforderte Sozialversicherungssysteme, sozialer Abstieg im Mittelstand, und den Wunsch großer Wirtschaftskreise nach Zerstörung des Sozialstaates und der Arbeiterbewegung."

Wie sich die Zeiten doch gleichen. Die Behauptung "die heutige Zeit könne man mit der Weimarer Republik doch gar nicht vergleichen" ist so wenig realistisch, wie der Bankenstresstest, der 3,5 Mrd. Finanzbedarf der europäischen Banken prognostizierte und wenige Wochen später 70 Mrd. in Irland versenkte um in den letzten Tagen dann in den kompletten Staatsbankrott und weitere dreistellige Milliardenspritzen für Irland gipfelte. Da darf man das Christkind auch noch neben die drei Figuren auf dem Schreibtisch drapieren.

Fünfzehn Jahre, 2025, es erscheint so fern wie tausend Welten. Und ist doch so nah.

Demokrat ist man nicht deswegen, weil man sich so nennt. Das war Erich Honeker nämlich auch. Demokrat ist man dann und nur dann, wenn man auch so handelt. Wer immer nur nach oben buckelt und nach unten tritt, der ist definitiv keiner. Und da handeln unsere lieben Volksvertreter seit Ausbruch der Lehmankrise, spätestens, auch nicht besser als Honni in der real existierenden, aber untergegangenen, DDR. Seltsam selten flackert noch mal ein aufrechtes Demokratenherz auf.

So als Bayerns Seehofer die Rente mit 67 eine verdeckte Rentenkürzung nannte. Über soviel „Politikunfähigkeit“ prasselte die Kritik aus der eigenen Partei über ihn dermaßen herein, dass er alsbald seine Äußerungen relativierte und sich auf die getürkten Statistiken zur Altersarbeit von Ursula von der Leyen einließ. Nur: Selbst wenn man diesen gestelzten Unfug tatsächlich glaubt, und meint dass sich zukünftig die Industrie nach über 60-jährigen Vollzeitbeschäftigten nur so die Finger lecken wird, es bleibt trotzdem eine Rentenkürzung! (Die Osterhasen sind mir an dieser Stelle leider ausgegangen. Stellen Sie sich ersatzweise bitte ein Bild von der Ursula hin.)

Und noch nicht mal eine verdeckte. Denn jeder Banker und auch Betriebswirt weiß, das Geld das ich heute kriege und das gleiche Geld, wenn ich es erst in zwei Jahren kriege, definitiv nicht dasselbe ist. Denn das spätere Geld muss ich entsprechend abzinsen. Und zweitens weiß jeder Versicherungsmathematiker, dass die Sterbequote in diesem Alter etwa mit der vierten Potenz des Alters ansteigt. Das heißt im Klartext: Zwei Jahre später hat sich ein erklecklicher Anteil, vor allen Dingen der männlichen Bevölkerung, bereits per biologischer Lösung entsorgt. Und den Überlebenden muss ich zwei Jahre weniger Rente bezahlen, dass ist bei der durchschnittlichen Lebenserwartung der Männer (77 Jahre: 77-65=12; 77-67=10, Ersparnis:20%) und Frauen (82 Jahre: 82-65=17; 82-67=15, Ersparnis:13%) auch noch als dritte Komponente deutlich bemerkbar. Als vierte Komponente kommt noch der Effekt hinzu, dass zwei Jahre längerer Arbeitsstress sich auch noch in einer sinkenden Lebenserwartung der davon Beglückten bemerkbar machen dürfte. Summa summarum also eine wirklich erkleckliche Ersparnis für den Staat, die ihm frische Luft verschafft um damit bedrohte Vermögen retten zu können. Wer das alles nicht beim Namen nennen will, der handelt nicht nur undemokratisch, sondern das ist auch perfide unchristlich.

In der jetzigen Zeit Demokrat zu sein erfordert in der Tat mehr, als auf netten Prominentenparties Häppchen zu vertilgen und mit Ich-bin-ganz-wichtig-Hubschraubern durch die Gegend zu fliegen um auf Tagungen mit munteren Reden zu brillieren. Diese bequemen Zeiten sind vorbei. Wer sich jetzt noch Demokrat nennen will, ohne dabei schamrot werden zu müssen, der muss nicht das Demokratenherz in der Hose, sondern das Herz des Boxers in der Brust haben. Und um nicht missverstanden zu werden: Ein richtiger Boxer verhaut nicht das Publikum, sondern nur wirkliche Gegner.

Eine Volkswirtschaft ist wie ein Baum, er hat die Wurzeln unten und die besten Früchte ganz oben. Bei Revolution, Krieg und Terrorismus ist es genau umgekehrt, die Wurzeln sind immer oben, die weniger fetten Früchte ganz unten.

Das sollte ein Jeder bedenken, der im Glaspalast sitzt und mit Steuern nach denen da draußen wirft.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Tandemvipera Herbstbösachten 2010

„In ihrem Herbstgutachten, das sie heute veröffentlichen, erwarten die Institute einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,5 Prozent, erfuhr das Handelsblatt aus mit den Daten vertrauten Kreisen. 2011 dürfte die Wirtschaftsleistung um weitere zwei Prozent zulegen. Damit wäre am Ende des kommenden Jahres schon wieder das Vorkrisenniveau erreicht. ....Damit ist Deutschland der Superstar in Europa. Denn dem Gutachten zufolge wird die Wirtschaft in der gesamten Euro-Zone in diesem Jahr um 1,6 Prozent zulegen, im kommenden um 1,3 Prozent. ...“ schreibt heute das Handeslblatt. Die gleichzeitige überproportionale Erhöhung der Schulden und Vermögen spielt in der Analyse gleichwohl keine Rolle, denn es gilt als ausgemacht: “...Lohnerhöhungen und sinkende Arbeitslosigkeit lassen die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme kräftig steigen. Sie gilt als Schlüsselgröße für die Entwicklung der Staatsfinanzen, weil sie maßgeblich das Steuer- und Beitragsaufkommen bestimmt....“. Klingt so lässig, ist aber purer Zynismus: Erst bezahlt der Schaffende seinen eigenen Aufschwung per Pump, und dann muss er die damit verbundene Stützung und Erhöhung der Vermögen natürlich auch noch selbst abstottern. Von angemessener Vermögensbesteuerung ist selbstverständlich keine Spur zu entdecken, schon gar nicht bei den immer selben „Wirtschaftswaisen“.

