Dienstag, 29. Juni 2010

Der Putsch von Bellevue

(Bildquelle: hier)

"Berlin - Christian Wulff oder Joachim Gauck? Auf diesen Zweikampf wird es an diesem Mittwoch hinauslaufen. Dann wählen 1244 Vertreter der Parteien in der Bundesversammlung den neuen Präsidenten, den zehnten in der Geschichte dieses Landes - und die Millionen anderen Bürger Deutschlands sehen zu, wie ohne ihr Zutun Horst Köhlers Nachfolger bestimmt wird, der sich immer als Bürger-Präsident verstand." schreibt heute der Spiegel.

Bei dem, leider nicht offenen, Wettkampf zwischen Wulff und Gauck wurde schnell vergessen, noch einmal nach zu haken, warum überhaupt diese merkwürdige, Geschichteträchtige und vorgezogene Bundespräsidentenwahl am morgigen Mittwoch ansteht. Ursache war der, nach wie vor undurchsichtige und scheinbar spontane, Rücktritt Horst Köhlers, der Merkel und Westerwelle den Krempel förmlich vor die Füße pfefferte. Angeblich die Folge einer etwas respektlosen Kritik der Opposition gegen seine etwas unvorsichtigen Äußerungen zum faktisch-politischen Hintergrund solcher Kriege wie in Afghanistan.

Nun ist Köhler zwar keiner der üblichen Politikveteranen im Präsidialpalast, aber sicher auch kein Weichei das bei der ersten heftigen Kritik gleich die Flinte ins Parlament wirft. Schon kurz nach seinem Rücktritt vermutete ich, dass da wohl ein anderer Grund wichtiger war: "Insbesondere Köhler hatte nicht mehr die Lust den Grüß-Gott-August für die Chaostruppe unter Merkel und Westerwelle zu spielen, dessen einzige Aufgabe darin besteht Gesetze am Rande der Verfassungmäßigkeit gleich reihenweise durch zu winken.". Er ist nicht mal der erste Bundespräsident der zurück trat. Schon Lübke tat es, allerdings aus gesundheitlichen Gründen und zu einem zeitlich großzügig geplanten Termin.

Köhlers Rücktritt war dagegen von völlig anderem Character: Sofort, fristlos, unangekündigt und der Kanzlerin nur Minuten davor auf den Tisch gepfeffert. Erstmals musste ein Übergangspräsident herangezogen werden, um das Amt nicht vakant zu lassen. Ein unerhörter Vorgang von einiger Tragweite, ein Vorgang den auch ein Nicht-Politprofi so niemals ohne ausreichenden Grund vornehmen würde. Der Ex-Weltbanker, und nach mehr als 5 Präsidentenjahren auch längst Politprofi, Horst Köhler tut so was schon garnicht. Nicht wegen ein paar läppischer Boulevardkommentare.

Ausgerechnet Vertreter der CSU, die zu meinem Erstaunen mit einer gewissen Regelmäßigkeit belieben, Regierungsloyalität liegen zu lassen und manchmal selbst die Linken noch auf dem Grünstreifen zu überholen, geben nun Pfeffer zu dem schwer genießbaren Hasen: "Gauweiler glaubt, dass es andere Gründe geben muss. Köhler sei ein erfahrener Mann, habe auch zuvor Kritik ausgehalten. Er fragt sich, ob nicht Köhler aus der Bundesregierung heraus unter Druck gesetzt wurde - nicht wegen des Interviews. Sondern in der bislang größten Herausforderung der Bundesrepublik - der Euro-Krise. ..Dreh- und Angelpunkt ist für Gauweiler das Tempo, mit dem der Euro-Rettungsschirm von bis zu 147,6 Milliarden Euro durch Bundestag und Bundesrat gebracht wurde. Das geschah an einem einzigen Tag, dem 21. Mai. Am selben Tag landete Köhler - am Ende seiner Afghanistan-Reise - erst spät in der Nacht in Berlin. Bereits am nächsten Tag, einem Samstag, unterzeichnete Köhler das Gesetz. Um 16 Uhr meldete dpa Vollzug. So schnell sei noch nie ein so wichtiges Vorhaben durchgebracht worden. "Von einer ernsthaften Prüfung kann doch keine Rede sein", sagt Gauweiler. In seinem Brief an Köhler fragt er denn auch: "Ist es wirklich wahr, dass Sie keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Prozedur hatten? Haben Sie aus freien Stücken in so ungewöhnlicher Eile das Gesetz unterschrieben und ausfertigen lassen?""

