Donnerstag, 22. Juli 2010

Das Eiervirus, oder: Die Krise in einfachen Worten


Da kommt also Ihr Nachbar zu Ihnen, und möchte sich drei Eier leihen. Sie kennen ihn gut, also geben Sie ihm die Eier. Ihnen fehlen jetzt zwar die nächsten Tage drei Frühstückseier, aber für den freundlichen Herrn machen Sie das gerne. Der Nachbar wiederum denkt sich, ach wie praktisch, und kommt nun dauernd mit solchen Wünschen. Dann werden Sie irgendwann nicht mehr so freundlich sein, sondern fordern: Ich gebe Ihnen drei Eier, wenn Sie mir nächste Woche vier Eier dafür zurückgeben. Das vierte Ei ist der Lohn dafür, dass ich drei Tage auf mein Frühstücksei verzichten muss.

Nun, wie der Ökonom sagen würde, das vierte Ei ist der Zins dafür, dass sie vorübergehend Konsumverzicht zum Wohle eines Anderen leisten. Daran ist auch erstmal gar nichts auszusetzen, und die Menschen haben das im Prinzip schon immer so gemacht. Bleiben wir also mal bei unseren Eiern. Stellen Sie sich vor, sie sind Bewohner eines Dorfes. Sie tauschen also gegenseitig ihre Produkte, drei Eier für ein Brot, ein Brot für anderthalb Kannen Milch, 144 Brote für eine Ziege etc. pp. Außerdem verleihen Sie schon mal die Produkte ihrer Hühner, also so wie oben beschrieben etwa drei Eier, für die Sie dann aber später vier Eier, also verzinst, zurück bekommen.

Auch daran ist immer noch nichts auszusetzen. Allerdings ist so ein Handel etwas unbequem, so sind die Umrechnung von Eier in Brot und Brot in Ziegen usw. ziemlich kompliziert. Zudem hat nicht jeder Handelspartner dass, was sie wollen, oder er will nicht das haben, was sie geben können. Schlimmer noch, es kann sein das Ihr Handelspartner im Moment gar nichts hat. Er kann Ihnen lediglich glaubhaft versprechen, dass er ihnen irgendwann vier Eier gibt, etwa sobald seine Hühner wieder gesund und glücklich sind. Oder er verspricht Ihnen eine Dienstleistung, etwa Ihre Hütte demnächst wieder mal gründlich zu putzen.

Auch daran gibt es nicht viel zu rütteln, denn Sie handeln ja alle mit Dienstleistungen und Naturalien, die sich zwangsläufig mehr oder weniger schnell verbrauchen, und irgendwo gleichen sich die gegenseitigen Ansprüche im Laufe des Jahres wieder aus. Vor allen Dingen, niemand kann diese Güter horten, denn sie sind alle nur sehr begrenzt haltbar.

Aber halt! Eines der Dinge ist doch sehr haltbar, nämlich das Versprechen. Denn das ist Ehrensache und es verfällt normalerweise nie. Das gilt auch noch nächstes Jahr, wo all die aktuellen Eier und Brote längst verfault sind. Wenn Sie jetzt ein ganz schlauer Dorfbewohner sind, der in der Lage ist weit über den Tellerrand zu blicken, dann werden Sie solche Versprechen sammeln. Sie werden noch nicht einmal auf ihre unmittelbare Einlösung drängen, im Gegenteil.

Wenn ihr Nachbar, der ihre Hütte putzen wollte, nun Rückenschmerzen hat, dann werden sie ihm sagen: Na gut, dann werde erstmal wieder gesund, aber da ich solange warten muss, musst Du dann zweimal meine Hütte putzen. Ist Ihnen da etwas aufgefallen? Sie haben nämlich jetzt Anspruch auf acht Eier statt auf nur drei!

Und ihr Nachbar kann weder seine Eier noch seine Arbeitskraft horten, um Ihnen demnächst auf einen Schlag seine Schuld zu zahlen. Er muss im Gegenteil schon bald seine Arbeitsleistung, oder besser die Legeleistung seiner Hühner steigern, damit er bei gleich bleibendem Lebensstandard zurecht kommt. Oder er muss das Versprechen noch einmal, um den Preis eines neuerlich größeren Versprechens, verlängern. Dann gehören Ihnen schon 16 Eier!

Wenn Sie nun richtig schlau sind, machen sie das mit möglichst vielen Dorfbewohnern und sammeln soviel Versprechen wie möglich. Und damit die vielen Versprechen nicht vergessen werden, schreiben sie die alle auf ein Papier. Was die weniger schlauen Dorfbewohner zunächst gar nicht bemerken ist, dass Ihnen irgendwann der dauerhafte Anspruch auf die komplette Produktion des Dorfes zustehen wird.

Auf der nächsten Dorfversammlung werden Sie sich, von den ob Ihrer Großzügigkeit dankbaren Gemeindemitgliedern, selbstverständlich zum Bürgermeister wählen lassen. Denn längst sind Alle von Ihrem Wohlwollen abhängig geworden. Sie werden natürlich auch nicht so dumm sein, alle Versprechen gleichzeitig einzulösen, sondern immer nur soviel dass sie davon gut leben können, ohne noch ein Huhn hüten zu müssen. Und die restlichen Versprechen wachsen immer weiter, weil sie im Gegensatz zu den Produkten der Gemeinschaft nicht regelmäßig verfallen und die Schuldner ihre Produktion nur begrenzt steigern können.

Die gegenseitigen Versprechen der Dorfbewohner haben allerdings noch einen Nachteil, sie sind zwischen konkreten Personen geschlossen. Sie könnten sie natürlich weiter veräußern, so etwa wenn Sie vom Müller einen Sack Mehl haben wollen, geben sie ihm dafür das Versprechen ihres Nachbarn über vier Eier oder einen Hausputz. Das ist alles noch recht hinderlich, vielleicht will der Müller was ganz anderes als Eier oder eine saubere Bude. Als Bürgermeister sorgen sie daher erst einmal dafür, dass diese Schuldscheine anonymisiert werden, dass heißt Sie rechnen Eier, Brote, Milch, Ziegen, Arbeitsleistung usw. in eine gemeinsame Größe um und schreiben die auf das Papier.