Nun der momentane Aufschwung, oder besser die Erholung, ist nicht mehr als die übliche zyklische Schwankung der Konjunktur um den langfristigen Mittelwert. Natürlich erzeugen die irrwitzigen Milliardenbeträge auf Rechnung des Kleinen Mannes für eine vorübergehende Besserung, aber diese Beträge sind ja nicht verschwunden sondern nur zu Vermögen in anderen Händen geworden. Und die jetzt ganz selbstverständlich für das geschenkte Geld Zinsen aus dem BIP verlangen und konsequent abpumpen. Das führt dann zu den gut beobachtbaren Rückschlägen, die jedem so geborgten Aufschwung folgen müssen.

So lesen wir im gleichen Blatt: „Fazit: Die zusätzlichen Schulden, die viele Staaten machten, um ihre Banken zu retten und die Konjunktur zu stabilisieren, haben bestehende Probleme bei den Staatsfinanzen verschärft. "Die Staatsschuldenquoten sind 2010 in vielen Fällen bereits so hoch, wie S&P sie erst um das Jahr 2030 erwartet hätte", sagt Moritz Krämer, Direktor für Länder-Ratings in Europa, Nahost und Afrika.... Vor drei Jahren war S&P noch zu dem vergleichsweise undramatischen Ergebnis gekommen, dass die Schuldenquote - also das Verhältnis der Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) - in Deutschland bis 2050 auf 99 Prozent steigen werde. Heute kommt die Agentur auf schockierende 400 Prozent des BIP. Und in den übrigen G7-Staaten sieht es meist nicht besser aus..... So errechnete der Ökonom Jagadeesh Gokhale Anfang 2009, dass jedes EU-Land im Schnitt ungedeckte Zahlungsverpflichtungen von 434 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung habe. Diese Verpflichtungen resultierten vor allem aus Zusagen umlagefinanzierter Sozialkassen....".

Das vorhersehbare Schulden angeblich keine sind, dafür ergreift Hr. Rürup Stellung: „..der Ex-Chef des Sachverständigenrates sieht daher solche Betrachtungen kritisch. "Auf Grund der qualitativen Unterschiede ist es nicht seriös, explizite und implizite Staatsschulden zu einer Größe zusammenzurechnen", kritisiert er. Der entscheidende Unterschied zwischen expliziten und impliziten Schulden bestehe darin, dass explizite Schulden verbrieft und privatrechtlich geschützt seien, während implizite Schulden auf Transferansprüchen basierten. Und diese Ansprüche könne der Staat jederzeit einseitig zurücknehmen, wie etwa die diversen Rentenreformen in Deutschland zeigten. "Es ist daher einfacher, implizite Schulden zu reduzieren", sagt Rürup...“ Und obiger Hr. Krämer assistiert: "Je früher die politisch Verantwortlichen die Bevölkerung darauf einstellen, dass sie ihre Versprechungen nicht einhalten können, desto leichter wird der Anpassungsprozess werden."

Im Klartext: Niemand denkt wirklich daran, außer Sie selbst vielleicht, ihre Renten und Pensionsansprüche in Zukunft zu begleichen. Es ist nun mal Fakt, das bei Fortsetzung der jetzigen Finanzpolitik, oder besser und genauer: Verteilungspolitik, ab den 2020er Jahren selbiges völlig illusorisch ist. Das vorher zu sagen, dafür reicht die Bedienung eines einfachen Taschenrechners völlig aus.

Also, lassen wir uns weiter veralbern. Deswegen lieben wir ja den Karneval im Rheinland so sehr, „...et hät noch eme jot jejange..wat kost die wält, dat es doch ejal...drenk doch ene met un stell dich net su a!“. Möchten Sie noch so einen Scherz hören: So hatten wir doch dem letzt den EU-Bankenstresstest. Ergebnis: Der Bedarf an Zuschüssen für die europäischen Banken läge bei lediglich 3,5 Mrd. Euro. Nun denn, wenig später springt Irlands Regierung seiner Hausbank mit 70 Mrd. Euro bei und treibt das Staatsdefizit auf den europäischen Rekordwert von rund 32%. „Tärä, Tärä, Tärä...und Tusch“. Na, wo bleibt ihr Lachen, haben Sie etwa den Witz nicht verstanden? Seien Sie doch nicht so humorlos, die im Hintergrund haben sich jedenfalls halb totgelacht, das niemanden der Gag so richtig aufgefallen ist.

Aber damit gehen uns die Gag’s noch lange nicht aus: Kennen Sie den: „Griechenland kriegt seine Schulden in den Griff“, ein echter Brüller, sage ich ihnen. Der geht so: „...Griechenland will die Milliardenhilfen von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) womöglich später zurückzahlen als bislang vereinbart. ...Unterdessen gelang es Griechenland, eine neue Anleihe zu platzieren. Das Land sammelte über Geldmarktpapiere mit einer Laufzeit von 26 Wochen 1,17 Milliarden Euro ein. Die Rendite habe mit 4,54 Prozent niedriger als im September gelegen, teilte das griechische Finanzministerium mit. Es sei ein weiterer Teilerfolg auf dem langen Weg zur Genesung der griechischen Finanzen, urteilten Bankexperten in Athen. ...“. Der ist gut, gell? Nicht verstanden? Na gut, ich erklär den Witz: Erstmal können die Griechen natürlich nicht wirklich zahlen. Nun gut, das wissen wir alle, aber deswegen ist der Witz ja so ulkig. Also schiebt man das vereinbarte Zahlungsziel schon mal auf den Sankt Nimmerleinstag, und das nur ein paar Monate nach dem man das vereinbart hatte. Man, das zerreißt mir jetzt das Zwerchfell...und weiter geht’s: „...Die Schuldenlast ist nach wie vor hoch, die Wirtschaftsleistung geht zurück, und Proteste der Bevölkerung nehmen zu. Aber gerade in den vergangenen zwei Wochen legten griechische Papiere eine beeindruckende Entwicklung hin: Die Renditen für zehnjährige Papiere gingen um rund 1,5 Prozentpunkte zurück. Sie fielen von 10,42 Prozent am 24. September auf 8,94 Prozent. ...“. Klasse nicht war, wissen sie was „nur“ 8,94% bedeuten? In zehn Jahren liegen da statt 330 Mrd. Euro rund 777 Mrd. Euro Schulden. Das ist ein Schenkelklopfer, nicht wahr, und wieder hat’s keiner gemerkt, einfach Suuuupeeeer!