Auch Hans-Olaf Henkel, ehemals Chef des Bundesverbands der Industrie, pflichtet Hr. Gauweiler bei: Er hatte mit Köhler kurz nach der fraglichen Afghanistan-Reise gesprochen. "Anfang Juni hatte Henkel in der ARD-Talkrunde bei Sandra Maischberger gesessen. Es ging um Köhlers Rücktritt, Henkel sprach über das Zustandekommen des Euro-Rettungsschirms und sagte: "Da ist ja wirklich was passiert, man muss es ja fast einen Putsch nennen." Da sei das 148-Milliarden Programm "am Morgen durch den Bundestag, am Nachmittag durch den Bundesrat gejagt worden, und am nächsten Tag - vielleicht musste - der Bundespräsident das schon unterschreiben". Das, sagte Henkel, "wäre der einzig akzeptable Grund für einen Rücktritt"."

Selbstredend wird dieser offensichtliche Vorgang dementiert. So zitiert der Spiegel weitere Ungereimtheiten um Köhlers Rückkehr aus Afghanistan, die von Gauweilers Büro dokumentiert wurden: "Am 21. Mai, als Köhler noch in der Luft war, meldete die Nachrichtenagentur apn, Köhler habe das Gesetz bereits ausgefertigt und den Verkündungsauftrag für das Bundesgesetzblatt erteilt. Am Samstagmorgen jedoch - Köhler ist mittlerweile wieder in Berlin - bringt die Agentur eine Korrektur heraus: Köhler prüfe das Gesetz "doch noch". Zitiert wird ein Sprecher des Bundespräsidialamtes, wonach "versehentlich" bereits am Freitag eine Bestätigung verschickt worden sei. ...Was ist da in der Zwischenzeit geschehen? "Trifft es wirklich zu, dass sogar erwogen wurde, die Gesetzesurkunde zu Ihnen an den Flughafen zu bringen, um Sie gleich dort unterschreiben zu lassen?", fragt Gauweiler Köhler in seinem Brief....Er hat auch eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Drei kurze Fragen zum Rücktritt. Eine lautete: Ob die Bundesregierung den Bundespräsidenten "bedrängt oder gedrängt" habe, das Gesetz unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Afghanistan am Freitagabend zu unterzeichnen?"

Spannend also, ob sich Köhler irgendwann zu seinen wahren Beweggründen äußert oder lieber, vielleicht aus ehrlich empfundener Staatsräson, weiterhin den Nebel der Verschwiegenheit bevorzugt.

Nun steht also morgen die hastige Neuwahl an. Schnell war ein für die Regierungskoalition maximal bequemer Kandidat gefunden. Ein Politprofi und Parteisoldat dem man mehr Entgegenkommen bei den noch anstehenden Milliarden- und Billionenverschiebungen zu traut. Nicht nur peinlich, sondern regelrecht gefährlich wäre da der Gegenkandidat, Bürgerrechtler und Pfarrer Gauck. Nicht so leicht zu beugen und ein Demokrat, der die Demokratie nicht mit der Muttermilch aufgesaugt und längst verdaut hat, sondern einer der sich diese noch frisch und tapfer erarbeitet hat.

Sympathien fliegen ihm daher nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Regierungskoalition zu. Theoretisch wäre sein Wahl möglich, denn im Gesetz zur Wahl des Bundespräsidenten besagt der Paragraph BPräsWahlG § 7: "Artikel 46, 47, 48 Abs. 2 des Grundgesetzes finden auf die Mitglieder der Bundesversammlung entsprechende Anwendung. Für Immunitätsangelegenheiten ist der Bundestag zuständig; die vom Bundestag oder seinem zuständigen Ausschuss erlassenen Regelungen in Immunitätsangelegenheiten gelten entsprechend. Die Mitglieder sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden." Und der referenzierte Grundgesetzartikel GG Artikel 46 besagt: "Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden."

Trotz dieser eindeutigen Rechtslage werden die Mitglieder der Bundesversammlung in Koalitionszwang genommen und faktisch an einer freien Entscheidung gehindert. Der ausgeübte Druck ist enorm, und ertappte Abweichler dürfen sich im Zweifelsfalle sicher sein, nie wieder bei ihrer Partei einen Fuss auf den Boden zu bekommen. Und damit letzlich immaterielle oder materielle Vorteile, ja sogar Einkommen und Pensionsansprüche zu riskieren. Auch wenn das offiziell in keinem Dokument so je formuliert wird, es ist eine Tatsache.