Und als Bürgermeister sorgen Sie auch dafür, dass diese Papiere gesetzliches Zahlungsmittel werden und Sie garantieren mit den Muskel bepackten Dorfbütteln dafür, dass die Verpflichtungen daraus auch streng eingehalten werden.

Nun wird es für Sie Zeit, Nägel mit Köpfen ein zu schlagen. Was sie jetzt noch brauchen sind Banken. Denn was nützt es Ihnen, wenn die schönen Schuldscheine mit den versprochenen Zinsen nur so rum liegen und Sie auf deren Einlösung warten müssen. Die Banken sorgen nun dafür, dass diese Schuldscheine gehandelt werden. Denn der Hühnerzüchter, der um ein neues Huhn zu kaufen sich dieses mühsam von seinen Eierüberschüssen absparen müsste, dem können Sie die Scheine ja auch, gegen ein weiteres Zinsversprechen leihen, damit er sich damit gleich ein paar dutzend neue Hühner beschafft. Von deren frischen Eiern zahlt er nächstes Jahr locker die paar Zinsen.

Und, viel wichtiger, auch die von Anderen Schuldnern versprochenen Zinsen werfen jetzt ihrerseits wieder Zinsen ab. Und jetzt beginnt ihre Dorfwirtschaft so richtig zu brummen. Denn Sie und der Hühnerzüchter verdienen jetzt beide prächtig. Lediglich muss der Eierproduzent jetzt immer mehr Frühstückseierkonsumenten finden, um seine wachsenden Überschüsse zu konsumieren. Im Gegensatz zu Ihrer Schuldvermehrung auf dem Bankkonto hat das aber prinzipielle natürliche Grenzen, aber erstens merkt das lange Zeit noch keiner und Sie schert es sowieso nicht. Denn bis dahin sind sie schon längst unter der Erde.

So funktioniert das ganze erstmal umwerfend gut, denn Alle machen das Beispiel nach, die Produktmengen steigen und die Konsumquote Ihrer immer dicker werdenden Dorfbewohner, die als Hühnerhüter ja auch was abkriegen, steigt ebenfalls. Das einzige was noch viel schneller steigt, sind ihr Vermögen und ihre Popularität. Bald wird man ihnen Denkmäler in dem wachsenden Städtchen aufstellen und sie müssen bereits eine Stadtmauer drum herum ziehen, damit die neidischen Nachbarn ihr ehemals idyllisches Dörfchen nicht plündern.

Das alles kostet Geld, und dafür müssen Sie natürlich Steuern eintreiben und eine Staatsbank gründen. Jetzt schlagen Sie den letzten Nagel ein: Mit der Staatsbank übernehmen sie auch das Geldmonopol, indem sie freundlicherweise den ganzen Kladderadatsch vereinfachen: Statt das jeder seine Schuldscheine persönlich signiert, geben Sie jedes Jahr frisches Geld aus, und zwar immer etwas mehr, als die wachsende Wirtschaftskraft ihres Gemeinwesens eigentlich wert wäre.

Das können Sie machen, da sie das voraussehbare Wachstum des kommenden Jahres bereits „einpreisen“. Das wird man später den Schlagschatz nennen, und den können Sie sich erstmal selbst unter den Nagel reißen. Sollte die Wirtschaftsleistung doch einmal sinken, dann müssten Sie eigentlich Schuldscheine einstampfen, aber wo kämen wir denn da hin.

Die Ununterscheidbarkeit der einzelnen Schuldtitel durch das anonymisierte Geld hat zu dem den allgemein unterschätzten, aber entscheidenden, Vorteil, dass man Geld und Zinsgeld nicht mehr auseinander halten kann. Das bricht dem Zinseszinseffekt seinen ungehobelten Weg: So verdoppelt sich bei nur moderaten 7,2% Zins pro Jahr eine gegebene Summe in nur 10 Jahren, aus z.B. 10.000 Eiern werden dann 20.042. Ohne Zinseszinseffekt wären es dagegen „nur“ 17.200. Aber viel dramatischer ist das auf eine Generation von 35 Jahren gerechnet: Dann werden es schon 113.977 sein, ohne Zinseszinseffekt können Sie Ihren Kindern dagegen nur magere 35.200 Eierversprechen vererben.

Nach 70 Jahren sind es dann schon 1.299.077 statt nur 60.400 Versprechen. Die Dorfbevölkerung müsste dann für Ihre Enkel förmlich Eier „scheißen“, um das noch zu tilgen. Das müssen Sie aber nicht, denn es reicht Ihnen bzw. Ihren Enkeln völlig aus, wenn die nur ihre ganze Arbeitskraft aufbringen, um ihnen wenigstens die jährlich fälligen Zinsen zu überweisen. Aber auch das klappt nicht mehr allzu lange, denn nach einer weiteren Generation sind aus Ihren 10.000 Eiern bereits sagenhafte runde 15 Millionen Eier geworden.

Wenn das ihr Nachbar mit den drei Eiern gewusst hätte, er hätte auf das Frühstück verzichtet. So oder so, die Produktion ihrer Dorfbevölkerung kann mit diesen Steigerungsraten prinzipiell nicht mithalten. Das ist die schlechte Nachricht. Die Gute ist: Bis dahin haben alle Dorfbewohner längst vergessen, warum Sie so reich, und so schrecklich viele der Anderen so arm sind.

Nun, Sie ahnten es schon, so ein Verspechen auf Papier nennt man Geld. Und zwar richtiges FIAT-Money, wie der Ökonom sagt, Geld dessen Deckung alleine auf Schuld und staatlicher Garantie beruht. "This note is legal tender for all debts, public and private" steht daher deutlich auf jedem Dollarschein geschrieben: Diese Note ist legales Zahlungsmittel für alle öffentlichen und privaten Schulden. Inbesondere gilt eine komplette Gleichheit von Schulden auf der Einen, und Guthaben auf der anderen Seite.

Dies war nicht immer so, denn da die Menschen den eventuell hohlen Versprechungen ungern vertrauten, wollte man lieber einen echten Gegenwert sehen, also Kupfer, Silber und Goldmünzen, deren Metallwert der Höhe des Versprechens entsprach. Denn diese Metalle hatten und haben, aufgrund ihrer relativen Seltenheit und technischen Gebrauchsfähigkeit, einen realen Wert.