Und auch die HRE ist immer für einen gut: „...Erster Schritt zur Rückkehr in die Normalität: Die verstaatlichte Immobilienbank Hypo Real Estate will Garantien des Bundes im Wert von 23,5 Milliarden Euro zurückführen. Damit müssten die Bürgen nur noch für gut hundert Milliarden einstehen....“. Nur noch 100 Milliarden, was ein Glück. Aber wieder haben Sie den eigentlichen Witz nicht so richtig bemerkt: Die „Normalität“ ist einfach die, das die HRE kürzlich rund 200 Mrd. in eine ebenfalls staatliche BadBank der Soffin auslagern durfte. Die kleben Ihnen lieber Leser nun als Sondervermögen und zukünftige Steuerlast unmittelbar und endgültig noch zusätzlich am Bein! Und, und, jaja, da kommen noch sukzessive viel mehr solcher Dinger hinterher...bis Sie irgendwann die komplette Malaise am Hals haben...während dessen die HRE-Manager wegen selbiger „Normalität“ dann auch in 2011 ganz offiziell und ungeniert dicke Bonis einstreichen dürfen....manoman, ist Der gut.

Und ein Witz jagt den Nächsten, hier noch Einer von den guten: „...Die US-Notenbank kündigt neue Geldspritzen an und prompt schnellt der Dax auf den höchsten Stand seit September 2008....„Es passt im Moment einfach alles“, erklärte ein Händler in Frankfurt die gute Stimmung der Investoren....Nach dem am Dienstagabend veröffentlichten Protokoll der September-Sitzung ist die Fed bereit, möglicherweise schon nach der nächsten Zinssitzung im November billiges Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Die US-Notenbanker hätten den Eindruck, dass schon bald wieder weitere Konjunkturhilfen angemessen seien, ging aus der Mitschrift der Sitzung hervor....“.

Ja bei Dem "passt wirklich alles", wir drucken fleißig, Geld, damit Sie sich nicht nur ihre verbrieften Lebensabend abschminken können, sondern auch Ihre kleinen Vermögen. Aber keine Sorge, ab 300 Millionen sind Sie trotzdem auf der sicheren Seite. Und das Ziel ist ja absehbar, auch wenn Sie dann dafür nur noch eine Tüte Brötchen kriegen. Bis dahin können Sie sich aber mit ein bisschen Handel die Zeit vertreiben: „Es ist die alte Geschichte: das Gerede über ein Paket zur Stimulierung der US-Wirtschaft und zu viel Liquidität“, sagte Rohstoffhändler Ronald Leung von Lee Cheong Gold Dealers in Hongkong. „Es gibt praktisch keine Zinsen, deshalb rennt jeder in Rohstoffe und in den Aktienmarkt.“ Nach seiner Einschätzung könne die Marke [für Gold] von 1.400 Dollar schon bald erreicht sein.... Der Euro stieg am Donnerstagmorgen auf bis zu 1,4094 Dollar und war damit so teuer wie zuletzt Ende Januar.... Die Anleger spekulierten darauf, dass der Dollar bei weiteren Geldspritzen der Notenbank noch stärker falle, sagte ein Händler. Laut den am Dienstag veröffentlichten Protokollen der jüngsten Notenbank-Sitzung verfestigte sich zuletzt die Bereitschaft der Banker, die Dollar-Notenpresse wieder anzuwerfen....“

So scherzt die Financial Times Deutschland weiter: „...Die Amerikaner zwingen der Welt eine Inflation auf - die muss nun überlegen, wie sie darauf reagiert..... Eine wichtige Rolle spielt bei beiden Prozessen eine aggressive Geldpolitik der Industrienationen, speziell der USA. Grob gesagt: Die Amerikaner wollen dem Rest der Welt eine Inflation verpassen, während die Welt den Amerikanern eine Deflation aufzwingen will. Die USA stehen dabei bereits als Sieger fest, denn ihr Munitionsvorrat ist unbegrenzt: Die Fed kann so viele Dollars drucken, wie sie möchte. Ausgehandelt werden müssen nur noch die Bedingungen, zu denen der Rest der Welt kapituliert, also die notwendigen Veränderungen der nominalen Wechselkurse und die innenpolitischen Reformen, die weltweit stattfinden müssen....China will [dagegen] den Vereinigten Staaten ein deflationär wirkendes Sparen auferlegen, so, wie Deutschland es mit Griechenland macht. Das wird aber nicht geschehen und wäre auch nicht im Interesse Chinas. Als Gläubiger käme es zwar in den Genuss eines realen Wertzuwachses der Forderungen gegenüber den Vereinigten Staaten. Eine dortige Deflation könnte jedoch zu einer weltweiten Wirtschaftskrise führen.... Anstatt bei der Anpassung der Wechselkurse und des Außenhandelssaldo die Zusammenarbeit mit den anderen zu suchen, zwingen die USA ihren Willen per Druckermaschine auf. Die Amerikaner werden diesen Krieg gewinnen. Leider entsteht auch dadurch ein heilloses Währungsdurcheinander.... Es wäre für alle Beteiligten besser, eine kooperative Lösung zu finden. ...Ihr Gipfeltreffen in Seoul im November ist dafür die nächste Gelegenheit. Die Notwendigkeit besteht, aber ob auch der Wille da ist, darf bezweifelt werden.“

