Donnerstag, 25. Juni 2009

310 Milliarden oder: Wahrheiten haben kurze Beine


Den Neuverschuldungsbedarf der kommenden Legislaturperiode beziffert Finanzminister Steinbrück zur Zeit auf über 310 Mrd. Euro. Gerne hätte man diese Wahrheit bis nach der Wahl aufgespart. Aber egal, es ist sowieso nicht mal die halbe Wahrheit.

Lügen haben kurze Beine, sagt man, weil sie im Allgemeinen eben nicht weit kommen. In der Politik ist das jedoch eher umgekehrt. Vor jeder Wahl, und da gibt es wegen des Föderalismus fast jedes Jahr eine wichtige, wird viel versprochen, Balken gebogen und Wahlgeschenke verpackt. Das hat noch immer funktioniert, und man ist ganz schön weit damit gekommen. Bis ganz ans Ende der Fahnenstange, und nun sind es eben die Wahrheiten, deren verkümmerte Beine ganz kurz geworden sind.

"Was die Folgerungen betrifft, bleibt er selbst im Nebulösen. Er werde sich vor der Wahl in "keinerlei Weise festlegen", sagt er,...Er werde den "Teufel tun", drei Monate vor der Bundestagswahl "Stichworte in die öffentliche Debatte zu werfen", bei denen er fünf Tage brauche, "um die Stange wieder geradezubiegen". " zitiert der Spiegel den Finanzminister.

Immerhin ist Steinbrück damit noch der Ehrlichste im aktuellen Wahlkampfgerangel der Großkoalitionäre und der Möchtegernekoalitionäre, denn angesichts der Misere deutet er vorsorglich sogar die nächste Wahrheit mit kurzen Beinen an: "Dass die Nettokreditaufnahme am Ende noch höher liegen könnte, wenn die Kosten aus den Konjunkturpaketen I und II und dem Bankenrettungsfonds Soffin hinzukommen, das räumt er gleich zu Beginn ungefragt ein. Zahlen nennt er nicht, doch wird in Berlin von einer Nettogesamtneuverschuldung von 100 Milliarden in 2010 ausgegangen.".

Selbstverständlich wird auch das nicht reichen. Die Risiken für die HRE "Rettung", die Bürgschaften für Banken und Industrien und die anstehende Bad Bank werden bewusst zu niedrig angesetzt: "Die Gefahr ist groß, dass sich der Bund schon im laufenden Jahr weit höher verschulden muss als ursprünglich geplant. "Hier lauert eine Zeitbombe", warnt Fricke, "und sie tickt mit jedem Tag lauter."" zitiert das Manager-Magazin.

Und die steigenden Belastungen aus den Pleiten der EU-Randländer und deren Amlebenerhaltung durch IWF und EU-Fonds, die werden erst garnicht in Erwägung gezogen. Aber allein die Verbindlichkeiten aus der HRE/Depfa, die im Verlauf der nächsten Legislaturperiode fällig werden, bringen locker noch einmal 300 Mrd. auf den Kopf des Steuerzahlers. Von der Bad Bank mal ganz zu schweigen.

Über den Daumen gepeilt werden rund 1000 Mrd. bis 2013 fällig, und das ist keinesfalls der worst case! Über dasselbe Glied gepeilt stehen dann einem auf 2000 Mrd. geschrumpften BIP rund 2600 Mrd. Staatsschulden gegenüber. Ein unhaltbarer Zustand, unhaltbar jedenfalls für eine funktionierende Demokratie. Und gleichzeitig werden steigende Renten vereinbart, Steuererleichterungen für Alle und was sonst noch gut ankommt beim vermeintlich "dummen" Wähler.

Auch hier haben die Wahrheiten kurze Beine: "Erst runter, dann wieder rauf - zum Wahlkampf sinkt der Beitrag für alle gesetzlich Krankenversicherten, doch die Entlastung ist wohl nur von kurzer Dauer. Viele Krankenkassen werden 2010 Zusatzprämien verlangen, weil ihnen sonst das Geld ausgeht, warnt jetzt deren Spitzenverband." schreibt der Spiegel. "Den Kassen bleibe nach den Worten Pfeiffers kaum ein anderer Ausweg. Ihr finanzieller Spielraum sei schon jetzt knapp. "Wir erwarten, dass das Liquiditätsproblem 2010 größer wird." Sobald die ersten größeren Kassen Zusatzbeiträge einführten, würden weitere nachziehen. "Ich gehe davon aus, dass es irgendwann einen Dammbruch geben wird, wenn die ersten damit rauskommen", sagte Pfeiffer.". Was für den Kassenfachmann mit gesundem Menschenverstand schon auf der Hand liegt, ist für Spitzenpolitiker natürlich nicht nachvollziehbar: "Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder wies die Warnungen als "völlig spekulativ und nicht nachvollziehbar" zurück. "Wer heute über steigende Defizite redet, oder gar von flächendeckenden Zusatzbeiträgen redet, betreibt pure Spekulation", sagte er.".