Solche Metallwährungen haben Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass wegen der Seltenheit der Metalle die Geldmenge nicht unbegrenzt wachsen kann. Der Nachteil ist, dass man praktisch neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein zweites Neben-BIP der Edelmetallwirtschaft braucht. Außerdem taugt solches Geld schlecht zum Bezahlen wertvoller Produkte, etwa eines Hauses.

So war zur Zeit des Augustus eine römische Sesterze eine Unze Kupfer, also rund 30 Gramm schwer. Dafür bekam man zwei Brote. Umgerechnet auf heutige Brot- und Hauspreise wären also gut fünf Tonnen Sesterzen für letzteres fällig. Mit Goldstücken, dem 8,2 Gramm schweren Aureus, wären es immer noch über 16 Kilogramm. Zudem kommt durch die nur begrenzt mögliche Ausdehnung der Edelmetallproduktion eine schnell wachsende Wirtschaft sehr bald in einen Geldmangel bzw. Deflation. Die Römer glichen dass durch immer schlechtere Geldqualität aus. Die schweren Sesterzen, die den Gegenwert von vier Assen hatten, verschwanden. Das römische Ass, von anfänglich rund 9 Gramm Gewicht und etwa 25 mm Durchmesser, wog am Ende des Reiches kaum ein Gramm und war klein wie ein Fingernagel.

Deswegen stieg man irgendwann auch offiziell auf Scheidemünzen und Papiergeld um. Der Wert wurde also zunehmend auf das, hoffentlich glaubwürdige, Versprechen des Staates reduziert, dass der Besitzer der Scheidemünze oder Geldnote auf Verlangen eine bestimmte Menge Gold oder Silber ausbezahlt bekäme.

Letzteres Versprechen warfen die Amerikaner 1971 endgültig über Bord, als von ausländischen Gläubigern tatsächlich große Goldmengen eingefordert wurden, die die USA in der geforderten Höhe gar nicht mehr hatte. Seitdem ist auch der Dollar reines FIAT-Money. Und damit sind der Geldhortung und Vermehrung keine prinzipiellen Grenzen mehr gesetzt, ganz im Gegenteil zum Bruttoinlandsprodukt. Denn letzteres lässt sich weder horten noch unbegrenzt erhöhen.

Und so war es auch immer dieser Effekt der Geldvermehrung, die alle großen Imperien in die Knie zwang. Denn diese prinzipielle Geldvermehrung auf Kosten des BIP hat langfristig verheerende Folgen: Erstens haben am Ende der Entwicklung, aufgrund des Garantieversprechens, nur mehr die Kapitalbesitzer das volle Anrecht auf das gesamte BIP der Schaffenden, und zudem akkumuliert das Vermögen zunehmend in die wenigen, und größten, Hände. Als das römische Reich im vierten Jahrhundert zerbrach, war es immer noch konkurrenzlos reich und mit Abstand technologisch führend, seine Armee die best ausgebildete überhaupt. Nur war keiner mehr da, der den staatlichen Apparat, allem voran das Militär, noch bezahlen konnte.

Denn die Superreichen wollten es nicht, und die römische Bevölkerung konnte es nicht. Die anfängliche Truppenstärke der Legionen von 6000 Mann viel gegen Ende des Reiches auf nur 1000 Mann, wobei die meisten zudem Fremdenlegionäre, meist Germanen, waren. Denn insbesondere die Oberschicht, die traditionell die Offiziere stellte, waren nicht bereit ihre verwöhnten Söhne in den gefährlichen Job ziehen zu lassen, sondern kauften sich von allen Verpflichtungen frei. Die dekadente Oberschicht war so reich, dass man selbst Bill Gates höchstens durch den Dienstboteneingang ins Haus gelassen hätte. Viele Landgüter waren da schon so riesig, dass sie typischer Weise die Größe des Saarlandes hatten, ganz Nordafrika gehörte endlich nur noch sechs Familien.

Auf den Feldern schufteten ausländische Sklaven, die billiger kamen und anspruchslos sein mussten. Schließlich kollabierte das BIP, das Scheidegeld wurde nicht mehr angenommen und machte wieder der alten Naturalwirtschaft Platz. Das Reich war endlich militärisch wehrlos geworden und wurde nun von den "Barbaren" der Völkerwanderung okkupiert.

Die waren eigentlich gekommen, in der Hoffnung sich in einem Land, wo Milch und Honig fließen, laben zu können. Und nicht um es zu zerstören. Da dort aber nichts mehr funktionierte, konnte man es nur noch plündern. Dabei waren die Grundprinzipien der Vermögensakkumulation und deren verheerenden Folgen für das Gemeinwesen schon lange vorher römischen Denkern und auch Politikern aufgefallen.

So schon den Gracchus Brüdern Tiberius und Gaius, die den Untergang des römischen Republik durch eine Vermögensreform abwenden wollten. Tiberius wurde deswegen 131 v.Chr, und sein jüngerer Bruder 10 Jahre später, durch die Nobilität ermordet. Die Kennedy-Brüder lassen grüßen. Das Ergebnis war ein fürchterlicher, mehr als 100-jähriger Bürgerkrieg der erst 27 v.Chr. durch die Kaiserwürde des Augustus in ein neues reformiertes Zeitalter mündete. Um dann nach gut 200 Jahren wieder etwa am selben Punkt anzukommen.

Dieses Schema lässt sich ohne große Mühe durch alle Jahrhunderte weiterverfolgen, das spanische, französische und das britische Imperium, sie alle starben am selben Virus, der historisch meist von scheinbar vordergründigen militärischen Niederlagen übertüncht wird.

Selbst der Untergang des Ostblocks vor 20 Jahren ist weniger auf Freiheitswillen der Bevölkerung denn auf finanzieller Auszehrung durch überbordende Schulden, vor allen Dingen außenwirtschaftlich, zurück zu führen, die durch das eigene schwache BIP nicht mehr aus zu gleichen waren. Und es ist der Virus, dem auch die Supermacht USA in absehbarer Zeit zum Opfer fallen wird.

Das ganze hat nun aber noch ein ökonomisches „Geschmäkle“: Obwohl diese Zusammenhänge, dem Grunde nach, schon lange bekannt sind, werden sie von der Standardökonomie völlig ignoriert. In den üblichen Lehrbüchern der Ökonomie stellt das Kapital immer nur eine externe Größe dar, aus der man halt Kredite zur Investition heranziehen kann. Eine fundamentale Wechselwirkung, am Anfang gewollt und positiv, die aber am Ende der Entwicklungszeit in eine drastisch negative Abwärtsspirale mündet, das wird schlicht negiert. Natürlich gibt es immer wieder Ökonomen, die diese fundamentalen Zusammenhänge anmahnen, jedoch finden diese kaum Gehör.