Aber der dezente Humor der Chinesen geht tiefer. Zwar könnten Sie ihre inzwischen 2,65 Billionen (2.650.000.000.000) Dollarchen einfach verkaufen um die Langnasen in Übersee in die Knie zu zwingen. Aber es geht noch viel besser, so lang die Grünen noch einen Wert besitzen: „... Peking kontrolliere "weltweit zunehmend den Zugang zu strategischen Rohstoffvorkommen, was langfristig Versorgungsengpässe insbesondere bei seltenen Metallen" in Europa befürchten lasse.... In Zentralasien sichere Peking mit "aggressiven Finanzierungspraktiken" die eigene Versorgung. Neben dem Streit über die Währungspolitik droht ein weiterer heftiger Wirtschaftskonflikt zwischen China und dem Westen. "Sie haben unsere vorübergehende Schwächephase genutzt und sich mit einer subventionierten Finanzierung Marktanteile gesichert", sagte der scheidende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Klaus Mangold.“

Haben Sie’s gemerkt: „...unsere vorübergehende Schwächephase...“, saugut nicht wahr? Und da wird noch einer drauf gesetzt: „...Brüderle (FDP) bezeichnete die Ausfuhrbeschränkungen der Chinesen auf sogenannte seltene Erden am Mittwoch in Schanghai als "unfreundlichen Akt". China kontrolliert mehr als 90 Prozent mancher seltenen Metalle und hatte die Exportquoten zuletzt verringert. ... Vor allem in Zentralasien bringe China Rohstoffvorkommen offensiv unter seine Kontrolle, klagt der Ost-Ausschuss. Peking nutze dabei die Vorteile einer Staatswirtschaft, sagte Mangold: "Die Chinesen zeigen, dass sie als staatlich gelenktes System in der Krise antizyklisch handeln können." In Kasachstan oder Usbekistan decke sich China mit strategisch wichtigen Rohstoffen ein und biete dafür Kredite "quasi zum Nulltarif"....“. Das ist jetzt natürlich der Treppenwitz der Geschichte „...Die Chinesen zeigen, dass sie als staatlich gelenktes System in der Krise antizyklisch handeln können.“ während für unsere kapitalistische Koalition gilt: “... Das Kanzleramt dämpfte am Mittwoch Hoffnungen auf eine härtere Gangart gegenüber China. "Das Aufkaufen von Rohstoffen ist in Deutschland nicht Staatsangelegenheit, sondern Sache der Unternehmen", hieß es....“.

Der ist so gut , dass es mich förmlich schüttelt und zerreißt: Der Sieg des Kommunismus über den Kapitalismus...jaja, richtig, China ist immer noch ein kommunistisches Land...Marx und Mao kugeln sich jetzt im Sarg!

Nun werden Sie aber bitte nicht gleich fremdenfeindlich, und schließen sich etwa einem der vielen neuen Karnevalsvereinen an: „...Laut einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung haben im Zuge der Wirtschaftskrise ausländerfeindliche Haltungen deutlich zugenommen. So glaubt jeweils rund ein Drittel, Migranten kämen allein nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen und sollten in Zeiten knapper Arbeitsplätze wieder in ihre Heimat geschickt werden.....Viele hier gemessene Einstellungen zeigen nicht einfach eine Unzufriedenheit mit den ökonomischen Zuständen - sondern Werte, die mit einer liberalen Demokratie unvereinbar sind. Dazu gehört etwa der Wunsch nach einem "Führer mit harter Hand" (13 Prozent Zustimmung) oder einer einzigen "starken Partei" für die "Volksgemeinschaft insgesamt" (knapp 24 Prozent). Und dazu gehört auch der Wunsch, Moslems erheblich in der Ausübung ihrer Religion einzuschränken (58 Prozent).....Im Westen Deutschlands ist die Mittelschicht zum Teil rechtsextremer als die Unterschicht. Dass auch die Mitte der Gesellschaft nach rechts rückt, erklären die Autoren mit der Abstiegsangst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. ...Dreizehn Prozent der Befragten sind laut Studie der Meinung, die Deutschen seien anderen Völkern "von Natur aus überlegen". Fünfzehn Prozent glauben die Juden hätten etwa "Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns". Und mehr als ein Drittel findet, Deutschland sei "in gefährlichen Maß überfremdet".“

Je später der Abend, desto schlechter die Witze...unser starker Führer, Heil Koch oder wer sonst auch immer, der kommt auch noch frisch belebt aus der Gruft zurück....zum scheissen, äh schiessen. Also machen wir erstmal Schluss für heute, ein paar von den wirklich Guten spar ich mir noch für die kommende Session auf.

Denn eins kann ich Ihnen versprechen, diese Session war schon gut, aber die nächste in 2011, die wird noch viiieeel Besser!

Montag, 4. Oktober 2010

Dead Man Walking V: Zur mathematischen Rigorosität des DMWM

Nicht jede Wissenschaft ist so vertraut mit der Methode der mathematischen Modellbildung wie die theoretische Physik. Für viele Leser dieses Blogs, insbesondere unter klassischen Ökonomen, ergeben sich daher ein paar grundsätzliche Fragen zum hier vorgestellten DMWM.

Dies sind insbesondere:

Warum macht man überhaupt eine mathematische Modellierung, welchen grundsätzlichen Vorteil hat das gegenüber qualitativen und empirischen (statistischen) Überlegungen?

Wie macht man so etwas denn sinnvoller Weise?