Nun, die Beine werden immer kürzer. Die Wahrheit ist: Alle Beiträge für alles und jedes müssen angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit, sinkendem BIP und rasant steigenden Staatsschulden zunehmen. Die Wahrheit ist: Alle Ausgaben für alles und jedes müssen völlig konträr dazu sinken! Die Wahrheit ist: Der arbeitende Bürger bekommt für immer mehr Belastung immer weniger heraus. Das war in kleinerem Ausmaß zwar schon immer so, aber jetzt nimmt diese Entwicklung ganz rasant Fahrt auf. So wie auf der Achterbahn am schönsten Stück...nur das diesmal keine Kurve mehr da ist, die die Karre wieder auf die Ausgangshöhe zurückbringt.

Die Wahrheit ist auch: Die Schuldenbremse ist eine Farce, abgesehen davon, dass sie auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt ist, sie bedeutet, wenn man sie ernst nehmen würde, eine unabsehbare Drangsalierung des Bürgers, insbesondere des Mittelstandes. Die Wahrheit ist auch: Die Krise liegt nicht darin begründet, das zu wenig Geld da sei, das zu wenig produziert werden kann oder dass zu wenig konsumiert werden könnte, die Wahrheit ist dass das Geld nur viel zu aufgebläht und völlig unzweckmässig verteilt ist. Die Wahrheit ist, dass der Karren so tief im Dreck steckt, dass er sich nicht mehr retten, sondern nur neu bauen lässt. Die Wahrheit ist: Man kann es drehen und wenden wie man will, es geht kein Weg an einer internationalen und unparitätischen Währungsreform vorbei.

Die Wahrheit ist auch: Wenn man das nicht sehr bald verbalisiert und klar macht, werden die westlichen Demokratien das mittelfristig nicht überleben. All das und vieles mehr sind Wahrheiten, die auf ihren kurzen Füßchen nun pö a pö ins renovierungsbedürftige Haus der Demokratie eintreten. Man kann sie abweisen, aber sie werden nicht aufhören, die Türglocke zu läuten.

Mittwoch, 10. Juni 2009

panem et circenses V: Dead Man walking


Kaum etwas interessiert zur Zeit mehr, als eine verlässliche Zukunftsprognose bezüglich der Frage, wie es weiter geht mit den westlichen Demokratien. Zusammenbruch in Armut, Hunger, Krieg und Revolution oder aber in Kürze ein neuer Aufschwung mit neuem Wohlstand in ungeahnten Höhen bis zum Abwinken? Für jede Zwischenstufe findet sich ein akademisch geweihter Guru zum eigenen Miss- oder Gefallen. Nur, was soll man, was kann man glauben? In wie weit Wirtschaftsweise mit ihren Prognosen richtig oder falsch liegen, zeigt ein Blick in die jüngste Vergangenheit: Keiner der maßgeblichen Institute und Weisen sah die Krise voraus, im Gegenteil, nach deren Prognosen noch von 2007 müssten wir jetzt alle in Saus und Braus leben, anstatt einen Konzern nach dem anderen beerdigen zu müssen.