Das die Parteien den Kandidaten vorher bestimmen, eine seit den Fünfziger Jahren praktizierter Vorgang der noch nie schief ging, ist aufgrund des faktisch unausweichlichen Fraktionsdruck ein offener Verfassungsbruch, der leider noch nie zu ernsthaften Klagen vor dem Verfassungsgericht geführt hat. Der Verlauf und das Ergebnis der morgigen Abstimmung ist also auch ein Live-Test des Zustandes unserer Demokratie. Ob noch Hoffnung besteht oder ob der Putsch der Finanzoligarchie alternativlos ist.

"Alternativlos", das Wort werden sie noch öfters aus Berlin hören.

Mittwoch, 9. Juni 2010

Alles im Plan: Zeit der Mythen

Nun liegt der Sparplan auf dem Tisch. Oder zumindest der erste Ansatz. Wie schon lange zu erwarten war, wird natürlich dort angesetzt, wo der geringste Lobbywiderstand zu erwarten ist. So trifft es natürlich vorallen Dingen Arbeitslose und Familien. Zwar soll auch die Energiewirtschaft mit einer Brennelementeabgabe bluten, aber das ist noch lange nicht heraus. Spitzenverdiener sind zwar auch im Gespräch, aber an denen hängt es auch nicht, sie sind ja im Allgemeinen auch nur der obere Teil der Realwirtschaft. Eine irgendwie mögliche Herannahme der Banken und Vermögenden aber, ist dagegen weit außerhalb einer ernsthaften Diskussion, verbleibt bestenfalls im Nebulösen und Belanglosen.

Auch der Zeitpunkt und Zeitplan war vorhersehbar, nämlich nach der NRW-Wahl und mitten in die Fußball WM 2010 hinein. Das jetzt vorliegende Paket ist natürlich nicht das letzte Wort, da wird sich noch einiges ändern und noch ein paar dickere Hunde hineinkommen. Aber das geht die nächsten vier Wochen völlig unter. Wie geplant.

Die Betonung des Sparpakets liegt auf Ausgabenreduzierung statt Steuererhöhung. Das ist aber nur eine Mogelpackung. Denn mit Ausgabenkürzungen alleine ist der, sowie so sinnlose, Versuch der Staatssanierung nicht zu stemmen. Aber hier spielt der Koalitionspartner FDP die größte Rolle. Mit Steuererhöhungen verlöre sie nämlich den letzten Rest ihres Gesichtes.

Und dann spielt wieder eine Wahl eine große Rolle. Denn würde Merkel jetzt die FDP so richtig über den Koalitionstisch ziehen, dann wäre einem Bundespräsidenten Gauck Tür und Tor geöffnet. Denn mit dieser Demütigung Merkels hat die FDP inzwischen schon offen gedroht. So wird Hessens FDP-Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn zitiert: „Noch zwei- oder dreimal Altmaier und noch zwei- oder dreimal Söder und die Mehrheit für Wulff im ersten Wahlgang ist stark gefährdet.“

Also keine vordergründigen Steuererhöhungen und auch keine Rücknahme des Milliardenschweren, und nach Korruption riechenden, Steuergeschenks an die Hotelbranche. Letztes beträgt rund 1,1 Milliarden Euro jährlich(!), während z.B. die jetzt eingesparte Errichtung des Berliner Stadtschlosses gerade einmalig(!) 450 Millionen bringt. Das ist keinem vernünftig denkenden Menschen zu erklären, bestenfalls einem Fußballfan, denken sich zumindest die Koalitionäre in Berlin.

Krisenzeiten sind auch Zeiten für Mythen und Vorurteile. Mythen und Vorurteile haben in der Regel durchaus einen wahren Kern oder spiegeln typische Alltagserfahrungen wieder. Das macht sie so verfänglich und unverwüstbar, selbst wenn sie sich beim genauen Hinschauen als kompletter Unfug erweisen. Gelegenheit also nun, dazu einige Bemerkungen im Vorfeld zu machen, denn diese Mythen werden in der weiteren Diskussion dem Bürger nun reihenweise wieder aufgetischt werden.