Das ist dem Umstand zu verdanken, dass nach den regelmäßigen Finanzkatastrophen, wie in den 1920er-Jahren der Weimarer-Republik, die Menschen erstmal mit dem nackten Überleben und danach mit dem Aufräumen und Neustart beschäftigt sind. Und beim Neustart einer Volkswirtschaft, wie 1948 nach der Währungsreform, läuft das Wirtschaftswunder so locker, gerade auch Dank einer soliden Kreditwirtschaft, dass sich niemand gerne mit den Gefahren beschäftigen möchte, die typischerweise zwei oder drei Generationen später aufkommen werden. Gerade auch weil das Kreditgeschäft am Anfang einer Volkswirtschaft für alle Parteien ein segenreiches Geschäft darstellt. Denn eine Wirtschaft, die nur gestützt auf eigene, in der Regel geringe, Überschussreserven investiert, wächst nur sehr langsam oder stagniert sogar auf geringem Niveau.

Der negative Effekt der überproportionalen Vermögensakkumulation tritt dagegen erst sehr viel später in Erscheinung und wird zudem statistisch durch kurzfristige volkswirtschaftliche Schwankungen nach oben und unten leicht unkenntlich gemacht. Zudem ist jede Kritik am Geldsystem ideologisch verbaut, spätestens seit der Philosoph und Vater der Kommunistischen Idee Karl Marx sein Werk „Das Kapital“ verfasste.

Jeder Ökonom oder gar Politiker, der an den üblichen Regeln der Finanzwelt eine Fundamentalkritik äußert, sieht sich, geradezu reflexartig, von allen Seiten dem allfälligen Vorwurf des gleichmachenden Sozialismus und Kommunismus, oder subtiler dem Vorwurf des Neidpolitikers, ausgesetzt. „...In den letzten sieben Jahren kam es durchschnittlich jedes Jahr zu einer internationalen Währungskrise. Wer profitiert von solchen Krisen? Nicht der Arbeiter, nicht der Kapitalanleger, nicht die wahren Produzenten von Vermögenswerten. Die Gewinner sind die internationalen Geldspekulanten. Weil sie von Krisen leben, helfen sie mit, Krisen zu schaffen. ...Die Stärke der Währung einer Nation beruht auf die Stärke ihrer Wirtschaft....Diese Maßnahme wird uns keine Freunde unter den internationalen Geldhändlern einbringen, aber unsere Sorge gilt in erster Linie den .. Arbeitern und einem fairen Wettbewerb überall auf der Welt. ...Ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, dass der .. nie wieder ein Spielball in den Händen der internationalen Spekulanten sein wird.“

Nun, wer wohl sprach diese Worte? Nein, es war nicht Marx oder sein
Landsmann Erich Honecker, es war in der Tat der erzkonservative Richard Nixon, als er im August 1971 in einer Fernsehansprache die Einlösepflicht der Golddeckung des Dollars aufkündigte.

Der langfristige Trend bis zum Abgleiten in ein Finanzdesaster ist aber immer der gleiche. Die Dauer solcher volkswirtschaftlichen Lebensphasen lässt sich zudem gut abschätzen. Sie hängt mathematisch etwas komplexer und empfindlich von der volkswirtschaftlichen Sparquote ps und der effektiver Verzinsung pv der Vermögen ab. Als grobe Faustformel für die kritische Zeit, in der eine Volkswirtschaft in Schwierigkeiten gerät, gilt Tc≈3/pv . Für Deutschland betrug die durchschnittliche effektive Verzinsung seit 1948 etwa 4,7%, also Tc≈3/0,047=64 Jahre.

Womit wir ungefähr in das Jahr 2012 als kritisches Datum gelangen. Wir befinden uns also nunmehr wieder in einer kritischen Zeit einer Volkswirtschaft mit positiver effektiver Verzinsung, die in jedem Jahrhundert mit schöner Regelmäßigkeit auftritt.

Freitag, 9. Juli 2010

Ackermann-Knick und Wirtschaftsmikado: Ein Blick auf die aktuellen Zahlen


Es sind wieder ein paar Monate ins Land gegangen, und somit Zeit und Möglichkeit die Entwicklung der Volkswirtschaft anhand der offiziellen Statistiken zu beobachten.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei natürlich die Entwicklung des Aktiva/BIP-Verhältnisses. Dazu ziehen wir wieder die Zahlen der Bundesbank heran, die zur Zeit bis zum Mai 2010 reichen und betrachten die erste Graphik. Hier die Zahlen seit 1950 bis zum Mai 2010, in Milliarden Euro, wie sie die Bundesbank als Summe aller Finanzinstitute für Deutschland ausweist. Die eklatante Steigung ist unverkennbar, insbesondere wenn man bedenkt, dass das BIP 2009 gerade einmal gut 2400 Mill. Euro aufweist.

Die gleichmäßig exponentielle Steigung, die auf Grund der Zinseszinsdynamik der Vermögen nicht anders zu erwarten ist, weist auf den ersten Blick drei Unregelmäßigkeiten auf: a) Um 1990 ein heftiger Sprung nach oben, der durch die Hinzunahme der DDR entstanden ist. Viel neues Geld für wenig BIP. b)Um 2000 der DotCom-Einbruch. Zwar steigen die Aktiva (=Passiva=Vermögen) weiter an, aber der Dämpfer ist deutlich erkennbar. c) der Dritte Knick 2008 ist allerdings anders: er weist erstmalig deutlich nach unten, um rund 5% übrigens. Dieser kam nach der Lehmannpleite.


Der letzte Knick stimmte erstmal hoffnungsvoll, denn wenn die Vermögen zurück gehen, dann bestünde auch eine Chance das neuralgische Aktiva zu BIP Verhältnis zu verbessern. Dazu betrachten wir die letzte Entwicklung von 1991 bis 2010 genauer in der nächsten Graphik.