Auch die aktuelle Nachrichtenlage scheint verworren, einerseits gehen reihenweise Konzerne pleite und tausende Familien in die Arbeitslosigkeit, andererseits feiert die Börse rauschende Feste. „Firmen leiden, Finanzmärkte feiern: Während die aktuelle Geschäftslage düster ist, Jobs gestrichen werden und Unternehmen wie Arcandor pleite gehen, zieht der Finanzmarkt bereits wieder an. Der Dax stürmt über die Marke von 5100 Zählern und nähert sich einem neuen Jahreshoch. Einige Börsianer wetten bereits auf einen neuen "Ausbruch".“ mahnt heute der Focus. Nun ja, wer im Moment den Stress hat, ist eigentlich klar, aber wie sieht das denn nächstes Jahr aus? So genannte Zukunftsforscher orakeln, neben dem ständigen Erblicken der Talsohle, über phantastische Wohlstandsausblicke in naher Zeit: „Die globale Rezession gilt als historischer Einschnitt, sensationell und außergewöhnlich - alles falsch, behaupten jetzt Trendforscher in einer Studie über die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Ihr überraschendes Fazit: Die Krise ist kaum mehr als ein reinigendes Gewitter.“ schreibt dagegen der Spiegel am gleichen Tage.“ ….Alles übertrieben, meinen jedoch Trendforscher in einer aktuellen Analyse: "Die Krise ist weder sensationell noch historisch außergewöhnlich", so das Ergebnis einer Studie des Zukunftsinstituts. Wie im persönlichen Leben von Zeit zu Zeit Krisen auftreten müssen, damit Menschen sich weiterentwickeln, gebe es auch im Finanz-System Sollbruchstellen, wie etwa die Immobilienkrise, heißt es da. Finanzblasen seien so alt wie das Geldsystem selbst - regelmäßig würde in der realen Wirtschaft ein Sprung in eine höhere Ebene stattfinden.“. So so, den Geschichtsunterricht müssen die Autoren irgendwie verschlafen haben. Deren Analyse ist erfrischender Weise dann auch nicht mit lästiger Mathematik belastet, denn auch dieses Fach scheint den Autoren nicht gelegen zu haben: „Wie der genau aussehen könnte, das analysieren die Autoren Matthias Horx, Oliver Dziemba und Eike Wenzel anhand einer Matrix von acht wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtigen Bereichen. ....Die Ergebnisse der Studie überraschen in der allgemeinen Krisenstimmung - denn sie sind fast ausnahmslos positiv: Nach den Thesen der Trendforscher sieht es in der Wirtschaftsordnung der Zukunft gut aus für Arbeitnehmer und Unternehmer.“. Die geniale Matrix ist entsprechend schlüssig und zwingend.

Nun, Spaß bei Seite, wie kann man ein realistisches Modell zur Zukunftsprognose rechnen? Ich hatte das Problem vor Jahren schon einmal überschlägig kalkuliert, nachdem ich bei der DotCom-Blase 2001-2003 meine ersten Aktieninvestments von 1999 im naiven Vertrauen auf ewig steigende Kurse in den Sand gesetzt hatte. Schon diese Überschlagsrechnung, die an den realen Daten der Bundesbank zu rechtfertigen ist (siehe: Die Mutter aller Blasen) konnte mich von den mittelfristigen Vorteilen eines Festgeldsparbuchs überzeugen und sorgten dafür, das meine ersten Aktieninvestments auch meine letzten blieben.

Für ein prognoserelevantes Modell muss man natürlich zur differentialanalytischen Betrachtung eines Systems greifen, was eine erprobte Methode in den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, ist und im Allgemeinen verlässliche Daten liefert. Das hier im ff. beschriebene Modell ist an den realen Zahlen der statistischen Bundesämter angeglichen. Ich werde es in den tieferen Details bei einem der nächsten Updates meiner Homepage beschreiben und auch ein Programm/Excelsheet zum Ausprobieren für Jedermann einstellen. Solche Modelle bestehen i.a. aus mehreren gekoppelten Differentialgleichungen (DGL), man beginnt es i.d.R. mit den einfachst möglichen, d.h. wichtigsten systemrelevanten Funktionen und Parametern. Man kann solche Modelle dann beliebig verfeinern, bis die Realität befriedigend approximiert ist. Geschlossene analytische Lösungen sind danach selten möglich, i.d.R. müssen die DGL-Systeme numerisch integriert werden, was bei den Leistungen heutiger Rechner jedoch kein Problem darstellt. Hier geht es im wesentlichen um die zeitliche Entwicklung von BIP und Aktiva der Banken. Zu meinem Erstaunen sagt das Modell schon im einfachsten Ansatz die Entwicklung der realen Zahlen mit großer Präzision voraus. Den Grund dafür will ich hier schon vorweg nehmen, da er auf der Hand liegt: Die gesamte Wertschöpfungskette ist nämlich rein Kredit getrieben, und deswegen spielen im langfristigen Mittel alle anderen Einflüsse nur eine untergeordnete Rolle.