Mythos 1: „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt, jetzt müssen wir alle den Gürtel enger schnallen.“.
Die Wahrheit ist: Ihr da oben habt über unsere Verhältnisse gelebt. Zudem wird der Gürtel nur unten eng geschnallt werden und nicht oben. Zumal man da oben inzwischen so fett ist dass kein Gürtel den notwendigen Zug aushalten würde, da bleibt man zwangsläufig fett. Auch hat das „Wir“ nicht nur eine soziale, sondern auch eine zeitliche Komponente. Diejenigen die über die Verhältnisse gelebt haben, sind längst tot, in Rente, oder im Jetsetparadies von Saint Tropez, wenn diejenigen, die den Gürtel enger geschnallt kriegen, die Schulden bezahlen sollen. Die untere und mittlere Gesellschaftsgruppe und die zukünftigen Generationen werden großzügig in Sippenhaft genommen für Schulden, von denen sie selbst am wenigsten oder gar nicht (Kinder und Enkel) profitiert haben. Die tatsächlichen Hauptprofiteure sind derweil nicht, oder nicht mehr, haftbar zu machen. Mit Generationenvertrag oder Gerechtigkeit ist das nicht wirklich in Verbindung zu bringen.

Mythos 2: „Die Staatsverschuldung ist das größte Problem“.
Das ist bestenfalls ein Teil der Wahrheit. Eine zu hohe Staatsverschuldung ist tatsächlich schlecht, weil deren Zinsen dem Bürger unmittelbar durch die staatlichen Zwangsmittel der Steuern, Abgaben und Gebühren aus dem Geldbeutel gezogen werden. Viel entscheidender als die relative Höhe der Staatsschulden ist aber die Gesamtsumme der volkswirtschaftlichen Verschuldung, also die Summe aus privater und öffentlicher Verschuldung. Die lässt sich u.a. aus dem Verhältnis zwischen Bankenaktiva und Bruttoinlandsprodukt herauslesen.

Die Staatsverschuldung in der BRD, und auch in vielen anderen westlichen Ländern ist dabei in der Tat gar nicht mal so hoch. Weit höher verschuldet sind dagegen die meisten privaten Anleihenbegeber neben dem Staat. So sind insbesondere die Banken(!) bei weitem höher verschuldet als der Staat. Großbanken mit Investmentanteilen stemmen mit einem Eigenkapital von z.T. nur etwa 5% rund 20-mal höhere Schulden. Rechnet man dem Staat seine 500 Mrd. direkte Steuern als Eigenkapital gegen, so stemmt der in der BRD noch nicht einmal das 4-fache. Deswegen ist es auch immer der vergleichsweise solvente Staat, der seit 2008 regelmäßig die wackelnden Banken stützen muss und nicht umgekehrt.

Mythos 3: „Staatsverschuldung ist vermeidbar“.
Nein. Denn der Staat muss immer in einem gewissen Verhältnis zum BIP an Investitionen leisten, sei es für Strassen und Infrastruktur, Sozialleistungen etc. pp. Für solche Zukunftsinvestitionen muss er genauso wie jedes Unternehmen erstmal zu einem gewissen Anteil mit Krediten in Vorlage gehen. Da das BIP aber zunächst genauso exponentiell ansteigt wie auch die Vermögen (Passiva entsprechend Aktiva), steigt auch die Staatsschuld exponentiell. Solange das durch nächstjährliches Wachstum kompensiert wird, ist es, genauso wie bei einem Unternehmen, auch nicht schädlich. Bricht das Wachstum allerdings nachhaltig ein, so ist das noch verheerender als bei einem privaten Unternehmen. Letzteres kann nämlich Unkosten betriebswirtschaftlich outsourcen, der Staat als Verwalter der volkswirtschaftlichen Gesamtökonomie aber nicht. Richtig ist aber, dass man Schulden im wirtschaftlich vertretbaren Rahmen halten muss. Langfristig ist aber an dem Dilemma der zunehmenden Staatsverschuldung nichts grundsätzliches zu ändern. Es sei denn man stellt jegliche Investition in die Zukunft ein, bei gleichzeitiger Erhöhung der Belastungen für den Bürger. Das führt aber genauso wie bei einem Unternehmen, das immer schlechtere Produkte zu immer höheren Preisen auf den Markt bringt, zum Untergang.

Die aktuelle Bekämpfung der Schuldenlast des Staates ist der Versuch, eine größere Inflation zu verhindern. Diese ist zwar längerfristig nicht vermeidbar, aber sie schadet besonders den großen Vermögensbesitzern und ist dort eine Horrorvorstellung, mehr noch als beim Kleinsparer. Denn der Staat könnte einfach, wie in den USA praktiziert, das nötige Geld fleißig drucken (Eigenankauf der Anleihen durch die FED bzw. EZB) sowie die Erhöhung der Löhne und Kaufkraft der Arbeitnehmer forcieren. Hier war also auch wieder fleißige Lobbyarbeit hilfreich gewesen, denn der letzte Ausweg Währungsreform schreckt Kapitalbesitzer weit mehr als fleißige Handwerker.