Warum kann denn dann irgendein Modell A, gegenüber einem anderen Modell B, einen größeren Anspruch auf Richtigkeit für sich reklamieren? Wieso taugen insbesondere das IWF 2005 Modell oder das Harrod-Domar Modell so wenig?


Nun, warum macht man mathematische Modellierungen? Es ist so, dass sich in jeder modernen Wissenschaft Experiment und Theorie gegenseitig ergänzen können und müssen. Dieser Wechselwirkungsprozess funktioniert, indem empirische Beobachtungen, das können gezielte Experimente oder eben Statistiken (wie die der DeStatis und Bundesbank) oder nur Umfragen sein. Der Erfolg solcher Experimente ist eine Kenntnis über die Wirkungen, die ein gegebenes System zeitigt. So in unserem Fall etwa die statistisch belegte Tatsache, dass der Kapitalstock i.d.R. exponentiell und bei weitem stärker wächst als das zugrunde liegende BIP, welches im Gegensatz dazu endlich in eine Stagnationsphase mündet. Oder das mit dem Wachsen des Kapitalstockes einerseits natürlich der (nominale) Reichtum zunimmt, aber im praktischen Gleichschritt auch die Armut. Zufall oder Regel?

An diesem Punkt setzt Theoriebildung ein. Denn wenn man aufgrund der Daten zu einer Idee über die zugrunde liegenden Ursachen kommt, dann lässt sich so etwas relativ einfach in eine Differentialgleichung formulieren, die dann nur noch integriert werden muss. Im Idealfall gelingt das auch analytisch, in sehr vielen Fällen muss man aber numerisch integrieren, was praktisch immer geht. Außer bei so komplexen Modellen, wie etwa Klimamodellen, die auch heute noch die Rechenpower selbst der modernsten Rechner überfordern.

Der Vorteil der Theoriebildung ist genau diese Rückführung eines Systems auf seine elementaren Ursachen. Denn erst wenn man die genügend verstanden hat, kann man wirksame Maßnahmen an den Wurzeln des Übels ansetzen, anstatt immer nur an den Symptomen herum doktern zu müssen. Hinzu kommt noch die Erfahrung aus vielen naturwissenschaftlichen Problemen, dass ausgesprochen komplexe Systeme meist aus der Kombination ganz weniger und meist simpler Ursachen folgen (so genannte Emergenz). Das macht die Theoriebildung eben so stark. Insbesondere entwickeln sich aus der dann möglichen mathematisch stringenten analytischen Betrachtung neue Zusammenhänge, die wiederum durch Experimente verifiziert, oder falsifiziert, werden können und müssen. Und dann beginnt das Karussell von neuem, bis, möglichst alles, stimmig ist.

Nun, wie macht man so etwas in rigoroser Weise? Das ist leider an den Unis, so meine Erfahrung, kein so gängiges Thema. Auch gerade bei theoretischen Physikern, die wie keine andere Naturwissenschaftler gründlich auf mathematische Modellbildung getrimmt sind, wird das zwar in allen Variation durchgekaut, aber letztlich doch häufig der Intuition, der Übung und praktischen Erfahrung überlassen. So stellt man Modelle schnell "aus dem Bauch heraus" auf, da man einfach im Urin hat, wie das am besten funktioniert. So habe ich es beim DMWModell natürlich auch erstmal gemacht.

Zur tieferen Begründung des DMWM, und im Besonderen auch als Ideensteinbruch für junge Ökonomen, schreibe ich nun diesen Beitrag zum Verständnis der Methodik und als Aufruf zur Weiterentwicklung durch interessierte Ökonomen. Denn da ist, wie wir sehen werden, noch viel Luft nach oben drin. Das Folgende setzt aber einiges an mathematischen Grundverständnis voraus: Wer sich als Natur- oder Ingenieurwissenschaftler mit solchen Modellierungen regelmäßig auseinander setzt kennt diese. Ökonomie ist im Grundsatz eigentlich ebenfalls eine Ingenieurswissenschaft, sie wird allerdings oft mehr in der philosophischen Ecke angesiedelt bzw. sie bildet gar eine eigene Zwitter-Fakultät (WiSo-Fakultät), was der Sache allerdings weniger gerecht wird und viele aktuell augenfällig gewordene Mängel erklärt.

Nun, welche grundsätzlichen Ansprüche stelle ich an ein mathematisches Modell (Theorie)?

Erstens: Es muss natürlich das im Experiment (Statistik) tatsächlich beobachtete Verhalten mit ausreichender Genauigkeit wiedergeben. Und zwar nach Möglichkeit global, das heißt über den gesamten Verlauf des Systems, und nicht nur lokal (d.h. nur für einen kleineren Bereich).

Zweitens: Es muss Konsistenzbetrachtungen stand halten. So etwa sollten Erhaltungsgrößen auch erhalten bleiben. Das drückst sich in so genannten Kontinuitätsgleichungen aus.

Drittens: Im ersten Ansatz sind wir natürlich mit einer nur globalen Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment schon zufrieden, ohne gleich jedes Detail erklären zu wollen (wissenschaftlich ökonomisches Handeln: erstmal das Grobe, der Feinschliff kommt später). Im Idealfall, einer Kascade der wechselseitigen Beeinflussung zwischen Theorie und Experiment, stimmen aber am Schluss die theoretischen und gemessenen Werte praktisch überein, denn jedes gute Modell lässt sich durch hinzufügen weitere Einflussgrößen (Ursachen) bzw. Anpassungen verbessern (Wirkungserklärung). Also für den Anfang gilt immer: So einfach wie möglich. Aber nicht einfacher! (Denn Letzteres führt direkt zu singulären und inhaltsleeren Gleichungen).

Viertens: Mathematisch nicht so hauptsächlich aber wichtig ist, dass die behaupteten Ursachen begründbar und nachvollziehbar sein sollten ("gesunder Menschenverstand"). Und natürlich muss es mathematisch (physikalisch) sauber sein, aber dass ist eigentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit (eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung).