Nun zur groben Modellbeschreibung (die detaillierte wird später auf meiner Homepage nachgeliefert), hier das gekoppelte DGL-System für BIP und Aktiva/Passiva der Banken:

dBip(t)/dt = -pn(t)*A(t) ; Bip(0)=1
dA(t)/dt = ps*Bip(t) + pn(t)*A(t) ; A(0) = 0,4

d.h. die Änderung des BIPs resultiert aus Investitionen (-pn A) und die Änderung der Aktiva/Passiva A der Banken aus der Sparquote ps und der Nettoverzinsung der Passiva. Die Nettoverzinsung ist nun des Pudels Kern, man muss sie simulieren, ich setze an:

pn(t)= pv – pr(t) := pv – pv*a*exp(-(t-T)/T)/e

Die Bedeutung ist folgende: Die langfristig durchschnittliche Verzinsung der Aktiva sei pv. Um diesen Prozentsatz wachsen jährlich die Passiva/Aktiva, allerdings abzüglich der Re-Investition in das BIP pr. D.h. am Anfang der brachliegenden Wirtschaft (1950) investiert man sein Geld in Firmen, um am Wachstum per Kreditvergabe zu profitieren. Mit der Halbwertszeit T nimmt dieser Anteil jedoch ab, denn erstens fragt die Wirtschaft mit der zunehmenden Sättigung nicht mehr (relativ) soviel Kredite nach, und zweitens nimmt mit wachsenden Vermögen tendenziell das Interesse daran zu, mit Geld Geld zu machen (Derivate etc. pp.), was irgendwann eben einfacher und profitabler erscheint, als an der Werkbank im weltweiten Konkurrenzkampf noch eine Mark zu verdienen. Die Funktion simuliert also sowohl wirtschaftliche Notwendigkeit in Verbindung mit „Gier“, bzw. besser gesagt, der Tatsache das der Profit aus Kapitalanlagen, nach gegebener Sättigung, eben nicht mehr nur mit der Kreditvergabe an die Wirtschaft zu erzielen ist. Des Weiteren wird noch eine Wertefunktion Bw berechnet, d.h. die Summe der angesammelten Werte, die sich aus dem aktuellen BIP plus der noch nicht abgeschriebenen Werte ergibt. Diese Funktion ist nicht direkt gekoppelt und dient lediglich der Abschätzung der verfügbaren Werte gegen die verfügbaren Gelder, so dass man theoretische Kaufkraft und Inflationsraten abschätzen kann. Dazu braucht man noch die Parameter pa und m.


Die Startwerte der Numerischen Integration entnimmt man den offiziellen Daten der statistischen Bundesämter, so war das Verhältnis von BIP/Aktiva im Jahr 1950 1 zu 0,4. Es wird hier mit dimensionslosen Zahlen gerechnet, da die Umrechnung in eine Währung (DM, Euro, Dollar etc. pp.) nichts zur Sache tut. Man beachte das lediglich bei dem Vergleich mit den realen Zahlen („Die Mutter aller Blasen“ (MaB)), die dagegen in i.d.R. in Euro angegeben sind. Zudem muss man beim Vergleich mit den amtlichen Zahlen auch noch auf den Unterschied zwischen nominalen und relativen Zahlen (nach Kettenindex der Inflation) berechnete Daten achten. Im Modell kann das durch die Wertefunktion berechnet werden, hier im Folgenden wichtig für den Vergleich zwischen tatsächlichen und theoretischen Inflationsraten. Die Graphiken in diesem Beitrag lassen sich wie üblich durch Anklicken vergrößern.


Nun also zu den Ergebnissen. Zunächst die Darstellung aus MaB mit der realen Entwicklung von BIP und Aktiva und deren Zuwächse von 1950 bis 2009: Wir sehen den gleichen Verlauf, 1965 etwa wird das BIP/Aktiva Verhältnis 1:1 und 2008 von mehr als 1:3 erreicht.


Das gleiche Bild in logarithmischer Darstellung als Vergleich zum Bild der realen Werte in MaB.


Ebenso im Vergleich zu den realen Zahlen aus MaB mit den Werten für das Aktiva/BIP-Verhältnis, Wachstum der Aktiva gegen die Zinsforderungen aus dem jährlichen Aktivazuwachs. Die wichtigen Breaks „break even“ und „break 2000“ werden korrekt wiedergegeben. Das Modell simuliert die realen Verläufe, trotz seiner Einfachheit, auffallend exakt. Zudem ist es stabil gegen moderate Änderungen des Parametervektors P=(ps,pv,a,T,pa,m), der hier mit (0.1,0.055,2,80,0.5,3) gesetzt wurde, und somit ein gutes Zeichen für die Zuverlässigkeit des Prognosemodells ergibt.