Mythos 4: „Die Staatsverschuldung der Japaner ist viel schlimmer, und denen geht es trotzdem nicht schlecht“.
Das ist zum Teil richtig. Mit seiner Staatsverschuldung von exorbitanten knapp 200% muss Japan immer als Beleg dafür herhalten, das wir mit z.Z. rund 80% doch noch lange kräftig Schulden machen könnten.

Das hat aber mehrere Haken. Erstens. Es kommt gar nicht auf die Staatsverschuldung, sondern auf die Summe von staatlicher und privater Verschuldung an. Die ist in Japan aber auch nicht höher als in den USA. Nach OECD Daten beträgt das BIP/Aktiva Verhältnis dort ebenfalls etwa 1:5. Japan hat damit natürlich größere Probleme als die USA, da der Yen nun halt mal nicht die Weltwährung ist.

Eine Folge der hohen Staatsverschuldung ist natürlich die jahrzehntelange Stagnation in Japan, das ist im Modell des „Dead Man Walking“ gerade der Buckel der BIP-Entwicklung. Diesen haben wir in 2008 gerade erst erreicht. Zweitens hat Japan eine weitere Besonderheit: Das ist einerseits die enorm hohe private Sparquote, die hohe Disziplin, Loyalität bzw. Obrigkeitsgläubigkeit und der besonderen Leidensfähigkeit der Japaner.

Mythos 5: „Wir müssen den Staatshaushalt durch Sparen sanieren“.
Das kann nicht gelingen. Das geht nur durch „tot sparen“. Die Infrastruktur verfällt, die Kaufkraft der Konsumbürger bricht ein. Damit lässt sich kein selbst tragender Aufschwung erzeugen.

Das Gegenteil ist der Fall. Schulden „weg zu sparen“ ist in einer Finanzwirtschaft mit FIAT-money grundsätzlich unmöglich. Durch die reine Schuldendeckung des Geldes sind die Schulden des Einen immer die Vermögen der Anderen. Schuldenvernichtung bedeutet daher immer Vermögensvernichtung, d.h. insbesondere das ersatzlose Pleite gehen lassen von Anleihebegebern. Genau das versucht man widersinniger weise aber seit 2008 händeringend, und auf Kosten des Bürgers, zu verhindern.

Man kann lediglich private gegen öffentliche (Bankenrettung, Konjunkturprogramme) oder öffentliche gegen private (Staatliches Sparen) tauschen. Bei letzterem hofft man, das private mit ihren Mitteln die staatlichen Defizite übernehmen, etwa ihre Strassen selber pflastern. Das werden sie aber freiwillig kaum tun.

Mythos 6: „Finanzmarktregulierung ist nur international sinnvoll“.
Dieser Mythos ist auch in der Abwandlung von „Kapital ist ein scheues Reh“ oder der „Pferdeäpfeltheorie“ zu finden. Richtig ist natürlich, das eine gemeinsame internationale und wirksame(!) Regulierung am besten wäre. Nur ist eine solche Regel, die wirklich durch greift, noch weniger wahrscheinlich als das die EU mal mit einer Stimme spricht. Also so wahrscheinlich das Ostern auf Weihnachten fällt.

Es geht nur, wenn wenigstens einer der weltweit entscheidenden Finanzplätze vorprescht. Die BRD ist einer dieser Plätze. Die befürchteten Auswirkungen sind dabei gar nicht so schlimm. Das würde zwar zu einer gewissen Kapitalflucht führen, das ist aber sehr begrenzt. Das liegt daran, dass es nur wenige Kapitalmärkte gibt, die die gigantischen Geldmengen der Zocker überhaupt auf nehmen können. Also etwa USA, EU, GB und Japan. China ist dagegen stark reguliert und nicht frei.

Zudem ist die Regulierung für das normale Kreditgeschäft mit der Realwirtschaft von äußerst geringer Bedeutung. Denn da kommt es, für einen guten Vertrag, weder auf ein paar Millisekunden im Internethandel noch auf Null komma irgendwas Prozent Tobinsteuer an. Das ist nur für Zocker von, allerdings erheblicher, Bedeutung. Und auch für Großbanken, die in fahrlässigerweise das Geschäftsbankengeschäft und das Investmentgeschäft vermischt haben. So etwa auch die Deutsche Bank, deren Lobbyisten allerdings den Ton der Diskussion angeben.