Da der Einbruch der Aktiva (das sind die Werte der Assets, Kredite etc. pp.) mit einem Einbruch des BIP um ebenfalls etwa 5% in 2009 einherging, hat sich an dem Aktiva/BIP-Verhältnis von mehr als 3 kaum etwas getan, hier ist keine Verbesserung zu erkennen. Bemerkenswert auch der gut erkennbare Anstieg des Aktiva/BIP-Verhältnis von noch erträglichen 2 auf nicht mehr schmerzfrei verkraftbaren 3 und mehr. Dieser Ansteig fällt genau mit der Freigabe des Investmentbankings für Geschäftsbanken durch die USA in den 90er-Jahren zusammen.

Allerdings muss man sich fragen, wo die fast 600 Mrd. Euro geblieben sind. Lehman Brothers verursachte lediglich einen Gesamtschaden von 50 bis 75 Milliarden Dollar, daran kann es nicht hängen. Das lässt sich aus den Zahlen der Bundesbank leider nicht direkt heraus lesen. Die Gesamtzahl der Aktiva (=Anlagen, Assets, Kredite usw.) ist zwar immer mit den Passiva (=Einlagen, Vermögen) ausgeglichen.

Unklar ist die Außenhandelsbilanz der Kreditwirtschaft, auf die nicht so mit Argusaugen geschaut wird, wie auf die Außenhandelsbilanz der Realwirtschaft. Unklar auch, wie eine Bank überhaupt Geld weg bekommt, denn selbst wenn man lausige Assets verkauft, man bekommt ja frisches Geld oder andere Assets im Tausch dafür. Geld wird, außer beim Pleitegehen von Anleihebegebern, nie vernichtet sondern wandert lediglich in andere Hände. Wo also blieb die erkleckliche Summe?

Bei der Suche nach der Kohle wird man, wen wundert's, bei einer der größten Investmentbanken der Welt, der Deutschen Bank fündig. In deren Geschäftsbericht finden wir die verlorenen Milliarden. Denn die Ackermann-Bank verringerte Ihre Bilanzsumme in 2009 um mehr als 700 Mrd. Euro, nämlich von 2202 auf 1501 Mrd. Euro.

Geht man in die einzelnen Positionen, so sehen wir auch, wo der Unterschied entstanden ist. Er entstand aus der Aktiva Position „Zum Fair-Value bewertete finanzielle Vermögenswerte“, wobei der Löwenanteil der Unterpunkt „Positive Marktwerte aus derivativen Finanzinstrumenten“ ist. Allein dieser Punkt macht ein Minus von 630 Mrd. Euro aus. In der ausgeglichenen Bilanz findet sich der Punkt in den Passiva (=Einlagen) unter „Negative Marktwerte aus derivativen Finanzinstrumenten“, und die Fair-Value Summe entsprechend unter „Zum Fair-Value bewertete finanzielle Verpflichtungen“, die von 1334 auf gute 722 Mrd. Euro ( -612 Milliarden Euro) zurück gingen.

Den deutlichen Knick in der Gesamtdeutschen Bilanz verdanken wir also nur einer einzigen, aber der mit Abstand größten Investmentbank unter Leitung von Hr. Ackermann. Deswegen dürfen wir den Bilanzeinbruch ruhig „Ackermann-Knick“ taufen. Leider geht aus der Bilanz nicht hervor, wer der Leidtragende der verringerten „finanziellen Verpflichtungen“ der Deutschen Bank ist.

Dazu zunächst einmal die folgenden Graphiken:


In obigem Ausschnitt sehen wir den Effekt, den Josef Ackermann auf die Bilanz der DB hatte. Vor bzw. seit seinem Antritt in 2002 dümpelte die DB so vor sich hin, mit einer Bilanzsumme von weniger als 1000 Mrd. Euro, immerhin schon rund die Hälfte des damaligen deutschen BIP’s. Als Ackermann dann 2006 zum Chef erkoren wurde, ging die Post erst so richtig ab. Mit Hilfe des Investmentbankings katapultierte er bis 2008 die Bilanzsumme auf sagenhafte 2202 Mrd. Euro, was fast dem gesamten deutschen BIP entsprach. Und das alleine in einer einzigen Bank vereint, kein Wunder also wenn Merkel den Acki zum Geburtstagskaffee einlädt, denn man befindet sich ja auf „Augenhöhe“.


Mit dem Lehman Crash änderte sich die Situation. Denn jetzt kamen die Finanzderivate, mit denen Ackermann dass gigantische Volumen aufgebaut hatte, in Verruf. Man muß sich allerdings fragen, ob es sich hier um Verluste oder reine Luftbuchungen handelt. Denn das ausgewiesene Eigenkapital ist für 2008 knapp 32 Mrd. € (=1,5% der Bilanzsumme) und für 2009 knapp 38 Mrd. € (=2,5% der Bilanzsumme). Hier also gar kein Verlust, sondern sogar ein Gewinn von rund 6 Mrd. oder rund 19%. Eine Rendite, mit der Ackermann zuletzt gut prahlen konnte. Wenn man bedenkt, wie winzig das Eigenkapital im Verhältnis zur Gesamtbilanz immer noch ist, muss einem aber böses schwanen.

Interessant ist auch der Posten „Forderungen aus dem Kreditgeschäft“ unter Aktiva. Das ist nämlich genau das klassische Geschäftsbanken Geschäft mit der Realwirtschaft. Dieser Posten betrug in 2008 gut 269 Mrd.€ und in 2009 nur noch gute 258 Mrd.€. Einerseits sieht man daran, dass das klassische Geschäft in 2008 nur 12,2 % und in 2009 leicht verbessert nur 17,2 % ausmachte. Weit mehr als 80 % der Geschäftstätigkeit ist also das Investment, oder besser gesagt, das Aufblasen von Bilanzen ohne realen Hintergrund. Andererseits sieht man auch daran, wie wenig eigentlich die Realwirtschaft vom riesigen Geldkuchen benötigt und warum die Banken so sehr auf Derivatehandel angewiesen sind.

Der fragliche Posten ist nun nach der Fair-Value-Methode bewertete Finanzderivate. „Fair-Value“, also fairer Wert, ist eine neuere Bilanzierungsmethode, um den Banken die Möglichkeit zu geben, Werte, für die es aktuell gar keinen Markt mehr gibt, noch mit einem positiven Wert zu bilanzieren, statt sie ganz abschreiben zu müssen.