Aber das Modell gibt natürlich noch mehr her, als das, was wir sowieso schon wissen. Dazu betrachten wir zunächst mal die bereinigten Wachstumsraten des theoretischen Modells mit den tatsächlich amtlich festgestellten Zahlen. Wie wir schon früher gesehen haben, tendieren die tatsächlichen Werte, mit alternierenden Schwankungen langsam gegen Null. In der Tat liegen sie mal unter, mal über den theoretischen Werte, im statistisch langfristigen Mittel sind die Werte aber tatsächlich gleich. Nun, was ist die Ursache für diese Schwankungen? Auf den ersten Blick sieht man schon, dass die Wellenlänge dieser Schwankungen um den Dreh von Legislaturperioden liegt. Zufall? Wohl kaum.


Dazu überlagern wir jetzt einfach mal die Daten der Bundestagswahlen seit 1949 mit den BIP Daten. Die Übereinstimmung ist verblüffend. Das Aufschwünge und Abschwünge der Wirtschaft mit Politik- und Kanzlerwechsel zusammenhängen, ist sicherlich jedem Politikinteressierten schon einmal aufgefallen, aber es ist schon dramatischer: Jeder neue Kanzler bringt einen Auf- und(!) Abschwung mit sich. Es ist wie beim Trainerwechsel in der Bundesliga: Der neue Trainer beflügelt die Mannschaft und schafft mit teuren Neueinkäufen einen, i.d.R. vorübergehenden, Aufschwung. Das rächt sich aber nach kurzer Zeit dann, wenn sich die Mannschaft wieder im alten Schlendrian einfindet und die Kosten für die Neuanschaffungen auf dem Budget lasten, der Abschwung folgt auf dem Fuße. So etwa wie beim 1. FC Köln mit seinen Auf- und Abstiegen, daher nenne ich diesen Effekt, nach dem fast-Bundestrainer, den „Daumeffekt“.

In der Politik ist es offensichtlich genauso: Ein neuer Kanzler bringt nicht nur neue Motivation, sondern auch teure Wahlgeschenke mit. Das treibt die Konjunktur zu einem Hoch an, die kreditfinanzierten Lasten rächen sich aber relativ schnell in einem Abschwung. Der Kanzlerwechsel folgt über den ergrimmten Wähler auf dem Fuße, und damit neue Wahlgeschenke (Subventionen, Steuergeschenke, Konjunkturprogramme etc.pp.) und Motivation. Langfristig führt dies aber zu Nichts, außer dass das Wachstum um seinen theoretischen Mittelwert hin- und her pendelt. Und natürlich zu einer nie rückführbaren Staatsverschuldung, die allerdings auch nur ein Teil der Bankenaktiva darstellt, und sich in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von privaten Schulden kaum unterscheidet. Da in unserer Ökonomie jedem Vermögen (Passiva) eine Schuld (Aktiva) anderswo gegenüber steht, ist der langfristige Einfluss der Politik auf die Entwicklung des BIPs praktisch bedeutungslos. Politik ist lediglich für die kurzfristigen Schwankungen von Bedeutung, wobei jeder Aufschwung mit einem gleichartigen Abschwung erkauft wird, im Mittel tut sich nichts. Auch von Bedeutung für den Bürger ist natürlich, ob der Gewinn aus dem BIP etwas mehr nach oben oder nach unten verteilt wird, für die Entwicklung des BIPs in der Gesamtheit ist sie aber vernachlässigbar.


Die meisten Ökonomen, Politiker sowieso, neigen dazu, die Situation der letzten Jahre einfach linear in die Zukunft zu extrapolieren. Das ist aber mehr als gewagt. Am Beginn der relativ krisenfreien Entwicklung kein unberechtigtes Verfahren, aber jetzt, nach Platzen der Vermögensblase? Mehr als fraglich.