Mythos 7: „Die Demokratie ist Volksherrschaft, sie alleine garantiert Freiheit der Meinungen und der Individuen“.
Das stimmt weitgehend für die vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. Genauso wie für die goldenen Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Was die Demokratie leisten kann oder nicht, das erweist sich aber erst in der existentiellen Krise.

In der Weimarer Republik hat man völlig versagt, und leider zeigt die aktuelle Entwicklung nicht wirklich in eine andere Richtung. Statt sich gegen die Verursacher der Krise zu richten, richten sich die Regierenden gegen den Souverän, gegen die elementaren Interessen der Mehrzahl des eigenen Volkes. Das tun sie zum guten Teil nicht aus Böswilligkeit, sondern aus schlichter Inkompetenz, vorgeführt an der Angelrute der Großindustrie und der Finanzbosse.

Demokratie, wie wir sie seit mehr als 60 Jahren in der BRD kennen und lieben, ist aus historischer Sicht jedoch nicht mehr als eine Randnotiz. Auch weltweit stellt sie nur eine Minderheit der Regierungsformen. Umso schwieriger ist die Bewahrung derselben.

Und der Begriff der Freiheit des Individuums und der Meinungen hat sich schleichend mehr und mehr zu einer Freiheit des Wirtschaftens verändert. Zu einer Freiheit durch, für und mit dem Geld. So etwa, nur zum Beispiel, am Problem der Musikpiraterie zu sehen. Da führt man, ausgehend von den USA, das, für die Freiheit wesentliche, Postgeheimnis in Email und Internet ad absurdum um auf Druck der Musiklobby den großen Vertreibern Einblick in Internetbewegungen zu verschaffen. Um damit Teenagern wegen ein paar läppischer MP3-Dateien Lebens ruinierende und absurd hohe Schadenersatzklagen an den dünnen Hals zu hängen. Statt zu sagen: „Liebe Musiklobby, die neuen Techniken sind erstmal Euer Problem. Ihr müsst halt eure Geschäftsmodelle wegen, und mit den neuen Techniken, an die moderne Zeit anpassen. Den heiligen Gral der Meinungsfreiheit werfen wir wegen überteuertem Trallala nicht so einfach über Bord.“

Es ist die erschreckende Erfahrung des neuen Jahrhunderts, wie sehr sich die parlamentarische Demokratie im Zweifelsfalle immer für das Kapital und gegen das Volk wendet. In den nächsten Jahren ist es entscheidend, ob wir wirklich über eine wehrhafte Demokratie verfügen oder ob wir uns wieder in den Untergang führen lassen.

Mythos 8: „Demokratie und Kapitalismus gehören zusammen“
Nun, das ist allerdings völliger Unfug. Sie haben soviel gemeinsam wie Pech und Schwefel, aber nicht wie Yin und Yang. Welche Wirtschaftsform eine Demokratie wählt, das hängt eigentlich nur vom Willen des Volkes ab. Vorteilhafterweise ist das nach allgemeiner Meinung die soziale Marktwirtschaft.

Was daher zusammen gehört, das ist Demokratie und soziale Marktwirtschaft. Ob man von letzterem noch reden kann, ist jetzt schon fraglich. Zunehmende Zeitarbeit statt Vollzeitstellen, 1-Euro-Jobs, Kündigungen wegen Lappalien bei den Kleinen Leuten und Groteske Boni und Abfindungen bei den Milliardenvernichtern, Aufweichung von Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung, Umwandlung der teuer vom Arbeitnehmer selbst bezahlten Arbeitslosenversicherung in eine Almosensteuer, Kürzungen der Sozialleistungen wie Hartz IV etc. pp. Gerade auch unter der SPD Schröders und der Grünen Partei wurden diese Dinge auf den Weg geschickt.

Bei den Grünen war das noch damit entschuldbar, dass sie ja nur für einen Haufen mehr oder weniger nützlicher Umweltgesetze angetreten war. Bei der SPD wurde es zu Recht als Verrat an der eigenen Wählerschaft gesehen. Dieser Vorgang ist besonders bezeichnend für das schleichend veränderte Demokratieverständnis diametral entgegen gesetzt den ursprünglichen Zielen der Grundgesetzväter.