Kommen wir also zu unserem speziellen Problem: Gesucht ist eine Lösung für den Zusammenhang zwischen Kapitalstock (Aktiva bzw. Passiva, K(t) ) und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP, Y(t) ) im zeitlichen Verlauf einer Volkswirtschaft.

Das es einen Zusammenhang zwischen Kapitalstock und BIP gibt, ist ganz offensichtlich und ist auch allgemein akzeptiert. Nur, wie sieht er konkret aus?

Die „aus dem Bauch“-Modellierung sieht so aus: Ich habe eine vernünftige Idee über die Ursachen (Änderungsraten df/dt), und dann schreibe ich die einfach mal als Differentialgleichung (DGL), bzw. da wir die Abhängigkeit zweier Größen suchen, als Differentialgleichungssystem (DGLS) hin. Außerdem probiere ich erstmal einen linearen Ansatz, weil der einfacher ist und erfahrungsgemäß oft schon die Lösung bringt. Dann teste ich die Lösung auf Konsistenz, wenn’s geklappt hat ist es o.k., wenn nicht, muss ich halt was an meinem Ansatz ändern, in dem ich mir etwa noch mal tiefere Gedanken über die Ursachen mache.

Aber man kann das auch mathematisch rigoroser formulieren: Zunächst haben wir zwei Funktionen, die gesucht werden. Die Änderungsraten d/dt der Funktionen linkerseits sind die Wirkungen, die Funktionen auf der rechten Seiten die dafür (mutmasslich) verantwortlichen Ursachen.

dY/dt= F(t,Y(t),K(t),pi(t)...) und dK/dt= G(t,Y(t),K(t),qi(t)...)

Die Funktionen F und G sind, falls man keine Superidee hat, natürlich zunächst völlig unbekannt. Sicher ist nur, dass sie von der Zeit t, als auch jeweils von der anderen Einflussgröße Y(t) und/oder K(t) abhängig sein müssen. Dazu kommen noch weitere Parameter, nämlich die, eventuell zeitabhängigen Funktionen pijkl(t) und qijkl(t), das können Prozentsätze oder was auch immer für Parameter sein. Aijkl und Bijkl sind einfache Konstanten.

Nun kann man aber einen mathematischen Trick machen, der bei jeder anständig analytischen Funktion gut fluppt: Nämlich eine Darstellung als Taylorreihe:

dY/dt= Sum ( Aijkl pijkl(t) Y^(i)j K^(k)l, …)
dK/dt= Sum ( Bijkl qijkl(t) Y^(i)j K^(k)l, …)

Das geniale an der Taylorentwicklung ist, dass sich jede unendlich differenzierbare Funktion durch eine Reihe von konvergierenden Approximationen ersetzen lässt. So weit so gut, aber nun kann man erstmal die führenden linearen Terme nutzen. Die höher gradigen Terme spielen nämlich rund um den Entwicklungspunkt nur eine kleine oder gar keine Rolle (Aijkl bzw. Bijkl =0). Aus diesem wohl begründeten Fakt heraus, darf ich tatsächlich erstmal einen einfachen linearen Ansatz probieren. Der ist nämlich mindestens lokal, und wenn ich Glück habe, auch sogar global gültig. Also jetzt nur die führenden Terme der Taylorentwicklung:

dY/dt= A000*p0000 + A0100*p0100*Y + A0001*p0001*K + …..
dK/dt= B000*q0000 + B0100*q0100*Y + B0001*q0001*K + …..

Das ist also die erste Stufe der Vereinfachung, denn Terme wie p0101*Y*K oder p0204Y^2*K^4 oder p2201*d2Y/dt2*K etc. pp. fallen erstmal weg, weil sie zumindest lokal, d.h. zumindest auf einem sehr engen Bereich Delta-t, keine Rolle spielen.

Als nächste Stufe sinnvoller Vereinfachungen ziehen wir die Aijkl und Bijkl einfach in die Parameterfunktionen pijkl und qijkl rein, und schreiben also:

dY/dt= y0 + p1*Y + p2*K
dK/dt= k0 + p3*Y + p4*K


Dies ist nun das allgemeinste lineare Modell (*). Hier muss nun die, ökonomisch begründete, Diskussion über den Sinn und die Ausgestaltung der Parameterfunktionen y0,k0,p1,p2,p3,p4 (t) einsetzen. Diese Funktionen sind im allgemeinen Funktionen der Zeit, ggf. aber sind es Pseudo-Konstanten (also so gut wie konstant), oder gar Konstanten, insbesondere können sie auch identisch Null sein.

In die nächsten Überlegungen fließen nun ökonomische und mathematische Konsistenzbetrachtungen ein. Also überlegen wir uns, was die Parameter y0,k0,p1,p2,p3,p4 für eine Bedeutung haben. Die Parameter y0 und k0 ergeben keinen großen Sinn, denn ihre Bedeutung wäre ein sowohl von Y als auch von K völlig unabhängiges Wachstum. Hier könnte man ggf. aber mit der Wirkung von Schattenwirtschaften, wie Tauschhandel oder Falschgelddruckerei Sinn hinein definieren. In einer einigermaßen rechtschaffenden Gesellschaft können wir sie mit gutem Recht zu Null setzen, da sie vermutlich eine nur geringe Rolle spielen:

dY/dt= p1*Y + p2*K
dK/dt= p3*Y + p4*K

Bleiben noch die Parameterfunktionen p1 bis p4. Fangen wir mit erster Gleichung an. Wann wächst die Volkswirtschaft, ohne Kapitaleinsatz, aus sich selbst? Nun ja, wenn man sich ganz lieb hat. Nämlich durch das Bevölkerungswachstum. Zumindest für die BRD kann man das aber gegen das BIP-Wachstum durch Kapitaleinsatz vernachlässigen, denn die Bevölkerung ist in den Nachkriegsjahren bis heute erstaunlich stabil gewesen. Anders in typischen Einwanderungsländern, wie der USA, wo die Zuwanderung das natürliche Wachstum überwiegt. Man kann also p1=0 setzen. Muss man aber nicht, man kann eine geeignete Formulierung von p1(t) auch nutzen, um den Effekt des Bevölkerungswachstums der arbeitenden Bevölkerung auf das BIP zu studieren. Aber hier jetzt:

dY/dt= p2*K
dK/dt= p3*Y + p4*K

Aus Konsistenzgründen sollte nun p2=-p4 sein, denn das Kapital wächst durch Verzinsung aus dem BIP. Neben der Verzinsung aus Investitionen wächst es natürlich auch noch durch die Spareinlagen aus den Einkommen aus dem BIP, ergo ist p3=ps, die Sparquote, in der Ökonomie oft mit S(=ps*Y) bezeichnet. Die Sparquote wiederum ist eine Pseudokonstante, denn die deutsche Sparquote ist langjährige kaum verschieden von um die 10%, somit ps(t)=ps=const. Damit ist man fast fertig:

dY/dt= -pn(t)*K
dK/dt= ps*Y + pn(t)*K

In die konkrete Formulierung von pn(t) (im IWF Modell Buchstabe g) wiederum benötigt eine Annahme über das Verhältnis von Investitionen in die Realwirtschaft zu den Eigengeschäften des Finanzsystems. Mit

pn(t)= pv – pr(t) := pv – pv*a*exp(-(t-T)/T)/e

habe ich jetzt lediglich eine einfache Verlaufsform eingesetzt, die von der empirisch belegten Aussage ausgeht, dass mit der Zeit und exponentiell steigenden Kapitalstöcken das BIP nicht mehr genügend ertragreiche Renditequellen besitzt, so dass der Eigenhandel, d.h. das Investmentbanking, stetig zunimmt. Statt dessen kann man hier natürlich auch aus den statistischen Daten die tatsächliche Verteilung zwischen Realwirtschafts- und Investmentanteilen heraus kitzeln und in das Modell anstelle von obiger Formel investieren.

An dieser Stelle muss man aber zugeben, dass es durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt, die Funktionen p2 bis p4 zu gestalten. So wollen klassische Ökonomen die Gleichheit von p2=-p4 nicht gerne einsehen. Denn die klassische Ansicht ist, dass in p2 nur die Menge des in die Realwirtschaft unmittelbar investierte Kapital einfließt, das Geschäft aus dem Interbankenhandel mit Derivaten und Wetten etc. pp. dagegen nicht. Ergo, sollte der Betrag von |p4|>>|p2| deutlich größer als der von p2 sein können, was den negativen Effekt von zuviel Kapital deutlich entschärfen würde. Dem ist allerdings entgegen zu halten, das auch beim Bankeneigenhandel der Gewinn immer aus dem BIP kommen muss. Denn irgendwer muss am Schluss der Kette von Verkäufern und Käufern die Papiere bezahlen. Und der letzte in der Kette entzieht dabei dem BIP Kapital, wenigstens um den Betrag den er demjenigen drauflegen muss, der ihm die Papiere mit Gewinn verkauft. Die Zinsen also. Und das Geld gibt er dann nicht mehr für ein neues Auto aus, sondern legt sich die Lehman-Zertifikate in den Tresor. Oder eine Firma, die ihre Gewinne in solche Papiere anlegt, anstatt neue Maschinen zu kaufen oder Leute einzustellen, weil sie sich höhere Gewinne mit Ami-Schulden versprechen.

Andererseits: Probieren Sie’s aus und setzen sie andere Funktionen ein. Dafür sind solche Modelle ja gerade da. Und dann schauen Sie, ob die reale Entwicklung des Systems besser oder schlechter approximiert wird.



Und, schauen Sie, ob das System dann immer noch konsistent ist!
Denn so eine Kontinuitätsgleichung stellt die so genannte Quantitätstheorie der Ökonomie M*v=x*P dar.
Und die ist im Dead Man Walking Modell tatsächlich erfüllt, der Quotient Mv/xP=1 ist nämlich eine Erhaltungsgröße der Ökonomie und sie bleibt tatsächlich die ganze Zeit konstant (blaue Kurve) und läuft erst aus dem Ruder, wenn das System schließlich kollabiert. Die sehr geringfügigen Abweichungen resultieren aus der Tatsache, dass das DMWM numerisch mit einer Excelltabelle integriert wurde, was immer zu leichten Rundungsfehlern führt.

Vergleichen Sie bitte auch den aus dem DMWM resultierenden Verlauf der Umlaufgeschwindigkeit (gelbe Kurve) mit den Aussagen der Wikipedia zum empirischen Geldumlauf: „...Damit eine Volkswirtschaft störungsfrei funktioniert, muss die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes möglichst konstant sein. Tatsächlich aber sinkt die Umlaufgeschwindigkeit in Deutschland seit 1981 stetig...“, Auch im DMWM fällt die Umlaufgeschwindigkeit seit den 1980er Jahren. Und weiter: „...Für V2 wurde für eine Reihe von OECD-Ländern ein langfristig U-förmiger Verlauf nachgewiesen...“. Nun, das ist genau der qualitative Verlauf wie im DMWM.


Eine tiefere Begründung erhält die alte Ökonomenweisheit Mv/xP=1 auch durch einen Vergleich mit physikalischen Problemen. Denn, schaun wir mal:


dr/dt+div j = 0

Das ist eine normale Kontinuitätsgleichung, wie wir sie aus der Physik kennen. D.h. in diesem Falle, dass die Quelle für einen Strom j die Ladungen r sind. Und, es bedeutet, dass die Ladung eine Erhaltungsgröße ist. Das gilt in allen Systemen mit Erhaltungsgrößen. Man kann die Gleichung auch als Vierer-Vektor schreiben:

Div (j,r) =0

Die Vierer Divergenz ist Div(j,r):= (d/dx,d/dy,d/dz,d/dt)*(jx,jy,jz,r) = (ve * j + dr/dt) =0, mit ve:=Einheitsgeschwindigkeit.