Interessant zu wissen wäre es jetzt natürlich, wie sich der Passiva-Posten genau zusammen setzt, also wer die fraglichen Papiere mit seinen Einlagen hält. Das geht aus der Bilanz natürlich nicht hervor sondern ist das Geschäftsgeheimnis der DB. Im idealen Fall wäre es eine reine Luftbuchung. Also etwa Ackermann kauft in 2006, sagen wir, Derivat-Papiere zum Preis 100. Die steigen in der Hausse bis 2008 auf 500 und werden nach Marktpreis bilanziert und ermöglichen den Aufstieg. Nach 2008 werden sie eigentlich wertfrei, werden aber zum Fair-Value mit 200 bilanziert. Das wäre dann immer noch ein Gewinn, aber da nie realisiert eine Luftbuchung ohne das je ein Euro mehr geflossen wäre, als die ursprünglichen 100.

Wahrscheinlicher jedoch ist, dass sich auf der Passiva Seite eine Unzahl von Banken und Personen aus Europa und der ganzen Welt tummeln, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten und Preisen dort eingestiegen sind. Wenig wundern würde mich, wenn dazu auch die von uns so geliebten, staatlich gestützten und depperten Landesbanken der Bundesländer gehören. Deren Bilanzen geraten dann unter den entsprechenden Bilanzierungsdruck in Stress, für den im Zweifelsfall natürlich wieder der deutsche Michel einstehen soll. Jedenfalls zeigen die Zahlen, wie fragil und Investment abhängig die deutsche Finanzwirtschaft, allen voran die Deutsche Bank, ist.


Der Stress lässt sich wiederum gut an den Änderungsraten dA/dt der Aktiva ablesen. Die Änderungsrate ist im Prinzip die effektive Verzinsung der Aktiva, sofern der finanztechnische Netto-Außenhandelsbeitrag nahe bei Null ist. Es sind genau diese Renditen die für die effektive Belastung des BIP’s sorgen und den Arbeitern und Angestellten der Realwirtschaft das Geld aus der Tasche saugen. Der Effekt ist dann, dass trotz Gewinn- und Produktionssteigerungen aller Orten der inflationsbereinigte Nettobetrag des verfügbaren Einkommens der Bevölkerung, im Schnitt, nachlässt.

Da die Gesamtaktiva/passiva A exponentiell wachsen, muss aus (finanz-)mathematischen Gründen auch deren Änderung dA/dt exponentiell wachsen, um die Renditeforderungen zu erfüllen. Nun sehen wir in den tatsächlichen Zahlen ein paar Buckel und Täler. Die Buckel erfreuen den Kapitalverwalter, die Täler erzeugen Stress. Die erste nichtmarginale Abweichung vom exponentiellen Trend seit 1950 sehen wir in dem kräftigen Buckel von 1990. Dieser resultiert aus der Übernahme der DDR und des nahezu 1:1 Umtausches der Ost-Mark in D-Mark. Das Geld hat sich die Finanzwirtschaft in die Tasche gesteckt, im BIP gibt es keinen solchen kräftigen Buckel! Im Gegenteil, an diesem Buckel zahlt der kleine Mann bis heute ab, ohne Aussicht auf ein Ende.

Nach der Wende folgte Kohl’s zweiter genialer Finanzcoup, die Einführung des Euros. Seit 1994 bestand das Europäische Währungsinstitut, ab 1999 war der Euro die verbindliche Buchungswährung. Die bereits angehäuften Unmengen von Geld trafen auf den startenden Internetboom, in denen Garagenfirmen schnell zu Milliardenunternehmen und viele genauso schnell wieder abstürzten. Zum erstenmal war der Bogen total überspannt, es kam zur DotCom-Krise der Jahrtausendwende. Nach nur zwei Jahren Abstieg folgte aber sogleich der nächste exponentielle Aufstieg, um in 2008 mit der Lehmannpleite erneut abzustürzen, und seit 2009 beginnt schon wieder der nächste exponentielle Anstieg.

Dies sieht man besonders schön, wenn wir die Anstiege, nach der DDR-Blase, einfach einmal aneinander reihen, unter Auslassung der beiden Abstürze:


Wir sehen dann den exponentiellen Anstieg, wie ihn die Finanzindustrie dringend bräuchte um zufrieden zu sein, was das stagnierende BIP aber unmöglich je noch hergeben kann.

Der Absturz in 2009 ergab zum ersten mal eine negative Differenz zum Vorjahr. Wir sehen daran, wie sich in kürzer werdenden Abständen immer neue Blasen aufstauen, die zu immer tieferen Abstürzen führen. Es ist der seit 2000 wirksame Verteilungskampf zwischen Vermögen und BIP. Warum es vor allen Dingen ein Verteilungskampf ist, sehen wir auch in der nächsten Graphik:


Zum Vergleich sind hier die offiziellen Zahlen der Aktiva- und der BIP-Entwicklung seit 1991, sowie deren Ausgleichsgeraden auf Monatsbasis, aufgetragen. Im Durchschnitt der letzten zwei Jahrzehnte stiegen die Vermögen im Monat um 24,82 Mrd. und das BIP um durchschnittlich 4,1 Mrd. Euro. Das heißt, pro 1 Euro zusätzlicher Produkte wurden durchschnittlich 6 Euro Vermögen geschaffen.

Es besteht daher eine zunehmende Deckungslücke von wenigstens 5 Euro pro Euro Wachstum. Und jeder zuviel gedruckte Euro stellt einen weiteren realen Anspruch gegen das hoffnungslos unterlegene BIP dar! Bei dieser massiven Waffenungleichheit hat der Schaffende und seine Volksvertreter kaum eine Chance auf den Sieg im Verteilungskampf.

Im Gegenteil, aus Volksvertretern sind längst Kapitalvertreter geworden. So bestehen die aktuellen Sparbeschlüsse in keinem Punkt aus der Belastung der Vermögen, die genau diese Deckungslücke verursachen. Ganz kontrovers dazu werden die abhängig Beschäftigten, egal ob 1-Euro-Jobber oder Spitzenverdiener, weiter massiv und zusätzlich belastet.