Nun kommen wir zur nächsten Anwendung des Modells: Der Prognose der Zukunft. Denn ein differentialanalytisches Modell kann ohne weiteres in die nähere Zukunft weiter laufen. Zunächst einmal in logarithmischer Darstellung. Neben den Abhängigen BIP und Aktiva Funktionen sind hier auch die weiteren unabhängigen Modellfunktionen wiedergegeben. So die Wertefunktion, die theoretische Kaufkraft, aber auch drei abgeleitete Krisenindikatoren: (1) Das Aktiva/BIP-Verhältnis, dieses wird ab etwa 3 kritisch, und zwar weil (2) dann der Zinsdruck allein(!) des jährlichen Zuwachses der Aktiva gegen das BIP größer als das noch mögliche absolute Wachstum des BIP wird (pn*dAdt > dBip/dt). Diesen Indikator nenne ich crisis indicator und er berechnet sich zu exp(10*pn(t)*dA/dt). Wird dieser Indikator größer als 1, dann kann der abhängig beschäftigte Bürger im Durchschnitt nicht mehr vom Zugewinn aus Arbeit profitieren. Die Vermögen saugen den Zugewinn über den Renditedruck vollständig und mehr ab, der Arbeiter und Angestellte hat trotz umfänglicher Zugeständnissen immer weniger Netto im Beutel. Der letzte Indikator ist (3) der hyperinflationjet HIJ, er berechnet sich zu exp(d(A/Bip)/dt), also die Exponentialfunktion der Steigung des Aktiva zu BIP-Verhältnisses. Denn wenn dieses rapide zunimmt, kommt die Hyperinflation. Das kann man auch an den Zahlen der 1922/23er Inflation ablesen, die ich demnächst auch hier noch einmal analysieren möchte. Man sieht aber sofort: Das BIP nimmt in Zukunft weiter ab, eine lineare Extrapolation verbietet sich also. Im Jahre 2034 würde es, bei ungestörter Entwicklung, Null sein.


So kommen wir zur letzten Graphik, der Darstellung des kompletten Lebenslaufs des BRD Bip von 1950 bis 2034 in linearer Darstellung. Wie wir sehen, stagniert nun das BIP bis etwa 2013 um dann schnell gegen Null zu fallen. Nennenswerte Steigerungen sind nicht mehr zu erwarten, bestenfalls politikfinanzierte Miniaufschwünge, die direkt wieder von entsprechenden Abschwüngen bestraft werden. Ab etwa 2016 würde es dann auch zur echten Wertvernichtung von Volksvermögen kommen, da die Abschreibungen durch frisches BIP nicht mehr aufgefangen werden können. Spätestens in der Zeit 2024 bis 2030 ist eine Hyperinflation zu erwarten, 2034 wäre die BRD ein Armenhaus.

Solange wird es aber nicht dauern. Denn es ist fraglich, wie lange sich die Masse der Bevölkerung den rapide zunehmenden Abtransport des BIP auf die Konten der Vermögensverwaltungen gefallen lassen wird. Ganz abgesehen davon, wenn der Dollar schon früher schlapp macht, und Europa mit in die Tiefe reißt. Und es kann noch viel schlimmer kommen: Neben den anstehenden kreditfinanzierten Wahlgeschenken, die einen kurzfristigen Schub versprechen, gibt es ein historisch unschlagbares kurzfristiges Konjunkturprogramm: Krieg. Denn mit der Verschlimmerung der Situation in den nächsten Jahren steigt nicht nur der Stress der Beteiligten, auch die Versuchung in Kanonen zu investieren nimmt dann rasant zu. Denn Krieg ist ökonomisch nichts anderes als Konsum in unübertreffbarem Ausmaß. Es rettet eine Volkswirtschaft über die typischen 6 Jahre, die etwa der zweite Weltkrieg dauerte.

Nun, das Fazit besteht aus einer guten und einer schlechten Nachricht. Die schlechte ist: Es kann so nicht weiter gehen, Es wird so nicht weiter gehen und Sie, die Politiker, können gar nichts dafür. Die gute Nachricht ist: Es ist egal wen oder was Sie dieses Jahr wählen, es macht mittel- und langfristig keinen Unterschied. "Dead Man Walking" ist der US-amerikanische Ausdruck, wenn ein zum Tode Verurteilter aus seiner Zelle zum Hinrichtungsraum geführt wird. Natürlich hofft der Delinquent auf ein Wunder, eine Begnadigung in letzter Minute. Auch wenn vorher noch mal eine königliche Henkersmahlzeit aufgefahren wird, es ist nur ein Aufschub. Es hilft nichts, der letzte Augenblick rückt unaufhaltsam näher.