In der Ökonomie gilt nun

vM-xP=0.

Die Einheiten sind für M und P jeweils Euro, für v und p sind es Ereignisse 1/Jahr. Umgeschrieben in so einen Vierervektor steht nun da:

Div(M,-P)=0

Es handelt sich daher bei der Quantitätstheorie genau um die Kontinuitätsgleichung, wie wir sie aus der Physik für elektrische Ströme Div(j,r)=0 kennen, wobei es sich hier aber um Geldströme handelt. Wobei die Preise die Funktion einer (Ladungsquelle) haben. Anders ausgedrückt Die Preise (der Konsum) sind die Quelle der Geldströme (Vermögen). Wer hätte das geahnt...genauer ausgedrückt: Da steht minus P, wobei P das Preisniveau ist. Ergo steigt das Preisniveau (Inflation) so schädigt das die Vermögen, sinkt es (Deflation) stärkt es die Vermögen und schädigt natürlich das BIP.

(Ergänzung 05.10.: Wie man an obigem Plot (blaue Kurve) sieht, geht die Quellfreiheit des Systems in der endlichen Krisenphase verloren. Dies liegt natürlich daran, dass am Ende des Systems extrem viel Kapital ins System eingespeist wird. So drucken ja inzwischen alle westlichen Zentralbanken fleißig Geld. Das wirklich interessante ist aber nun: Der Verlust der Quellfreiheit ist systemimmanent. Sie geht am Ende wegen des exponentiellen Zinseszinseffekt auf jeden Fall verloren. Entweder müssen immer mehr Leute immer wackeligere Papiere kaufen, und wenn die es nicht tun, dann muss der Staat das Zeugs übernehmen, damit das System nicht kollabiert. Und weiter kann man sehen: Wegen Div(M,-P)=0 kriegt man das System nur dann wieder quellfrei, wenn man das Preisniveau P entsprechend kräftig erhöht, also inflationiert. Was Politik und Finanzwesen zur Zeit also unternehmen, ist nur der Zwangsläufigkeit des Systems geschuldet. Wobei man hofft, der letzten Konsequenz der Inflation und Hyperinflation zu entgehen. Nur, die Hoffnung darf man sich abschminken, irgendwann stellt sich das System wieder quellfrei. Was Formeln leider nicht aussagen können ist, ob dies einigermaßen schmerzfrei oder im Chaos enden wird.)

Natürlich kommen solche Analogien zwischen Physik und Ökonomie nicht von ungefähr, denn die Mathematik und die theoretische Physik beschäftigt sich mit Strukturen. Ob Ladungs- oder Geldströme, es macht keinen Unterschied, Namen sind Schall und Rauch. Die Strukturen sind maßgeblich. Und die Makroökonomie ist eine typische mechanische Struktur von Strömen und Quellen.

Hier sei noch zu bemerken, dass die hier beschriebene Methodik und das DMWM natürlich noch erweiterbar sind, durch die Hinzunahme weiterer Einflussgrößen, insbesondere von Außenhandelsungleichgewichten. Das geht recht einfach durch einen weiteren Kopplungsparameter an die Nachbarökonomie. Weitere Varianten sind das Testen von Ökonomien, die auf Investmentbanking verzichten oder die andere Geldsysteme besitzen etc. pp. Natürlich wird das dann immer komplexer und ist nur mit viel Numerik zu erschlagen.

Somit kommen wir abschließende zu der Frage, warum ein Modell A besser oder schlechter als Modell B ist? Die Antwort erschließt sich aus oben gesagten. Die Nagelprobe ist immer die Frage, das heißt der Test, ob die Realität global und mit vertretbarer Genauigkeit wieder gegeben wird, und ob das System insgesamt, sowohl mathematisch als argumentativ bzgl. der Ursachen, konsistent ist.

Das IWF Modell hatten wir hier bereits im Fokus, es ist schlichtweg singulär und sinnfrei. Ein Vergleich mit dem allgemeinsten linearen Modell (*) zeigt nun die Abstrusität deutlich: Erstens enthalten die Gleichungen (1’) dY/dt = g*Y (2’) dI/dt = g*I (3’) dK/dt = g*K keinerlei gegenseitige Abhängigkeiten, was schon ein Ausschlusskriterium ist, und zweitens setzt man faktisch die Rate der arbeitenden Bevölkerungsentwicklung gleich mit der Rate des exponentiellen Wachstums g des Kapitalstockes. Anders gesagt: Damit die Folgerungen des IWF’s annähernd aufgehen, müssten wir heute den Faktor 3,25/0,4 * Einwohnerzahl 1950 an Bevölkerung haben, also etwa 560 Millionen, statt 81. Und die müssten auch noch eine Beschäftigungsquote wie in den Wirtschaftswunderzeiten haben.

Kommen wir noch zum Harrod-Domar Modell. Nun, das Modell bringt so widersprüchliche Ergebnisse, dass es zu Recht keine große Anerkennung gefunden hat. Dito eine Reihe vergleichbarer Systeme. In Bezug auf unser allgemeines System sieht man den Fehler wieder bei den Grundgleichungen: So beginnt die Herleitung mit dY/dt = 1/v * dK/dt. Mathematisch hat er also erstmal alle linearen Terme zu Null gesetzt. 1/v ist eine Konstante, entsprechend p0011. So was könnte man machen, wenn man vorher die eigentlich führenden Terme schlüssig weg diskutiert hätte. Hat er aber nicht, sondern nur eine schwammige Vermutung genommen und die empirisch nicht belegbaren Effekte ignoriert. Zwar ist hier Y=Y(K) schon mal abhängig formuliert, o.k., aber was steht denn da: Das BIP wächst gleichförmig mit dem Kapitalstock. Kurz um: Hier wird die Behauptung zur Voraussetzung der dann folgenden Ableitungen gemacht.

Naja, wie sagte Meister Einstein anno dazumals: Der Kern des Wissenschaftlers ist, dass er sich noch wundern kann.