Von den Kapitalvertretern wird in diesem grausamen Krieg nur eines vergessen: Man sägt mit der jetzigen Finanzpolitik genau den Ast ab, auf dem man sitzt. Nicht nur das Kapital in letzter Konsequenz allein durch die Schaffenden der Realwirtschaft in aller Welt erzeugt wird, es wird auch allein durch deren Schaffen garantiert und erhalten. Mit dem fleißig gedruckten und zur Verfügung gestellten Geld bläst man nur kurzfristige Blasen auf und mit der Kostenfinanzierung durch die kleinen Leute ruiniert man zuerst den Durchschnittsbürger, dann die Wirtschaft und schließlich im finalen Kollaps die Währungen. Und damit genau die Vermögen, die man zur Zeit um jeden Preis schützen will.

So kommen wir schließlich auf die Beobachtung des Goldpreises zurück. Denn mangels einer Krisen freien westlichen Währung, gibt nur dieser als externer Währungsstandard ein einigermaßen zuverlässiges Bild des Zustandes des Geldes wieder:


Zunächst mal die unbereinigten Zahlen seit 2000. Der Anstieg des Goldpreise in Dollar, Pfund und Euro setzt sich weiterhin fort. Seit einigen Tagen hat er allerdings einen leichten Knick nach unten erfahren, der sich aufgrund der schwankenden Dollar/Euro-Relation vor allen Dingen in Euro gerechnet deutlich zeiogte: So fiel der Preis in wenigen Tagen von rund 1050 auf 950 Euro pro Unze, während in Dollar gerechnet der Preis weiterhin um 1200 Dollar verharrte.


Realistischer ist der gemittelte, normierte und geglättete (5-Monatsmittel) Wert des Goldes. Hier sehen wir einen unverminderten Anstieg und eine mehr als Vervierfachung des Wertes in nur zehn Jahren. Ob der leichte Einbruch der letzten Tage statistisch relevant ist, muss sich erst noch in den nächsten Wochen zeigen. Vermutlich liegt es daran, dass die gestressten Banken und Anleger zur Abwendung von Pleiten zur Zeit einiges von ihren eisernen Reserven locker machen müssen. Aber immerhin war der Anstieg der seit Jahresbeginn nicht ganz so darstisch, wie man erwarten durfte. Das dürfte als Zeichen zu deuten sein, dass die gigantischen Rettungsprogramme, insbesondere die 750 Milliarden für den Euro, vorläufig noch Wirkung zeigen.


Zum Schluss noch ein Blick auf die gemittelten Werte der drei Währungen: Hier sieht man die deutlichen Unterschiede zwischen Euro und Dollar und Pfund. Letztere leiden nämlich viel stärker unter realer Inflationstendenz. Insbesondere das hoffnungslose Pfund und auch der US-Dollar, dessen Wirtschaftsdaten um keinen Deut besser lauten als die der Griechen. Nur mit dem Unterschied, dass vom Greenback die ganze Welt abhängt und ihn so lange stützt wie nur irgend möglich.

Die nächsten Blasen lauern aber nun in den Startlöchern. Sei es die chinesischen Immobilien oder die amerikanischen, insbesondere die ab 2011 fällig werdenden notleidenden Kredite für Gewerbeimmobilien, die die Subprimekrise im Volumen weit übertreffen werden. Sei es die anstehenden Refinanzierungen von Krisenstaaten, Hedgefonds, Großindustrien und Banken weltweit, die Nullzinsfalle der Zentralbanken oder die Eigenankäufe von Anleihen, es liegen scharfe Minen allenthalben herum.

Wo es zuerst kracht? Schwer zu sagen, es ist wie beim Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Taktisches Unentschieden im Berliner-Polit-Sudoku

Fast so spannend wie ein Fußballspiel in der WM Vorrunde gestaltete sich die gestrige Bundespräsidentenwahl. Der letztlich Ausgang war, bei einer klaren Mehrheit von 644 (notwendig: 623) Stimmen der Regierung, zwar nicht anders zu erwarten. Aber wie es zustande kam ist durchaus ein Lehrstück deutscher Demokratie. Einerseits, weil immerhin wenigstens 19 Abweichler bis zum taktischen Schluss durchhielten, zweitens ist es auch ein Lehrstück der Spieltheorie.

Nun, es gab vier Kandidaten, wobei der Vierte niemanden so recht auffallen wollte. Die Gamer in diesem Politsudoku hatten vorab aber die folgenden Ziele:

(A) Regierung (CDU/CSU/FDP) Ziel: Wulff durchsetzen
(B) Abweichler (CDU/CSU/FDP) Ziel: Merkel und Westerwelle ans Bein pinkeln
(C) Opposition (SPD/Grüne) Ziel: Berliner "Gurkentruppe" ordentlich aufmischen
(D) Fundamentalopposition (Linke) Ziel: Die Unbeugsamen Spielverderber
((E) Der Vollständigkeit halber: Die Ultrarechte (NPD) hatte auch ein Ziel: Wenigstens auffallen)


Nun, wie verhält man sich in so einem Spiel mit Zahlen?
Erstens ist klar, wenn man den bereits ausgekasperten Kandidaten, und damit letztlich auch die Regierung, zu Fall bringen will, dann muss man immerhin wenigstens 22 Regierungsanhänger, die unter Fraktionszwang stehen, über bis zu 3 Wahlgänge auf seine Seite ziehen. Das klingt weit einfacher als es ist, realistisch konnte man davon nicht ausgehen.

Realistisch war nur die Hoffnung, wenigstens den reibungslosen Durchmarsch Wulffs und Merkels in der ersten Runde zu verhindern. Genau an diesem Punkt konnte man von der Einigkeit der Gruppen B,C,D ausgehen. Eine entscheidende Rolle spielte nun der Wahlalgorithmus: In den ersten beiden Wahlgängen ist eine absolute Mehrheit, also 623 Stimmen notwendig, im letzen 3.Wahlgang dagegen reichte die relative Mehrheit der Stimmen. Zu dem ist die Wahl geheim, also verdeckt gewesen.

Und nun wird’s spannend: Vor der ersten Abstimmung wusste also keiner der Stimmberechtigten genau, wie sich die Anderen, ja selbst der Fraktionsnachbar, verhalten würde. Ein Paradies für Taktierer wie beim Skat, Poker oder Doppelkopf.