Freitag, 5. Juni 2009

panem et circenses IV: Quo vadis Europa?


Den Ausdruck panem et circenses prägte der römische Dichter Juvenal (60 -127 n.Chr.). Er kritisiert damit das römische Volk, das zur Zeit der funktionierenden Republik die Macht an Feldherren und gewählte Beamte verlieh, und sich nur noch diese beiden Dinge wünschte: Brot und Spiele. Der Ausdruck bezeichnete den Versuch, das Volk von Problemen abzulenken, indem man mit Steuersenkungen, Wahlgeschenken oder eindrucksvoll inszenierten Großereignissen die allgemeine Stimmung hob.

Brot und Spiele, das ist ein uraltes Patentrezept für den Machterhalt, egal welcher Herrschaftsform. Solange „Brot“, d.h. die Grundbedürfnisse, und „Spiele“, d.h. ein wenig Luxus und Ablenkung für die Masse der Bevölkerung gewährleistet werden kann, solange hält eine Regierungsform gut durch. Wenn Brot und Spiele jedoch nicht mehr in der Breite geboten werden kann, dann ist die Herrschaft nur noch künstlich, durch Unfreiheit, Tyrannei und Terror, zu halten. Ein aktuelles Beispiel etwa ist Nordkorea. Das Fehlen von Brot und Spielen in der Masse ist jedenfalls mit einer funktionierenden Demokratie nicht vereinbar.

Nun, die Wahlen dieses Jahr stehen ganz im Zeichen von panem et circenses, nämlich dem Erhalt dieser Fähigkeit. Unsere Demokratie ist eine repräsentative Demokratie, d.h. das Volk nimmt an der Herrschaft ausschließlich mit der Abgabe seiner Stimme bei geheimen und gleichen Wahlen teil. Volksabstimmungen und der gleichen, also unmittelbare Demokratie, ist in Deutschland nicht vorgesehen. Ganz im Sinne von Juvenal also hängt das politische Schicksal an den gewählten Volksvertretern, die wiederum in Parteien organisiert sein müssen um über die magische 5% Hürde in die Parlamente zu gelangen. Die demokratische Macht liegt somit faktisch bei den Parteien, und wir sind somit in der Pflicht, uns mit deren Vorstellungen zur Krisenbewältigung auseinander zu setzen. Die erste Wahl steht am Wochenende an, die Niederlande haben bereits vorgelegt: zweitstärkste Kraft wurden dort die Rechtsradikalen: Ein Menetekel, das nicht von ungefähr kommt. Man darf gespannt sein, wie und ob sich das bei der Europawahl am Sonntag fortsetzt.

Denn der naive Glaube, man könne die Krise aussitzen, indem man sich nur reichlich weiter verschuldet oder nur genug Geld druckt und in die Banken pumpt, ist bei den demokratischen Parteien noch ungebrochen. Die Prognosen werden zwar immer schlechter, die Bundesbank geht nun von einem Rückgang des BIP um 6,2 Prozent in 2009 aus, trotzdem begrüßt man schon wieder einmal die Talsohle: „Bereits in diesem Sommer könnte nach Einschätzung der Bundesbank der Tiefpunkt schon überschritten werden.“ und selbstverständlich liegt die Lösung der Verschuldungskrise in weiterer Verschuldung: „Irsch zufolge müsse Deutschland auch eine höhere Verschuldung hinnehmen. Die Bemühungen der Bundesregierung, die Konjunktur anzukurbeln, bewerteten die Experten als zu zögerlich. Die im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossenen Infrastrukturmaßnahmen würden erst Ende 2009, größtenteils sogar erst 2010 wirken - zu diesem Zeitpunkt werde die Konjunktur aber schon wieder Tritt gefasst haben, sagte Schmidt.“.

Das ist wie der Witz mit dem Hinterwäldner, der zur Bank zitiert wird, weil sein Konto überzogen sei. Auf die Frage, wie er denn sein Konto ausgleichen wolle, antwortet der allen Ernstes: „Kein Problem, ich schreib Ihnen einen Scheck!“. Aber dafür haben wir jetzt ja das Grundgesetz geändert, und eine „Schuldenbremse“ eingeführt: „Für Peer Steinbrück geht es um seinen Eintrag in die Geschichtsbücher: Steht er als Bundesfinanzminister für das größte Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik oder für die Lösung des "Schraubstocks", in dem er den Staatshaushalt sieht? Der SPD-Politiker beschwor am Freitag die "historische Chance", eine verbindliche Schuldenbremse einzuführen, um den jetzt angehäuften Schuldenberg in Zukunft wieder abzubauen.“ zitiert das Manager-Magazin.