Der Philosoph Matthias C. Müller wurde zum Zeitgeist durch den Focus interviewt: „..Man muss das im Kontext sehen. Wir leben in einer Epoche, in der die klassische Demokratie nach und nach fast unbemerkt zerstört wird. Durch den globalisierten Kapitalismus der Finanzmärkte, durch die Datenspeicherung und die nachwachsenden Generationen, denen es egal ist, dass ihre Daten gespeichert werden. Ich sehe darin eine Gefährdung unseres freiheitlichen Lebensstils. Darum brauchen wir mehr demokratisch aufgeklärte, engagierte Bürger... Warum lassen wir uns um den Globus hetzen und sehen die Welt vor lauter Bildschirmen nicht mehr? Warum dulden wir die Untertanenrolle im rasenden Kapitalismus? Diese Fragen sind existenziell.... Was mich an unserer Gegenwartskultur stört, ist der Zwang zur Perfektion und Höchstleistung. Es gibt diese unausgesprochene Aufforderung, interessant zu sein, ein imposantes Leben zu führen, viel von der Welt zu sehen, einen illustren Freundeskreis zu haben... Kaum ein Mensch fühlt sich nicht unter Druck gesetzt. Heute ist man ein Exot, wenn man in keinem Fitness-Studio eingeschrieben ist. Und wer nicht zum Yoga-Retreat auf eine thailändische Insel fliegt, steht fast schon unter Rechtfertigungszwang.... Im Grunde geht das fast in Richtung Faschismus – wenn ganze Bevölkerungsschichten in eine Denkweise hineinmanövriert werden, von der sie gar nicht mehr wissen, dass sie problematisch ist. Faschismus kommt von dem italienischen Wort „Fascio“ für Bündel – Fessel, wenn man so will. In einem übertragenen Sinne leben wir in einem faschistischen Zeitalter, das viele Menschen unglücklich macht....“

Mythos 9: „Subventionen sind schlecht, weil sie den Markt verzerren“
Nein. Die Aufgabe einer Subvention ist ja genau die Marktverzerrung. Sie soll den Begünstigten einen Vorteil verschaffen. So etwa um eine Krise zu meistern oder eine Anschubfinanzierung zu ermöglichen.

Schlecht sind sie deswegen, weil, wenn man sie einmal vergeben hat, sie kaum mehr zurück zu nehmen ist. Die allgegenwärtigen Lobbyverbände schmeißen sich da regelmäßig so ins Zeug, als drohe der unmittelbare Weltuntergang. Wenn dann doch mal eine Subvention gestrichen wurde, dann meist zum Preise einer ausgleichenden Subvention an anderer Stelle.

Ob unsere Demokratie noch funktioniert, wird sich auch am Schicksal der aktuellen Hoteliersubvention zeigen. Da hat man gegen läppische Wahlkampfhilfe 1,1 Milliarden jährlich(!) auf Kosten des Steuerbürgers verschachert. Bis 2014 also 5,5 Milliarden. Das hätte unbedingt auf den aktuellen Sparplan gehört, es wäre ein wesentlicher Beitrag gewesen. Aber auch die Zugabe der eigenen Korruptheit. Spannend und entlarvend also, wie man sich in der Sache zu Verhalten gedenkt.

Die dauerhafte Subvention der Ärmsten ist aber eine der Subventionen, die praktisch keinen Schaden anrichten. Denn da der Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose praktisch keine Sparquote hat und seltener Urlaub in Thailand macht, landet die Subvention praktisch vollständig wieder in der heimischen Wirtschaft. Sei es in der Kneipe oder auf dem Mietkonto der Mittelständler. Egal, sie sichert deutsche Arbeitsplätze wie die Kellnerin oder den Hausmeister. Und es reduziert Kriminalität, denn wer am Verhungern ist schert sich verständlicherweise nicht mehr um legal, illegal oder scheißegal. Genauso wie etliche Finanzjongleure, denen die Moral nicht aus Hunger, sondern aus Gier abhanden gekommen ist.


Mythos 10: „Nach jedem Abschwung kommt auch wieder ein Aufschwung“.

Das ist richtig, So wie es in der Nacht kalt und am Tage wärmer wird, so wie der Sommer heißer als der Winter ist. Und das regelmäßig, sofern nicht gerade Klimakatastrophe angesagt ist.

Wirklich interessant sind natürlich die mittel- und langfristigen Mittelwerte. Kurzzeitig schwankt die Konjunkturentwicklung um den längerfristigen Mittelwert. Die langfristige Tendenz geht aber nun ins negative, weil die private und öffentliche Schuldenlast über deren exponentiell angewachsene Renditeforderungen jedes noch mögliche Wachstum abschöpfen.