Erster Wahlgang: Es war wegen der kaum anzweifelbaren Aussage der Linken, für ihre eigene Kandidatin zu stimmen, völlig unrealistisch das Gauck in der ersten Runde eine absolute Mehrheit bekommen könnte. Dafür hätten schon rund 200 der Gruppe A zu B überlaufen müssen. Selbst wenn die 644 Regierungsanhänger sich alle enthalten hätten, somit Wulff keine einzige Stimme bekommen hätte, es hätte für Gauck keinesfalls gereicht, da es wegen der Linken für ihn praktisch unmöglich war auf 623 Stimmen zu kommen.

Ergo konnte die Gruppe B also in die Vollen gehen, und zwar ohne realistisches Risiko. Folglich vielen 44 von Merkels Linie ab, Wulff erhielt nur lausige 600 Stimmen. Ein klarer Tritt zwischen die dicken Zehen für Merkel und Westerwelle.

Zweiter Wahlgang: Nun waren die Verhältnisse aber geklärt. Während die Gruppen A,C,D dieses Ergebnis dem Grunde nach erwarten durften, muss Gruppe B aber das Blut in den Adern geronnen sein. Denn 44 Abweichler, das war schon heftig. Klar war: Hätte die Gruppe D Foul gespielt, also ihre Ankündigung die eigene Kandidatin zu wählen nicht eingehalten, und gleich für Gauck gestimmt, dann wäre dieser in der ersten Runde mit absoluter Mehrheit durch gewesen. Da hätte nicht nur Wulff sondern gleich die ganze Regierung, und damit ein Teil der Abweichler selbst, die Koffer packen können.

Nun gab es in der Pause offensichtlich Gespräche zwischen den Gruppen C und D. Zwar erklärte Gysi danach glaubhaft, dass die Linke weiter bei ihrer Kandidatin bleiben würde. Völlig auszuschließen war für B aber nicht, dass D nicht doch Foul spielen könnte und einen großen Coup der Opposition unterstützen würde. Die Wahrscheinlichkeit war gering, aber nicht unmöglich. Ergo vielen hier bereits 15 der 44 Abweichler (=34%) um, und votierten zur Sicherheit für Wulff.

Ergo erhielt letzterer bereits 615 Stimmen, immer noch 8 Stimmen zu wenig und alle Gruppen A,B,C,D hatten ein weiteres mal ihre dringendsten Ziele erreicht. Allerdings war hier die einzige realistische Chance für Gauck vertan, denn nur, und zwar nur, wenn Gysi hier brutal gegrätscht hätte, wäre die Wahl Gaucks möglich gewesen. Das aber hätte der Linken ihre Glaubwürdigkeit und Standfestigkeit beraubt.



Dritter Wahlgang:
Jetzt war rein theoretisch die Wahl offen, denn Gysi nahm seine Kandidatin aus dem Rennen. Allerdings kündigte er Stimmenthaltung an, gab aber ansonsten seinen Leuten die freie Wahl. Auch wenn kaum zu erwarten war, dass eine Mehrheit der Linken nun Gauck wählen würde, und auch dass die anfänglichen 600 Stimmen für Wulff schon reichen würden, so wäre es doch nun zu riskant gewesen, sich weiterhin auf die Linke zu verlassen. Also fielen nun weitere 10 der Gruppe B um, und der vorbestimmte Kandidat der Regierung erhielt nun mit 625 Stimmen sogar die absolute Mehrheit, die er nun sogar nicht mehr benötigte. Zuletzt waren also 57% der Abweichler wieder Heim zu Muttern gekehrt, wie auch nicht anders zu erwarten war.

„Vierter Wahlgang“: Der war nun nicht mehr notwenig, aber er besteht im medialen Nachkarten der Gruppen unter einander. Das wird noch einige Tage anhalten, bis über den Tag hinaus, wo dann der neue Volksvorstand der Nation, ohne direkte Machtoptionen, im Amt ist.

Da sind vorweg natürlich die Linken, denen man nun die „Schuld“ an der Niederlage Gaucks anheften möchte. Diese hätten ja nun bewiesen, dass sie „nicht Politik fähig“ wären. Nun, wenn man Politikfähigkeit im geschickten Rochieren von Stimmen und Personen zum Zwecke eines Regierungssturzes definiert, dann kann das schon stimmen. Wenn man unter Politikfähigkeit dagegen die Nibelungentreue zu seinen Vorstellungen und Kandidaten sieht, wohl nicht. In diesem Punkt hat sich die Linke schließlich nicht anders verhalten als die Regierungskoalition.

Zudem muss man sich klarmachen: Hätte die Gruppe D von Anfang an mit Gruppe C gehalten und einen gemeinsamen Kandidaten Gauck auf gestellt, dann wären die Abweichler B deutlich vorsichtiger gewesen. Vermutlich hätte es dann sogar bereits im ersten Wahlgang für Wulff gereicht und alleine Gruppe A hätte einen glänzenden Sieg eingefahren, während die Gruppen B,C,D gelackmeiert gewesen wären. Nun haben aber eigentlich alle gesiegt, jeder der Gruppen A bis D können sich irgendwo auf die Schulter klopfen: 1:1:1:1.

Selbst die Demokratie hat noch eine Gewinnpunkt zu verbuchen: Denn selten war die, realpolitisch eigentlich ziemlich nutzlose, Präsidentenwahl ein solcher Aufreger, kaum mal hat sie ein so breites Politikinteresse geweckt. Und 19 aufrechte Abweichler, trotz Fraktionszwang, in der Endabrechnung ist auch kein schlechtes Zeichen. Also hier noch einmal ein Treffer :1


Nur einen echten Verlierer gibt es: Die NPD. Die wurde und wird von allen Beteiligten, einschließlich der großen Medien, völlig ignoriert. Das geht so weit, dass sie in den quasi-offiziellen Statistik des Spiegels mit ihrem eigenen Kandidaten gar nicht auftaucht. Lediglich am Rande lesen wir: „Der NPD Kandidat Frank Rennicke erreichte im ersten und zweiten Wahlgang 3 Stimmen. Im dritten Wahlgang trat er nicht mehr an.“ Auch in der Fernsehberichterstattung tauchte er nicht wirklich auf, kaum einer mochte auch nur seinen Namen kennen. Hier also Null Treffer :0.

Macht also 1:1:1:1:1:0 als Endergebnis. Sieht zwar so ähnlich aus wie das Ergebnis der Italiener oder Franzosen in der WM-Vorrunde, aber immerhin, eine nette Abwechslung vom Ballgekicke in Südafrika war es allemal.