Nun, an letzterem glaubt keiner wirklich, und so sieht man das, sowieso in der Praxis löchrige, Gesetz mehr als ein Zeichen: „Als "Signal an die Finanzmärkte" will Steinbrück die Schuldenbremse verstanden wissen. Man müsse zeigen, dass in Deutschland solide mit dem Haushalt umgegangen wird. …. In einer solchen Situation sei es besonders wichtig, dass Deutschland seine Bonität nicht verliere. Würde die sich verschlechtern, stiege sofort die Zinslast deutlich, sagte Steinbrück.“


Um den Eintrag in die Geschichtsbücher jedenfalls müssen die „Gewinner“ der Wahlen 2009 kaum fürchten: Denn alle bislang vorgelegten Programme ändern nichts am Kerndilemma der Finanzwirtschaft, das Stocken der Renditen aufgrund des explodierten BIP/Aktiva-Verhältnisses. Denn an Geld mangelt es nicht, ganz im Gegenteil, die Finanzjongleure wissen nur nicht mehr wohin damit, nämlich dahin, wo noch risikoarme Renditen zu erzielen sind: „Ein weiterer Faktor spricht für steigende Notierungen des schwarzen Goldes: die überbordende Liquidität. Banken, Fonds und Investmentgesellschaften wissen nicht mehr, wohin mit ihren Bargeldbeständen. Da Staatsanleihen kaum noch etwas abwerfen und für Tagesgeld Mickerzinsen gezahlt werden, suchen Anleger andere Investitionsmöglichkeiten – da drängt sich Öl auf.“ schreibt dazu der Focus.

Die Tatsache, dass man die wahre Ursache nicht sehen kann oder will, macht aus der Finanzkrise nun eine Systemkrise der Demokratie, und wird das nächste Dreamteam nach Merkel/Steinbrück tatsächlich in die Geschichtsbücher als Abwracker katapultieren: „Die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg habe gelehrt, „dass eine nicht unter Kontrolle gebrachte Wirtschafts- und Sozialkrise fruchtbarer Boden für radikale Bewegungen sein kann“, warnte unlängst der ungarische Regierungschef Gordon Bajnai.“ schreibt die Welt. Während Europa wählt, bricht es an allen Ecken und Kanten bereits auseinander, Island und Lettland sind pleite, die ganzen Ostländer pfeifen aus dem letzten Loch, die so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) stehen auch nicht weit vom Kollaps entfernt.

Großbritannien ist ruiniert und seine selbstgerechten Spitzenkräfte laufen davon: „Insgesamt hatten sich binnen weniger Tage mehr als ein halbes Dutzend Minister aus der Regierung Brown zurückgezogen….Die Labour-Partei hat unter den - alle Parteien betreffenden - Enthüllungen über unverfrorene Spesenabrechnungen der Parlamentsabgeordneten stärker zu leiden als die Opposition. Brown wird zunehmend dafür verantwortlich gemacht, nicht entschlossen genug dem Wildwuchs über die Anforderung öffentlicher Mittel für die Anschaffung von Großbild-Fernsehern, Maulwurfsfallen und Schwimmbadreparaturen entgegengetreten zu sein.“. Die Vorbildfunktion der Britischen Finanzwirtschaft hat auch bei der dortigen Politikerkaste ungebremsten Einzug gehalten, das BIP wird als Selbstbedienungsladen missverstanden.

Gleichwohl ist Brown natürlich ein mustergültiger Demokrat und denkt nicht ans Aufgeben: „Er übernehme zwar Verantwortung für die derzeitige Krise, aber er werde sich vor seiner Pflicht für das Land nicht drücken. "Wenn ich nicht wüsste, dass ich der richtige Mann für den Job bin, würde ich nicht hier stehen. Ich werde nicht wanken, ich werde nicht weichen, ich werde weitermachen, bis die Arbeit getan ist."“ zitiert ihn der Spiegel. Arbeit? Welche Arbeit? Welche Pflicht drückt ihn für sein Land; Panem et Circenses, wie lange noch?

So gehen wir am Sonntag also wählen, vielleicht zum letzten mal für das Europa, wie wir es bis heute noch kannten. Quo vadis Europa?