Ohne echte Vermögensreformen werden die kommenden Wirtschaftswinter immer kälter und die Wirtschaftssommer immer lauer, der Durchschnittswert sinkt ins Negative.

Dienstag, 1. Juni 2010

Weimar 2.0: Horst hat fertig


Da hat der Horst also den Koch gemacht. Alles hingeschmissen, einfach so. Ganze zwei Stunden vor der Presse informierte er BK Merkel. Man fragt sich warum? Oberflächlich war es die Kritik an seinen Äußerungen zu Bundeswehreinsätzen, die er in Afghanistan vom Stapel ließ. Da hatte er sich in der Tat ein wenig vergaloppiert: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."

Angeblich sei er missverstanden worden, ließ sein Pressebüro mitteilen. Dabei waren seine Aussagen weder missverständlich, noch grundsätzlich falsch. Er hat nur versehentlich ausgesprochen, was auch dem wahren Hintergrund der meisten Kriege entspricht. Denn natürlich zählt die Bewahrung von Handelswegen und der globalen Machtbalance zu den tatsächlichen Beweggründen für Kriege. Dazu zählt nicht nur ganz klar der Antipirateneinsatz zur Sicherung der Schifffahrtswege sondern auch der Afghanistaneinsatz. Eigentlich eine strategische US-amerikanische Angelegenheit, aus der sich die Bundeswehr als „Brother in Arms“ aber nicht ewig heraushalten konnte, Friedensmission hin, Kriegsbeteiligung her.

Die fällige Kritik mochte er dann nicht ertragen, der Würde seines Amtes wäre diese abträglich. Nun ist an der Kritik von Politikern nicht viel auszusetzen, aber das Amt des Bundespräsidenten hat faktisch kaum Möglichkeiten, die vorgebliche Macht eines formellen Staatsoberhauptes auszufüllen. Tatsächlich kann er nur schöne Reden halten, deren öffentliche und damit politische Wirkung in der Tat alleine von der Würde, und der Glaubwürdigkeit, des Amtsinhabers abhängt.

Und somit hat er mit seinem Schritt nicht ganz unrecht, obwohl die Art und Weise schon merkwürdig anmutet. Da reiht er sich ein unter Politgrößen wie Oskar Lafontaine oder Roland Koch, die den Krempel recht spontan hinwarfen, als sie keine praktische Möglichkeit mehr sahen, ihre politischen Vorstellungen in der aktuellen Konstellation umzusetzen.

Der spontane Schritt ist, genau wie bei Koch, natürlich auch der jeweiligen Verachtung der aktuellen Koalitionspolitik in Berlin gegenüber geschuldet. Insbesondere Köhler hatte nicht mehr die Lust den Grüß-Gott-August für die Chaostruppe unter Merkel und Westerwelle zu spielen, dessen einzige Aufgabe darin besteht Gesetze am Rande der Verfassungsmäßigkeit gleich reihenweise durch zu winken.

Nun geht das Personalkarussel wieder los. Nur 30 Tage bleiben für einen neuen Augustus. Vorschläge gab es am ersten Tag schon genug, warum eigentlich nicht Stefan Raab oder gleich Lena, die sich dann das Bundesverdienstkreuz für Oslo gleich selbst umhängen könnte. Zmindest hat nach Heinemann und Rau nun für wenige Tage mal wieder ein SPD Mann den Job inne, was ja nun sehr selten ist: Jens Böhrnsen, der ersatzweise wegen des Spontanverweigerers eingesprungen ist.

Selbstverständlich reklamiert die Berliner Chaosband das Recht auf Ihren Kandidaten, Umfragewerte hin und drohende Staatspleite her. Leider ist die Bundespräsidentenwahl nicht öffentlich, sondern wird lediglich unter den großen Fraktionen im Vorfeld ausbaldowert. Was dabei herauskommt, ist die nächsten Tage recht spannend. Einen guten und tragfähigen Vorschlag hat es immerhin schon gegeben: Ursula von der Leyen. Die ist zwar wie üblich auch nicht wirklich überparteilich, aber sie ist eine Multimutti mit Boden unter den Füßen, eine intelligente Frau und ein vorzeigbares Schmückstück auch im Ausland, und über die Parteien hinweg beliebt.

Durchaus eine Integrationsfigur mit großem Potential für Deutschland. Da will ich jetzt einfach mal die Däumchen drücken.